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Historisches<br />

Historisches<br />

Wir gehen einkaufen<br />

Tatsächlich ernst gemeint! <br />

Wir „gehen“ einkaufen. – In Zeiten von Amazon und<br />

Outletcenter wird dieser Satz nur selten so formuliert.<br />

Wir veranstalten einen Ganztagsevent oder<br />

strecken uns auf dem Diwan aus und bearbeiten Handy oder<br />

Tablet. Distanzen überwinden Internet oder Paketservice.<br />

Das war vor 50 Jahren durchaus anders. In den Fünfzigern<br />

sammelte sich das Warenangebot in den Schaufenstern<br />

und die Schaufenster wurden zu Fenstern zur Welt. Unsere<br />

Mütter trugen Lebensmittel in großen Einkaufstaschen<br />

durchs Dorf. Größere Dörfer boten meist Geschäfte mit<br />

kombinierten Angeboten: Lebensmittel mit Drogerie samt<br />

Fotoabteilung; Lebensmittel mit Kleidung; Elektrogeräte<br />

mit Haushaltswaren; Büroartikel mit Spielen und Geschenken.<br />

Da blieben keine Wünsche offen. Auch ohne Influencerinnen<br />

wusste man schon im Dorf, was angesagt war. Notfalls<br />

wehrte man sich selbstbewusst gegen geschäftstüchtige<br />

Beeinflussungsversuche. So<br />

tat es die Frau, die eine Schürze<br />

verlangte. Die Verkäuferin<br />

– bemüht um freundliche Verkaufsstrategie<br />

– ging ganz zugewandt<br />

auf den Wunsch der<br />

Kundin ein: „Sehr gerne. Bei<br />

uns bekommen Sie jetzt auch<br />

Rabatt.“ Unmut auf Seiten der<br />

Kundin blubberte hoch: „Ach<br />

wat Battbatt! Ech wöll kinn<br />

Batt! Ech wöll en Schörz!“ Da<br />

hätte nicht einmal Kathi Hummels<br />

den Hauch einer Chance<br />

gehabt. An Selbstbewusstsein,<br />

Bodenständigkeit und gesundem<br />

Menschenverstand tropfen<br />

Influencer*innen ab!<br />

Erfolgreicher agierten da<br />

die heimischen Verkäuferinnen.<br />

Sie kannten Kundinnen<br />

und Sortiment gleichermaßen<br />

und wussten beide erfolgreich<br />

zusammenzubringen. (Haben<br />

Sie nach Männern gefragt?<br />

Die kauften nicht ein. Sie gingen<br />

höchstens mal zum Spengeler.)<br />

So traf man sich also<br />

beim örtlichen Vollsortimenter<br />

und erwarb nicht nur Waren,<br />

sondern auch die wichtigsten<br />

Informationen über<br />

Geburten, Todesfälle und<br />

„Heiraten müssen“. Hunderte<br />

Alle Fotos: Archiv Schöllchen<br />

solche Geschäfte gab es im<br />

Siegerland. Eines wollen wir uns genauer ansehen:<br />

In der Burbacher Ortsmitte im Gebäude der heutigen<br />

Volksbank betrieben zunächst Daniel Ludwig Schütz, später<br />

Albrecht Ebener, danach Karl Ebener einen solchen<br />

„Gemischtwarenladen“, in dem sie „Lebensmittel und Manufakturen“<br />

feilboten.<br />

Über eine Treppe an der Hausecke betreten wir<br />

den Laden und damit eine ganz eigene Welt. Es riecht<br />

schon besonders, eine Mischung von Bohnenkaffee und<br />

Appretur. Gleich hinter der Türe links trennt ein Vorhang<br />

die Umkleidekabine ab. – Schließlich werden hier auch<br />

Badeanzüge verkauft. Kleiderständer reihen sich an der<br />

linken Wand auf. Kleider für junge, alte, große, kleine, dicke,<br />

schlanke Frauen. Alle finden hier was.<br />

In der Ecke links hinten steht der erste Clou: Ein Kühlschrank!<br />

Zauberwerk! Welcher Haushalt hat schon so was?<br />

Schaufensterdekoration ca. 1952<br />

Lebensmittel und Manufakturen Albrecht Ebener in der Jägerstr./Am Römer, Burbach<br />

Hier lagern Quark und Butter. Butter wird im „Viertel“<br />

verkauft. Dazu schneidet die Verkäuferin ein 250-Gramm-<br />

Päckchen sorgfältig in der Mitte durch. Größere Mengen<br />

würden sich ungekühlt nicht halten. Und für Kuchen verwendeten<br />

die Frauen ohnehin keine „gute Butter“ sondern<br />

„Margarinebutter“.<br />

An der Stirnwand uns gegenüber birgt das riesige Regal die<br />

Lebensmittel: Reis, Nudeln, Mehl, Zucker, Salz, Kaffee, Muckefuck,<br />

Senf, Rübenkraut (Kutscheschmeer), Erbsen, Linsen,<br />

und und und. Hier kommen wir aber nicht ran. Den Weg versperren<br />

Theke und Verkäuferin, die uneingeschränkte Herrscherin<br />

dieses Unverpacktladens. Ohne sie geht hier nichts.<br />

Im Bollwerk Theke greift sie nach den Spitztüten für<br />

Zucker, Mehl und Salz.Mitgebrachte Gefäße stellt sie auf<br />

die Waage, rechnet zum Gewicht die gewünschte Menge<br />

dazu und wiegt die Ware grammgenau ab.<br />

Senf – Schweinerei! / Essig oder Öl – große Schweinerei! /<br />

Kutscheschmeer – riesige Schweinerei! <br />

Die Kosten werden auf einem Blöckchen notiert und zusammengerechnet,<br />

damit abends auch die Kasse stimmt.<br />

Dekorativ, schräg vor der Theke ragt der zweite Clou in<br />

den Raum, die Bahlsentheke. Unter Glas lagern hier Waffeln,<br />

Plätzchen mit und ohne Schokolade, Marmelade auch gezuckert.<br />

So was bringt man mit, wen man eingeladen ist. Die<br />

Verkäuferin greift zu einer silbernen Gebäckzange und stellt<br />

die Auswahl nach Wunsch zusammen. Für so einen Service<br />

muss man sich heutzutage schon bei Podzimek einfinden.<br />

An der langen rechten Wand steht das Regal mit Handtüchern<br />

(Die kaufen junge Mädchen einzeln monatlich für<br />

die Aussteuer.) Stoffen (Röcke, Kleider, Blusen nähte Frau<br />

selbst.) Oberhemden (Alles, was recht ist; die zu nähen wäre<br />

zu weit gegangen.) Nylonstrümpfe (Wenn die Laufmaschen<br />

bekamen, nahm Mühlhause Ellen die wieder auf – 10 Pfennige<br />

je Masche – und man konnte sie weiter tragen.)<br />

Gleich schräg daneben stehen in einem Regal Kurzwaren:<br />

Garn, Reißverschlüsse, Haken und Ösen, Strumpfhalter,<br />

Knöpfe, was Frau für ihre Kreativität so braucht. Wenn<br />

wir jetzt den Durchgang zwischen den beiden letzten Regalen<br />

nähmen, kämen wir in den Zwischenraum mit Gardinen,<br />

passenden Stoffen und Kurzwaren und (Hätten Sie<br />

das gedacht?) Schirmen!<br />

Noch einen Raum weiter fänden wir Kinderkleidung,<br />

Spielzeug, Stoff!windeln, Strampler. Das lassen wir aber<br />

lieber bleiben. Am Ende lauert da noch der Klapperstorch<br />

und beißt uns ins Bein. Das hätte gerade noch gefehlt.<br />

Da treten wir lieber den geordneten Rückzug an.<br />

Tilla-Ute Schöllchen<br />

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