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MEINUNG
„Balla Moskow, balla
Boskow!”
Ich bedauere ja mittlerweile, dass ich
meine zweite Muttersprache Arabisch
niemals ordentlich lesen und schreiben
gelernt habe. Nun gut, vielleicht lag es
eher an der samstäglichen Koranschule
im Jugendalter und dem phonetischen
Auswendiglernen von Suren, deren Sinn
ich nicht verstand, die letztlich dazu führten,
dass ich mit der Sprache nichts zu
tun haben wollte. Bis ich 16 Jahre alt war,
weigerte ich mich gar, mit meinen Eltern
Arabisch zu sprechen! Stattdessen antwortete
ich immer auf Deutsch, auch um
möglichst „normal“ zu sein. Dabei gibt es
so viele Sprachspiele, die im Deutschen
gar nicht möglich wären. Wie etwa das
Erfinden von Fake-Wörtern, die sich auf
bestehende reimen, um auszudrücken,
dass irgendetwas partout nicht in die Tüte
kommt. Als ich beispielsweise meine Mutter
mit 18 fragte, ob ich auf ein Auslandssemester
nach Moskau könne, meinte sie:
„Weder Moskau noch Boskau!“ Das klingt
doch großartig, oder nicht? Das dachte
ich jedenfalls, bis ich meinen Vater, der
übrigens rohen Fisch hasst, fragte, ob wir
mal Sushi essen gehen könnten. „Weder
Sushi, noch Mushi!“, war seine Antwort…
Okay, genug Sprachspiele für heute.
el-azar@dasbiber.at
KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar
Podcast-Tipp:
Ein Herz und ein Habibi
Der Psychologe, Extremismusexperte und Autor
Ahmad Mansour ist normalerweise für seine
starken Beiträge zu knallharten Themen wie
Ehrenmord, islamistische Radikalisierung und dem
Konflikt im Nahen Osten bekannt. Gemeinsam mit
seiner Frau Beatrice hat er aber nun den Podcast
„Ein Herz und ein Habibi“ gestartet, in dem sich
alles um ihre bikulturelle Ehe dreht. Er ist als
palästinensischer Muslim in Israel aufgewachsen,
sie in einer
christlichen Familie im
deutschen Odenwald.
Was das konkret
für ihre Beziehung
bedeutet, besprechen
Ahmad und Beatrice
Mansour ganz offen
und ehrlich.
Ausstellungstipp
RE:PRESENT
Wie (ver-)lernt man Rassismus? Um diese Frage
dreht sich die Ausstellung „Re:Present“ im Wiener
Weltmuseum, die in Kooperation mit dem
Street Art Festival Calle Libre entstanden ist. Das
interventionistische Ausstellungskonzept vereint
Wandmalereien, Skulpturen, Video- und Fotoarbeiten,
Live-Performances, Workshops und vieles
mehr. Rassismus und Xenophobie, und antirassistische
Bewegungen werden aus verschiedenen
Blickwinkeln betrachtet.
Während der
Dauer der Sonderausstellung
kann man
jeden Sonntag um 15
Uhr an einer Führung
im Weltmuseum
teilnehmen.
Bis 22. Jänner 2021
im Weltmuseum
zu sehen.
Buch-Tipp:
Judith Sevinç Basad:
„Schäm dich!
Wie Ideologinnen
und Ideologen
bestimmen, was
gut und böse ist.“
Die Journalistin Judith
Sevinç Basad publizierte
schon ihre Masterarbeit
über totalitäre Tendenzen
in der queerfeministischen
Bewegung und
arbeitete in der Ibn-
Rushd-Goethe-Moschee,
die von Seyran Ateş
gegründet wurde. In
ihrem Sachbuch „Schäm
Dich!“ seziert sie fein,
wie Anhänger von
antirassistischen und
antisexistischen Strömungen
Menschen nach
Hautfarbe, Religion und
Geschlecht einteilen und
dabei selbst ihre vermeintlich
progressiven
Haltungen nicht einlösen.
Erschienen beim Westend
Verlag.
© Christoph Liebentritt, Welt, privat, Navot Miller, Mahir Jamal, Westend Verlag
3 FRAGEN AN…
NAVOT MILLER
Navot Miller wurde in dem kleinen israelischen Dorf
Shadmot Mehola geboren und lebt und arbeitet heute als
Künstler in Berlin. Mit seiner Solo-Ausstellung „Everyone
I’ve ever known“ begeisterte er zuletzt in der Salzburger
Elektrohalle Rhomberg. Seine Bilder zeigen häufig die
kleinen Momente des Alltags und werfen einen besonderen
Blick auf Zärtlichkeit und Zusammenleben.
Interview: Nada El-Azar
Was sind die Momente im Alltag, die dich
am meisten inspirieren?
Menschen, nicht Momente inspirieren
mich. Meine Freunde, Liebhaber, Familie,
Menschen, mit denen ich mich befasse,
jene, an die ich denke und solche, die
ich vermisse. Oftmals werden jene, mit
denen ich Zeit verbringe, zu meinen
Musen. Als jüngstes Beispiel dient eine
Serie von Gemälden, die ich anfertigte,
nachdem ich Riccardo in Italien 2 Monate
zuvor getroffen hatte. Die Zeit, die wir
gemeinsam verbrachten und die Momente,
die wir teilten, inspirierten die meisten
Bilder, die ich malte, als ich heimkam.
Hat die Isolation im Lockdown dich
kreativer gemacht, oder mehr gelähmt?
Für eine soziale Person wie mich ist
Isolation etwas Ungewöhnliches. Es ist
gerade mein Sozialleben, das mir als
Künstler wichtig ist. Reisen sehe ich als
Teil meiner Praxis, denn wenn ich neue
Orte besuche, werden sie zur Quelle für
Inspiration. Wenn ich jedoch im Ate-
lier arbeite, ziehe ich es vor, sorgsam
und zügig zu malen, und das passiert
meist, wenn ich dort alleine bin. Vielleicht
ist deshalb die Isolation während
des eigentlichen Prozesses des Malens
schlussendlich doch ein wichtiger Teil
von mir.
Welche Bedeutung haben die jüdischen
Schläfenlocken in deinen Gemälden und
für deinen persönlichen Style?
Sie sind eine Anspielung auf meinen
religiösen Hintergrund. Wenn ich Worte,
Gegenstände, Szenen aus meiner Kindheit
abbilde, versuche ich ihnen stets
einen queeren Touch zu geben. Es ist
eine Befreiung, eine weltoffene Annäherung
an sonst tabuisierte Themen. Meine
Schläfenlocken sind mir ein Paradox;
ihnen wohnt eine schwere religiöse Symbolik
inne, und indem ich sie blondierte,
habe ich ihnen eben diese Queerness
verpasst. Irgendwo ähnelte es dem Prozess,
den ich durchlief, als ich mich als
schwuler Mann geoutet habe.
Neuerscheinung:
„Der Geruch
der Seele“
Damaskus, im Jahre 2010.
Der Sunnit Tarek und die
alewitische Sanaa werden
trotz großer Widerstände
ein Liebespaar in der
vibrierenden Stadt, bevor
sie im Chaos des syrischen
Bürgerkriegs versinkt. Ihre
zärttliche und heimliche
Beziehung findet ein vorschnelles
Ende, als Tarek
in den Militärdienst eingezogen
wird, und Sanaa in
den Fängen des IS landet.
Jad Turjman spürt den
beiden Protagonisten mit
viel Feingefühl nach, die
Handlung auf Messers
Scheide zwischen Fakt und
Fiktion.
Autor, Spoken-Word-Artist
und biber-Kolumnist Jad
Turjman hat mit „Der
Geruch der Seele“ seinen
zweiten Roman herausgebracht.
Erschienen im
Residenz Verlag.
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