Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Was ich am Balkan mag,
sind diese Grauzonen.“
Rade Petrašević ist einer der gefragtesten Künstler Wiens. Bei einem
Besuch in seinem Atelier in Ottakring erzählt er vom Teppichschleppen
Zu Gast in Rade Petraševićs
Atelier: Ein geordnetes Chaos.
mit zwölf und dem Coming-out, das er nie hatte. Von Nada El-Azar, Fotos: Mafalda Rakoš
Rado, Radu, Radek – so viele Leute haben nie meinen
Namen richtig aussprechen können. Deswegen habe
ich mir einfach Rade auf den Arm tätowieren lassen.
Wann immer mich jemand nach meinem Namen fragt, zeige
ich einfach auf das Tattoo. Es vereinfacht viele Dinge“, grinst
Künstler Rade Petrašević. Wir befinden uns in seinem Atelierkeller
in Wien-Ottakring, der Boden trocknet wegen der starken
Regenfälle der letzten Wochen an manchen Stellen immer noch
nicht. Zwischen einigen seiner Gemälde liegen Tuben, Pinsel,
Zettel, Zigarettenstummel, Getränkekisten, CDs, Holzboxen und
allerlei sonderbare Artefakte. Seit 2018 bezieht der Wiener mit
bosnisch-serbischen Wurzeln das Atelier – so richtig gemalt hat
er aber seit April dort nicht mehr. „Andere würden das wahrscheinlich
als Krise bezeichnen. Pausen sind aber manchmal
gut. Ich brauche eben einmal Abstand von der Arbeit. Passiert
öfter“, zuckt er mit den Schultern und zieht an seiner Zigarette.
„DER TRAUM MEINES VATERS WAR
IMMER MIT MIR ZUSAMMEN AM BAU ZU
ARBEITEN.“
Rade lehnt an einem dicken Stapel großformatiger Bilder, die
er noch zu fotografieren hat. Am meisten hasst er an seiner
Arbeit das Erstellen von Portfolios. „Sonst gibt’s eigentlich
nichts, das mich nervt. Ich bin eh froh, dass ich Geld verdienen
kann, mit dem, was mir Spaß macht“, so der 38-Jährige. Geboren
und aufgewachsen ist er im 5. Bezirk, Nähe Eichenstraße,
wo er auch heute noch wohnt. „Eigentlich ist die Gegend beim
Gürtel dort geil, weil ich Lärm brauche. Ich
weiß noch, als ich klein war, gab es immer ein
Gürtelfest für Kinder und es gab überhaupt
keine Zebrastreifen. Schon krass, wie wir mit
acht Jahren da rumgespielt haben, während
die Autos über den Gürtel fetzten.“ Sein
Vater, ein Bosnier aus Banja Luka, hat auf
dem Bau gearbeitet. Er kam bereits in den
70er-Jahren nach Wien, wo er auch Rades
„
Damals war es
noch nicht cool,
Kunst zu
studieren.
“
serbische Mutter kennenlernte. Die künstlerischen Ambitionen
ihres Sohnes haben die beiden anfangs kaum unterstützt. „Der
Traum meines Vaters war immer, mit mir zusammen am Bau zu
arbeiten. Wir haben das eh lange gemacht, als ich noch Malerei
studiert habe. Manchmal kam ich um vier Uhr nach Hause
und eine Stunde später hämmerte er gegen meine Tür, weil
um halb sechs Dienstbeginn war. Er wohnte ja lustigerweise
nur eine Straße weiter als ich“, erinnert sich Rade. Bereits mit
15 zog er gemeinsam mit seiner zwei Jahre älteren Schwester
aus. In das Malereistudium sei er hineingerutscht, wie er
beschreibt. Bewerben konnte man sich dort einfach ohne
Matura. Die Schule hatte er abgebrochen, genauso wie die
Spenglerlehre.
MALEREISTUDIUM MIT RICH KIDS,
NEBENJOB AM BAU
2004 wurde er an der Akademie der Bildenden Künste aufgenommen,
studiert hat er zunächst bei Franz Graf, später wurde
seine Klasse von Daniel Richter übernommen. „Damals war es
noch nicht cool, Kunst zu studieren. Es war mehr ein Akt der
Rebellion. Heute sind alle so karriereorientiert und wissen ganz
genau, was sie machen wollen. Als Student hab‘ ich mir die
Haare immer selbst geschnitten, hab gestunken und zu Beginn
gar nicht gecheckt, dass ich mit so vielen Rich Kids studiere.
Erst später hab‘ ich mich gefragt, wie die das eigentlich alle
machen. Irgendwo muss ja die Kohle herkommen. Ich habe
immer gehackelt, schon mit zwölf habe ich die Teppiche im
Geschäft der Vermieterin geschleppt. Und
dann eben am Bau gearbeitet mit meinem
Vater, damit ich Geld für Farben bekomme“,
so der Maler. Abgebrochen hat er übrigens
auch das Malereistudium. Was hätte er davon
gehabt, fragt er sich. „Wenn man sich schon
mit Bildern dort bewirbt, ist man eh schon in
der Sache drin. Der Professor an der Bildenden
ist auch nicht hierarchisch über dir, son-
58 / KULTURA /
/ KULTURA / 59