db-WEB 1-2022
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Leserbeitrag<br />
„Mein Mozart“<br />
Meine erste Begegnung mit Wolfgang Amadeus<br />
Mozart fand – wie könnte es anders sein – in<br />
„Eine kleine Nachtmusik“ statt, und zwar auf einer<br />
der ersten Langspielplatten (LP), die wir für die von<br />
meinem Vater 1955 gekaufte neue große Musiktruhe erwarben.<br />
Meiner ersten Jugendliebe schenkte ich, weil sie<br />
eine so liebliche Stimme hatte, 1958 die „Single“ mit der<br />
Motette „Exsultate, jubilate“ (KV 165), in der von mir<br />
heute noch sehr geschätzten Aufnahme mit Maria Stader<br />
und dem RIAS-Symphonie-Orchester unter der Leitung<br />
von Ferenc Fricsay. Die Kenntnis und Wertschätzung weiterer<br />
Mozartscher und anderer klassischer Werke nahm im<br />
Laufe der Jahre naturgemäß zu.<br />
Während meines Studiums war ich unsterblich verliebt<br />
in ein lebensfrohes, wunderhübsches Mädchen. Als ich nach<br />
etwa fünf Jahren von diesem geliebten Wesen völlig unvermittelt<br />
eine Verlobungsanzeige bekam, auf der nicht mein<br />
Name als der Auserwählte stand, stürzte ich in den Abgrund<br />
eines unsagbar schmerzhaften Liebeskummers, der mir über<br />
Wochen und Monate den Glauben an den Sinn des Lebens<br />
zu rauben schien. Meine rasenden und lähmenden Gefühlsnöte<br />
ertrugen zu dieser Zeit keine „Kleine Nachtmusik“<br />
und erst recht kein „Exsultate, jubilate“. Ich sog in meiner<br />
Die Musiktruhe, akustischer Luxus der 50er Jahre<br />
Die Würzburger Residenz.<br />
3 Fotos: Archiv Fries<br />
Verzweiflung (neben den beiden Chopin-Klavierkonzerten<br />
und der „Winterreise“ von Schubert) Trost suchend das Klavierkonzert<br />
d-moll, KV 466, von Mozart in mich auf. Das<br />
unheimlich düster klingende Eröffnungstutti mit seinen eisigen<br />
Synkopen und die sangliche Melodie des einsetzenden<br />
Klaviers gleichsam als kontrastierende ruhige Antwort auf<br />
die unterschwellige Drohung, die von grollenden Tönen des<br />
g-moll-Mittelteils unterbrochene Romance und das furiose<br />
Final-Rondo entsprachen am ehesten meiner Gemütslage.<br />
(Das Mozart-Requiem – ebenfalls in d-moll – mit seinem<br />
dramatischen „dies irae“ kannte ich damals noch nicht.)<br />
Zunächst hörte ich im Südwestfunk eine Aufnahme mit<br />
Walter Gieseking und dem Philharmonia Orchester London<br />
unter Leitung von Hans Rosbaud, bei der mir die impulsiv<br />
drängende Gestaltung des Mittelteils im zweiten Satz besonders<br />
gut gefällt, weshalb ich den Südwestfunk um eine<br />
erneute Sendung als „Hörerwunsch“ bat, die ich auf Tonband<br />
aufzeichnete. Natürlich erwarb ich noch zwei weitere<br />
Interpretationen auf LP, nämlich von der seinerzeitigen Mozart-Interpretin<br />
Clara Haskil (Lamoureux-Orchester, I. Markewitch)<br />
und der vom scharfzüngigen Kritiker Joachim Kaiser<br />
so hochgelobten Monique de la Bruchollerie (Camerata<br />
Academica des Salzburger Mozar teums, B. Paumgartner).<br />
Foto: Wikipmedia Commons<br />
Im Laufe weiterer Jahre – ich durfte eine neue Liebe finden<br />
und heiraten – lernte ich die hohe Spielkunst des „Philosophen<br />
am Klavier“ (Zitat: J. Kaiser) Alfred Brendel (z. B.<br />
vor allem durch seine prämierten Einspielungen der Schubert-Klaviersonaten)<br />
kennen und so sehr schätzen, dass ich<br />
ihn unbedingt im Konzertsaal hören und erleben wollte.<br />
Dieser Traum schien Wirklichkeit werden zu können, als<br />
mich Würzburger Freunde auf das dortige Mozartfest aufmerksam<br />
machten. Als ich im Sommerprogramm 1981 die<br />
Ankündigung las, dass Alfred Brendel mit dem Symphonie-<br />
Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Leitung des<br />
(von mir ebenfalls hoch geschätzten) Rafael Kubelik das<br />
d-moll-Konzert von Mozart an zwei Tagen spielen würde<br />
(von denen allerdings einer für einen „geschlossenen“ Personenkreis,<br />
u.a. Franz-Josef Strauss, reserviert war), habe<br />
ich sofort für mich und meine Frau Karten bestellt. Die<br />
Enttäuschung war groß, als ich eine Absage bekam. Ich gab<br />
nicht auf und richtete an die zuständige Dame – mit dem beziehungsreichen<br />
Namen Musenbychler – einen eindringlichen<br />
Brief, dass das Programm (neben dem Klavierkonzert<br />
die Sinfonien KV 184 und 201) in Verbindung mit diesen<br />
Interpreten „eine traumhafte Wunschkombination“ sei, „die<br />
man in der musikalischen Provinz“ nicht erleben kann, und<br />
dass „noch so brillante Schallplatten nicht die Atmosphäre<br />
eines Konzertes in solch ansprechendem Rahmen ersetzen“<br />
können. Ich setzte dann noch hinzu, dass „meine Frau und<br />
ich in Abendkleid und Smoking auch einen ggf. besonders<br />
festlichen Rahmen mit einem besonderen Personenkreis<br />
nicht sprengen würden“. Das hatte Erfolg, und zwar mit der<br />
Zusendung von zwei Karten für den Kaisersaal der Würzburger<br />
Residenz (Bauzeit 1720 – 1781). Mein Glück war<br />
unbeschreiblich! Der Himmel war voller Geigen und Klavier.<br />
Ich vermag kaum zu sagen, ob das wunderschöne Konzert,<br />
insbesondere natürlich „mein Mozart“ mit „meinem“<br />
Alfred Brendel und Rafael Kubelik, oder das Ambiente des<br />
Kaisersaals (Innenausstattung von Balthasar Neumann) mit<br />
von hunderten echten Kerzen illuminierten Kron leuchtern<br />
Kaisersaal der Würzburger Residenz.<br />
und dem unbeschreiblichen Deckengemälde von Giovanni<br />
Battista Tiepolo sowie den festlich gekleideten Konzertbesuchern<br />
oder die wunderschöne Frau an meiner Seite überwältigender<br />
waren.<br />
Diesem traumhaften Abend wollte ich selbstredend einen<br />
krönenden Abschluss durch ein Festessen im renommierten<br />
Restaurant „Rebstock“ bereiten, nicht ahnend,<br />
dass mir, dem „Hans im Glück“, die Glücksfee noch ein<br />
„Sahnehäubchen“ bereit hielt. Gerade hatten wir aus der<br />
Speisekarte unsere Bestellung aufgegeben, als die Tür<br />
des Lokals aufging und ich meine Frau anstieß mit dem<br />
Ausruf: „Schau mal, wer da kommt!“ Kaum hatte Alfred<br />
Brendel an einem Tisch Platz genommen, als ich mich für<br />
sein begeisterndes Konzert bedankte und ihn bat, auf mein<br />
Konzertprogramm sein Auto gramm zu setzen. Er kam<br />
diesem Wunsch gern nach und fragte mich nach meinem<br />
Wohnort. Siegen kannte er nicht und konnte es erst zuordnen,<br />
als ich ihm erläuterte, dass es etwa im Kreuz zwischen<br />
Köln – Kassel und Frankfurt – Dortmund liegt.<br />
<br />
Hans-Peter Fries<br />
Foto: Wikipmedia Commons<br />
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