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TALIBAN,

DAS BESTE FÜR AFGHANISTAN?

Die Taliban sind auf dem Vormarsch – auch in Wien. Unser

afghanischer Praktikant Nazari Mohibullah stellt schockiert

fest, dass einige seiner Landsleute kein Problem mit den

Gotteskriegern haben. Wie konnte es soweit kommen?

Von Nazari Mohibullah und Amar Rajković, Illustrationen: Aliaa Abou Khaddour

Gedankenkarussell: Die afghanische Diaspora müsste eigentlich die Taliban hassen

– schließlich waren es die Gotteskrieger, die das Land in den letzten Jahren

durch Terror destabilisiert haben. Der Einsatz der Amerikaner verdiente sich

aber auch kein Ruhmesblatt und brachte keinen dauerhaften Frieden.

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Ich mag die Taliban. Sie sind besser als die alte Regierung.

Unter ihnen wird es zumindest keine Anschläge

geben.“ Hat er das wirklich gesagt? Der junge Mann mit

Bart und gegeltem Haar, den ich zufällig am Brunnenmarkt

begegnet bin, unterstützt die Taliban? Diese ehrenlosen

Verbrecher, die mein Heimatland ins Mittelalter stürzen

wollen? Die T a l i b a n ?

Noch immer verdutzt darüber, wie ein in Freiheit lebender

Mensch so denken kann, verliere ich die Kontrolle über

meine Emotionen. Ich brülle ihn auf Farsi nieder und fordere

ihn in Herbert-Kickl-Manier auf, doch zu den Taliban zurückzukehren,

wenn sie angeblich so super sind. Was macht er

noch in Österreich? Ich merke, dass er sieht, dass die Aussage

über das Ziel hinausgeschossen ist. Er versucht, mich zu

beruhigen: „Die Taliban haben versprochen, unseren Frauen

alle Rechte zu gewähren. Das ist doch gut.“

„Ja, bestimmt“, winke ich ab und ziehe von Dannen,

bevor ich noch etwas Unüberlegtes mache.

In Österreich leben laut der Statistik Austria rund 46.000

AfghanInnen. Fast die Hälfte von ihnen

wohnen in Wien. Einer davon bin ich. Nachdem

ich meine Familie in Herat zurücklassen

musste, legte ich zu Fuß, auf der

Tragfläche eines Pick-ups, im Schlauchboot

und im Kofferraum mehr als 5000 Kilometer

auf dem Weg nach Österreich zurück. Ich

war zwei Monate ohne Grund im türkischen

Gefängnis, hatte Todesangst bei der

Überfahrt von der Türkei nach Griechenland

Ich muss mir von einem

Landsmann anhören,

es sei ja nicht alles so

schlecht unter den

Taliban.

und ernährte mich von gestohlenem Mais in Mazedonien.

Das alles, um in Frieden zu leben und dem täglichen Terror

der Taliban zu entfliehen. Und dann muss ich mir von einem

Landsmann anhören, es sei ja nicht alles so schlecht unter

den neuen Machthabern Afghanistans. Was ich zu diesem

Zeitpunkt noch nicht gewusst habe: Seine Meinung wird von

Tag zu Tag beliebter.

WARUM KEHRST DU NICHT ZURÜCK

NACH AFGHANISTAN?

Zwei Wochen später in Wien. Die Taliban feiern den Abzug

der internationalen Streitkräfte, ich befinde mich auf einer

der zahlreichen Demonstrationen gegen die neuen Herrscher

in meiner alten Heimat. Wir leben zum Glück in einem

freien Land und können auf der Straße politische Forderungen

stellen, ohne um unser Leben fürchten zu müssen.

Zusammen mit ein paar Hundert Landsleuten und einigen

AktivistInnen fordern wir am Karlsplatz die Welt auf, unschuldige

Menschen aus Kabul zu retten. Dort treffe ich Narges * .

Ich spreche sie an, weil die junge Frau im

weißen Sommerkleid kurz davor eine mitreißende

Rede auf dem Podest gehalten hatte.

Sie trägt ihr gelocktes Haar offen, ihre

Augenbrauen sind präzise gezupft. Der rote

Lippenstift und ein Nasenring runden das

Outfit der eloquenten Studentin ab. Wem

sie für die Misere in unserem Heimatland

die Schuld gibt, möchte ich von ihr wissen.

Narges zögert: „Aschraf Ghanis Regierung

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