db-WEB 1-2022
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Sport<br />
ungeschlagenen Ungarn der Höhepunkt der Trainer-Karriere<br />
von Sepp Herberger. In der Vorrunde hatte das Starensemble<br />
der Magyaren um Ferenc Puskás noch mit 8:3 gegen<br />
Deutschland gesiegt. Allerdings hatte der gewiefte Trainer-<br />
Fuchs Herberger an diesem Tag nur eine bessere B-Elf aufgestellt.<br />
Im WM-Finale, das bei Nieselregen am 4. Juli 1954<br />
im Berner Wankdorfstadion ausgetragen wurde, gelang Helmut<br />
Rahn nach einem 0:2-Rückstand bei typischem „Fritz-<br />
Walter-Wetter“ in der 84. Spielminute der 3:2-Siegtreffer.<br />
Der Trainer der Weltmeister-Elf wurde anschließend in<br />
Hohensachsen mit einem Fackelzug als neuer Ehrenbürger<br />
empfangen, wo er in der seitdem nach ihm umbenannten<br />
„Sepp-Herberger-Straße“ wohnte.<br />
Bei der WM 1958 in Schweden wurde der Titelverteidiger<br />
erst im Halbfinale vom Gastgeber Schweden mit 3:1 Toren<br />
gestoppt und belegte den vierten Platz. Dagegen kam bei<br />
der WM 1962 in Chile das Aus bereits im Viertelfinale gegen<br />
Jugoslawien. Herberger teilte 1963 seinen Rücktritt als<br />
Bundestrainer zum Saisonende 1963/64 mit. Vom deutschen<br />
Fußballpublikum verabschiedete er sich am 12. Mai 1964 in<br />
Hannover mit einem 2:2-Unentschieden gegen Schottland.<br />
Auf der Trainerbank hatte bereits sein Nachfolger Helmut<br />
Schön Platz genommen, der im Herbst 1938 unter Herberger<br />
sein erstes Länderspiel bestritten hatte. Herberger verabschiedete<br />
sich endgültig mit dem 4:1-Erfolg am 7. Juni in<br />
Helsinki gegen Finnland. Der Kreis hatte sich geschlossen:<br />
In Finnland hatte Herberger sein erstes Länderspiel als Nationalspieler<br />
absolviert und 43 Jahre später trat er dort nach<br />
162 von ihm betreuten Länderspielen als Bundestrainer ab.<br />
Am 30. April 1921 hatte Herberger Eva „Ev“ Müller geheiratet.<br />
Die Ehe, die kinderlos blieb, hielt bis zu seinem<br />
Tod. Sepp Herberger starb am 28. April 1977 in Mannheim.<br />
Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof des Weinheimer<br />
Stadtteils Hohensachsen. Sein schräg gestelltes Autogramm<br />
„Seppl Herberger“ ziert dort die schwarze Marmorplatte.<br />
Im Beisein des Altbundestrainers war an seinem 80. Geburtstag<br />
in Mannheim die „DFB-Stiftung Sepp Herberger“<br />
gegründet und ihm zu Ehren ein Sonderstempel der Deutschen<br />
Bundespost herausgegeben worden. Mit der Zeit sind<br />
viele von Herbergers Binsenweisheiten („Der Ball ist rund“,<br />
„Das Spiel dauert<br />
90 Minuten“,<br />
„Das nächste<br />
Spiel ist immer<br />
das schwerste“<br />
oder „Nach<br />
dem Spiel ist<br />
vor dem Spiel“)<br />
zu geflügelten<br />
Worten der Fußballersprache<br />
geworden. Im<br />
2003 entstandenen<br />
Spielfilm<br />
„Das Wunder<br />
von Bern“ wird<br />
auch Herbergers<br />
bedeutendste<br />
Lebensleistung<br />
gewürdigt. Viele<br />
betrachten<br />
den 4. Juli 1954<br />
als eigentliches<br />
Gründungsdatum<br />
der 1949<br />
entstandenen<br />
Bundesrepublik<br />
Deutschland und als wichtigen Beitrag zur Entwicklung des<br />
am Boden liegenden nationalen Selbstwertgefühls hin zu einem<br />
neuen „Wir-sind-wieder-wer“. 2018 erfolgte Sepp Herbergers<br />
Aufnahme in die erste Elf der „Hall of Fame“ des<br />
Deutschen Fußballmuseums in Dortmund, wo im Juli 2019<br />
die Sonderausstellung „Post vom Chef – Herbergers Briefe<br />
an die Weltmeister“ eröffnet wurde.<br />
<br />
Sonderstempel zum 80., Sonderbriefmarken<br />
zum 100. und 125. Geburtstag<br />
von Sepp Herberger. (v. oben)<br />
Wilfried Lerchstein<br />
Literaturquellen: Fritz Walter: Der Chef – Sepp Herberger, 1964. Karl H Schwarz-<br />
Pich: Der Ball ist rund: Eine Seppl-Herberger-Biographie, 1996. Jürgen Leinemann:<br />
Sepp Herberger – Ein Leben, eine Legende, 2004. Manuel Neukirchner (Hrsg.): Post<br />
vom Chef – Briefe von Sepp Herberger an seine Spieler, 2019.<br />
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Sepp_Herberger (aufgerufen am 16.12.2021)<br />
Kommentar<br />
Rente<br />
Die Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer<br />
beschloss 1957 eine Rentenreform und Ludwig<br />
Erhard, stellvertretender Kanzler, versprach<br />
„Wohlstand für Alle“. Der durchschnittliche Deutsche war<br />
damals ziemlich arm dran: lange Arbeitszeiten – oft verbunden<br />
mit körperlicher Schwerstarbeit und geringer Entlohnung<br />
– verkürzten die Lebenserwartung.<br />
Obwohl die Altersgrenze bereits erfunden war, schien<br />
mit der Bezeichnung „Generationenvertrag“ eine neue Ära<br />
angebrochen zu sein. Nebenbei traf es sich gut, dass ab<br />
1957, die im Ersten Weltkrieg millionenfach dezimierten<br />
Geburtsjahrgänge 1892/93 in Rente gingen. Außerdem trugen<br />
die in großer Zahl angeworbenen „Gastarbeiter“ zur<br />
Auffüllung der Rentenkassen bei (was zahlreiche Ausnahmeregelungen<br />
ermöglichte, z.B. für Beamte und Selbstständige).<br />
Ergebnis: Im Oktober 1957 erlangten die Unionsparteien<br />
mit 50,2 Prozent der Wählerstimmen das beste<br />
Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik.<br />
In den folgenden Jahrzehnten hatte die Gruppe der berufstätigen<br />
Deutschen immer nur eine sehr überschaubare<br />
Zahl Kinder zu versorgen. Gleichzeitig nahm die Lebenserwartung<br />
zu und im Gleichschritt damit die Gruppe der<br />
Rentenberechtigten. Wer 1957 als 65-Jähriger in Rente<br />
ging, konnte durchschnittlich noch mit neun weiteren Lebensjahren<br />
rechnen. Seine Nachkommen, die <strong>2022</strong> in Rente<br />
gehen, können sich auf 17 bis 18 weitere Lebensjahre<br />
freuen. Obwohl das Renteneintrittsalter schrittweise auf 67<br />
Jahre erhöht wird, hat der heutige Rentner im Vergleich<br />
mit seinen Großeltern eine um sechs bis sieben Jahre längere<br />
Lebens- und Rentenerwartung.<br />
Frühere Regierungen wurden an ihren Erfolgen gegen<br />
die Arbeitslosigkeit gemessen. Aber im Jahr <strong>2022</strong> fehlen<br />
nicht Jobs, sondern Arbeiter. Von denen hängt die Exportfähigkeit<br />
unseres Landes ab. Es wurde gewissermaßen zu<br />
einem „Exportjunkie“. Dementsprechend bedeuten weniger<br />
Arbeitskräfte weniger Wohlstand, und viele Menschen<br />
befürchten für ihr Alter einen Wohlstandsverlust. Um den<br />
zu vermeiden, muss ein neuer<br />
Generationenvertrag vereinbart<br />
und durchgesetzt werden.<br />
Dabei kann und darf es nicht<br />
(nur) um die Rentenhöhe und<br />
das Eintrittsalter gehen, sondern<br />
um die Entwicklung, die<br />
Ermöglichung eines selbstbestimmten,<br />
mitverantwortlichen<br />
Lebensstils für die nachberuflichenLebenszeit.<br />
Diese Aufgabe<br />
ist Politikern nicht zuzumuten,<br />
denn damit lassen sich keine<br />
Wählerstimmen gewinnen. •<br />
Erich Kerkhoff<br />
68 durchblick 1/<strong>2022</strong><br />
1/<strong>2022</strong> durchblick 69