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TITELTHEMA<br />
ZUCKERFREI FÜR DEUTSCHLAND!<br />
Mit Ernährungsempfehlungen<br />
ist das ja immer<br />
so eine Sache. Die gelten<br />
mal und plötzlich gelten sie<br />
nicht mehr. Und da wir Eltern<br />
unsere Kinder auf jeden<br />
Fall richtig und gesund ernähren<br />
wollen, kann es ganz schön<br />
zu Gewissenskonflikten führen,<br />
wenn wir uns jahrelang an die Empfehlungen<br />
gehalten haben, um uns dann sagen zu lassen,<br />
dass das falsch war. Hat’s schon gegeben.<br />
Umso wichtiger ist es, die Kirche im Dorf zu lassen,<br />
findet unsere Autorin. Auch, wenn es um<br />
den Zucker geht.<br />
Text Simone Blaß<br />
Unsere Kinder sind ganz normale Menschenkinder, und<br />
die sollten wir auch ganz normal ernähren. Natürlich<br />
möglichst gesund, mit möglichst viel Selbstgekochtem,<br />
mit frischen Zutaten, und am besten regional und bio.<br />
Aber ruhig auch mal mit einem Nachtisch oder einer Leckerei<br />
zwischendurch. Alles eben in einem vernünftigen<br />
Maß. Es bringt nämlich niemandem etwas, wenn wir<br />
einem Kind jahrelang verbieten, Zucker zu essen und es<br />
bei jeder sich bietenden Gelegenheit hinter unserem Rücken<br />
die Süßigkeiten-Vorräte anderer verputzt oder sein<br />
Taschengeld investiert. Zucker macht per se nicht krank,<br />
und eine Droge ist er schon gar nicht. In sehr geringen<br />
Dosen ist er wichtige Nahrung für unsere Zellen und vor<br />
allem für unser Gehirn. Ja, auch der reine Zucker! Das<br />
Problem ist, wenn er sich versteckt, der Zucker. Zum<br />
Beispiel so wie lange Zeit in Babytees, oder heute noch<br />
in Wurst, in Säften, Quetschies, Babykeksen, Müsliriegeln,<br />
sogenannten Light-Produkten – wenig Fett, dafür<br />
viel Zucker – oder natürlich auch in Softdrinks. Dann<br />
kommen wir schnell aufs Doppelte. 35 Kilo pro Jahr,<br />
10 Kilo mehr als noch vor 50 Jahren. Daran nicht unschuldig<br />
ist die Lebensmittelindustrie. Denn was hat<br />
Zucker sogar in vermeintlich gesunden und herzhaften<br />
Lebensmitteln wie etwa Frischkäse verloren? Noch dazu<br />
oft in solchen, in denen die<br />
Zielgruppe ganz klar unsere<br />
Kinder sind? Ganz einfach:<br />
Er ist ein extrem günstiger<br />
Geschmacksträger und Konservierungsstoff.<br />
Und je früher die<br />
Kleinen darauf trainiert werden,<br />
desto sicherere Abnehmer für die<br />
rund 200 Millionen Tonnen Zucker<br />
jährlich haben wir auch in Zukunft.<br />
Es gibt derzeit weltweit rund 40 Millionen übergewichtige<br />
Kinder unter fünf Jahren. In England gingen<br />
die Gesundheitskosten für Fettleibigkeit und ernährungsbedingte<br />
Diabetes so durch die Decke, dass die<br />
Regierung 2015 beschloss, zu handeln. Sie warnte die<br />
Lebensmittelindustrie vor und schlug 2018 mit einer<br />
deftigen Steuer zu, um die Einnahmen dann in Sportprogramme<br />
und -anlagen zu stecken. Und da sind die<br />
Engländer nicht die Einzigen. Auch andere Länder wie<br />
Ungarn, Frankreich, Mexiko oder Norwegen haben<br />
längst durchgegriffen und umgesetzt, was die Weltgesundheitsorganisation<br />
empfiehlt – nämlich Druck<br />
auszuüben. Auf die Firmen durch die Steuer, auf die<br />
Bevölkerung über den Preis. Mit einigem Erfolg. Nicht<br />
nur der Absatz des Extrem-Verzuckerten ging messbar<br />
herunter, die Bevölkerung hat sich auch erstaunlich<br />
schnell an weniger Zucker gewöhnt. Heute hat in<br />
England eine klassische Orangenlimonade nur halb<br />
so viel Zucker wie zum Beispiel in der Schweiz. Und<br />
schmeckt trotzdem.<br />
Jetzt fragt man sich vielleicht: Warum handelt der<br />
Gesetzgeber in Deutschland nicht ein bisschen rigoroser,<br />
um uns und vor allem auch unsere Kinder<br />
zu schützen? Funktioniert doch in anderen Ländern<br />
auch. Das könnte daran liegen, dass hierzulande<br />
schon ein Aufschrei durch die Gesellschaft<br />
geht, wenn jemand es wagt, einen Veggie-Tag in<br />
Kantinen anzudenken. Könnte. Muss aber nicht.<br />
Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass<br />
es uns so sehr versüßt wird, den Ernst der Lage<br />
nicht zu erkennen.