Kunst der Bewegung Christina Végh Leiterin der Kunsthalle Bielefeld
Kunst und Kultur 65 Die Kunsthalle Bielefeld glänzt als Museum und Ausstellungshaus für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts mit internationalem Renommee. Mit Christina Végh steht eine versierte Kunsthistorikerin und Ausstellungsmacherin an der Spitze. Ein Porträt. Von Dr. Reinhardt Schwarz Im Oktober 2020 debütierte sie mit gleich vier Einzelausstellungen: mit Monica Bonvicinis „Lovers Material“, mit „Raum, Zeit, Architektur, Gender“, einem Blick in die eigenen Sammlungen, mit Jeremy Dellers „Wir haben die Schnauze voll“ und mit der Rodin-bezogenen Präsentation „Die Denker“ von Jeff Wall. Im Mittelpunkt Rodins bronzener „Denker“, der zu dieser Zeit seinen Stammplatz noch vor der Kunsthalle einnahm und derzeit „auf Urlaub“ im Schweizer Kunstmuseum „Fondation Beyeler“ weilt. Foto: Sarah Jonek Internationalität wurde der 50-Jährigen quasi in die Wiege gelegt. Groß geworden in der Schweiz, in einer Familie mit ungarischen Wurzeln und der Erfahrung der Emigration, war es selbstverständlich, mehrsprachig aufzuwachsen und Familie an unterschiedlichen Orten auf der Welt zu wissen. Ihr Interesse für die Kunst erklärt sie vor dem Hintergrund ebendieser Erfahrung: der Vermittlung zwischen unterschiedlichen kulturellen Werten und Lebensanschauungen. Christina Végh studierte Kunst- und Architekturgeschichte mit den Nebenfächern Ethnologie und Philosophie an der Universität Zürich mit einem Abstecher an die University of California Santa Cruz (UCSC). Ihr Ansporn erwuchs aus der Bewunderung für drei prägende Künstlerpersönlichkeiten: Francisco de Goya, Henri Matisse und John Baldessari, dem vor einem Jahr verstorbenen, einflussreichen amerikanischen Konzeptkünstler. Als wissenschaftliche Assistentin und später Kuratorin sammelte sie erste Erfahrungen in einer der weltweit renommiertesten öffentlichen Einrichtungen für zeitgenössische Kunst, der Kunsthalle Basel. Der Baseler Zeit folgten zehn Jahre als Leiterin des Bonner Kunstvereins, wo sie sich der jüngsten Kunst widmete und für Programmatik, Sanierung und besondere Leistung in der Vermittlung ausgezeichnet wurde. Nach Bonn folgte Hannover. Mit der Kestner Gesellschaft leitete Végh einen der größten Kunstvereine Deutschlands. Ihr Schwerpunkt war dort, in den Wechselausstellungen Bezüge und Verbindungen zwischen Künstlerinnen und Künstlern unterschiedlicher Generationen sichtbar zu machen. Nun ist sie Leiterin der Kunsthalle Bielefeld. Dabei hat sie sich zwei großen Herausforderungen zu stellen: zum einen die für 2024 geplante Sanierung und den Umbau der vom Stararchitekten Philip Johnson erbauten Kunsthalle anzuleiten, zum anderen die kurz nach ihrem Dienstantritt aufgetretene Pandemie. Végh redete nicht, sondern handelte: „Wir haben das Haus in Bewegung gesetzt, sind mit digitalen Formaten weiterhin mit den Besucherinnen und Besuchern in Kontakt, im Grundsatz sogar noch internationaler als sonst, da man sich weltweit zuschalten kann, was tatsächlich auch geschieht. Wir sind in den letzten Monaten auch in intensiven Gesprächen mit Lehrenden vor Ort, um in der Situation der Pandemie auf veränderte Bedürfnisse und Möglichkeiten in Schulen besser reagieren zu können.“ Aufsehen erregte Végh in den Medien, als sie im Oktober 2020 vorschlug, das Museum doch wenigstens exklusiv für die Schulen offen zu halten und auf diese Weise die Bildung, soweit es ginge, etwas zu entlasten. In der Pandemiezeit könnte die Kunsthalle „Vermittlungsprogramme“ für Schulen in den weitaus besser belüfteten Räumen der Kunsthalle anbieten: „In Abstimmung mit den Schulleitungen könnte man bei uns auch andere, innovative Unterrichtsformen installieren.“ Nach drei Wochen Öffnung wechselte die Kunsthalle unter Véghs Leitung unbeirrt in den Online-Modus – mit Liveschaltungen, Zoom-Veranstaltungen zum Mitdiskutieren und mit einem exklusiven Gespräch mit dem kanadischen Fotokünstler Jeff Wall. „Inzwischen haben wir zahlreiche neue digitale Formate entwickelt“, freut sich die Kunsthallenleiterin und betont: „Wir sehen die Pandemie als Chance zur Veränderung und bauen kontinuierlich weiter an der ‚Digitalen Kunsthalle‘.“ „Wir sind nur so gut, wie wir gemeinsam sind." Ihr Credo ist der Dialog zwischen Sammlung und Wechselausstellung, Geschichte und Gegenwart. „Es sind aktuelle Fragestellungen, die uns anleiten, in die Geschichte zu schauen. Jedes Kunstwerk ist eine Form von Verdichtung und Partitur. In ihm schlägt sich ‚seine‘ Zeit nieder, die Nachwelt ‚liest‘ in ihm stets wieder etwas Neues oder Anderes, in Abhängigkeit zu den Fragen der jeweiligen Zeit der Betrachter. Diese Eigenschaft pointiert zu verfolgen, darum geht es mir.“ Végh fährt fort: „Die Sammlung eines Museums kann als gesellschaftliches visuelles Gedächtnis begriffen werden. Es geht also darum, das visuelle Gedächtnis nach heutigen Fragen neu zu vermessen und natürlich ist es auch eine große Verantwortung, das Gedächtnis fortzuschreiben. ▷