db-WEB 1-2022
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Historisches<br />
Historisches<br />
Wir gehen einkaufen<br />
Tatsächlich ernst gemeint! <br />
Wir „gehen“ einkaufen. – In Zeiten von Amazon und<br />
Outletcenter wird dieser Satz nur selten so formuliert.<br />
Wir veranstalten einen Ganztagsevent oder<br />
strecken uns auf dem Diwan aus und bearbeiten Handy oder<br />
Tablet. Distanzen überwinden Internet oder Paketservice.<br />
Das war vor 50 Jahren durchaus anders. In den Fünfzigern<br />
sammelte sich das Warenangebot in den Schaufenstern<br />
und die Schaufenster wurden zu Fenstern zur Welt. Unsere<br />
Mütter trugen Lebensmittel in großen Einkaufstaschen<br />
durchs Dorf. Größere Dörfer boten meist Geschäfte mit<br />
kombinierten Angeboten: Lebensmittel mit Drogerie samt<br />
Fotoabteilung; Lebensmittel mit Kleidung; Elektrogeräte<br />
mit Haushaltswaren; Büroartikel mit Spielen und Geschenken.<br />
Da blieben keine Wünsche offen. Auch ohne Influencerinnen<br />
wusste man schon im Dorf, was angesagt war. Notfalls<br />
wehrte man sich selbstbewusst gegen geschäftstüchtige<br />
Beeinflussungsversuche. So<br />
tat es die Frau, die eine Schürze<br />
verlangte. Die Verkäuferin<br />
– bemüht um freundliche Verkaufsstrategie<br />
– ging ganz zugewandt<br />
auf den Wunsch der<br />
Kundin ein: „Sehr gerne. Bei<br />
uns bekommen Sie jetzt auch<br />
Rabatt.“ Unmut auf Seiten der<br />
Kundin blubberte hoch: „Ach<br />
wat Battbatt! Ech wöll kinn<br />
Batt! Ech wöll en Schörz!“ Da<br />
hätte nicht einmal Kathi Hummels<br />
den Hauch einer Chance<br />
gehabt. An Selbstbewusstsein,<br />
Bodenständigkeit und gesundem<br />
Menschenverstand tropfen<br />
Influencer*innen ab!<br />
Erfolgreicher agierten da<br />
die heimischen Verkäuferinnen.<br />
Sie kannten Kundinnen<br />
und Sortiment gleichermaßen<br />
und wussten beide erfolgreich<br />
zusammenzubringen. (Haben<br />
Sie nach Männern gefragt?<br />
Die kauften nicht ein. Sie gingen<br />
höchstens mal zum Spengeler.)<br />
So traf man sich also<br />
beim örtlichen Vollsortimenter<br />
und erwarb nicht nur Waren,<br />
sondern auch die wichtigsten<br />
Informationen über<br />
Geburten, Todesfälle und<br />
„Heiraten müssen“. Hunderte<br />
Alle Fotos: Archiv Schöllchen<br />
solche Geschäfte gab es im<br />
Siegerland. Eines wollen wir uns genauer ansehen:<br />
In der Burbacher Ortsmitte im Gebäude der heutigen<br />
Volksbank betrieben zunächst Daniel Ludwig Schütz, später<br />
Albrecht Ebener, danach Karl Ebener einen solchen<br />
„Gemischtwarenladen“, in dem sie „Lebensmittel und Manufakturen“<br />
feilboten.<br />
Über eine Treppe an der Hausecke betreten wir<br />
den Laden und damit eine ganz eigene Welt. Es riecht<br />
schon besonders, eine Mischung von Bohnenkaffee und<br />
Appretur. Gleich hinter der Türe links trennt ein Vorhang<br />
die Umkleidekabine ab. – Schließlich werden hier auch<br />
Badeanzüge verkauft. Kleiderständer reihen sich an der<br />
linken Wand auf. Kleider für junge, alte, große, kleine, dicke,<br />
schlanke Frauen. Alle finden hier was.<br />
In der Ecke links hinten steht der erste Clou: Ein Kühlschrank!<br />
Zauberwerk! Welcher Haushalt hat schon so was?<br />
Schaufensterdekoration ca. 1952<br />
Lebensmittel und Manufakturen Albrecht Ebener in der Jägerstr./Am Römer, Burbach<br />
Hier lagern Quark und Butter. Butter wird im „Viertel“<br />
verkauft. Dazu schneidet die Verkäuferin ein 250-Gramm-<br />
Päckchen sorgfältig in der Mitte durch. Größere Mengen<br />
würden sich ungekühlt nicht halten. Und für Kuchen verwendeten<br />
die Frauen ohnehin keine „gute Butter“ sondern<br />
„Margarinebutter“.<br />
An der Stirnwand uns gegenüber birgt das riesige Regal die<br />
Lebensmittel: Reis, Nudeln, Mehl, Zucker, Salz, Kaffee, Muckefuck,<br />
Senf, Rübenkraut (Kutscheschmeer), Erbsen, Linsen,<br />
und und und. Hier kommen wir aber nicht ran. Den Weg versperren<br />
Theke und Verkäuferin, die uneingeschränkte Herrscherin<br />
dieses Unverpacktladens. Ohne sie geht hier nichts.<br />
Im Bollwerk Theke greift sie nach den Spitztüten für<br />
Zucker, Mehl und Salz.Mitgebrachte Gefäße stellt sie auf<br />
die Waage, rechnet zum Gewicht die gewünschte Menge<br />
dazu und wiegt die Ware grammgenau ab.<br />
Senf – Schweinerei! / Essig oder Öl – große Schweinerei! /<br />
Kutscheschmeer – riesige Schweinerei! <br />
Die Kosten werden auf einem Blöckchen notiert und zusammengerechnet,<br />
damit abends auch die Kasse stimmt.<br />
Dekorativ, schräg vor der Theke ragt der zweite Clou in<br />
den Raum, die Bahlsentheke. Unter Glas lagern hier Waffeln,<br />
Plätzchen mit und ohne Schokolade, Marmelade auch gezuckert.<br />
So was bringt man mit, wen man eingeladen ist. Die<br />
Verkäuferin greift zu einer silbernen Gebäckzange und stellt<br />
die Auswahl nach Wunsch zusammen. Für so einen Service<br />
muss man sich heutzutage schon bei Podzimek einfinden.<br />
An der langen rechten Wand steht das Regal mit Handtüchern<br />
(Die kaufen junge Mädchen einzeln monatlich für<br />
die Aussteuer.) Stoffen (Röcke, Kleider, Blusen nähte Frau<br />
selbst.) Oberhemden (Alles, was recht ist; die zu nähen wäre<br />
zu weit gegangen.) Nylonstrümpfe (Wenn die Laufmaschen<br />
bekamen, nahm Mühlhause Ellen die wieder auf – 10 Pfennige<br />
je Masche – und man konnte sie weiter tragen.)<br />
Gleich schräg daneben stehen in einem Regal Kurzwaren:<br />
Garn, Reißverschlüsse, Haken und Ösen, Strumpfhalter,<br />
Knöpfe, was Frau für ihre Kreativität so braucht. Wenn<br />
wir jetzt den Durchgang zwischen den beiden letzten Regalen<br />
nähmen, kämen wir in den Zwischenraum mit Gardinen,<br />
passenden Stoffen und Kurzwaren und (Hätten Sie<br />
das gedacht?) Schirmen!<br />
Noch einen Raum weiter fänden wir Kinderkleidung,<br />
Spielzeug, Stoff!windeln, Strampler. Das lassen wir aber<br />
lieber bleiben. Am Ende lauert da noch der Klapperstorch<br />
und beißt uns ins Bein. Das hätte gerade noch gefehlt.<br />
Da treten wir lieber den geordneten Rückzug an.<br />
Tilla-Ute Schöllchen<br />
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