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Leserbeitrag<br />

„Mein Mozart“<br />

Meine erste Begegnung mit Wolfgang Amadeus<br />

Mozart fand – wie könnte es anders sein – in<br />

„Eine kleine Nachtmusik“ statt, und zwar auf einer<br />

der ersten Langspielplatten (LP), die wir für die von<br />

meinem Vater 1955 gekaufte neue große Musiktruhe erwarben.<br />

Meiner ersten Jugendliebe schenkte ich, weil sie<br />

eine so liebliche Stimme hatte, 1958 die „Single“ mit der<br />

Motette „Exsultate, jubilate“ (KV 165), in der von mir<br />

heute noch sehr geschätzten Aufnahme mit Maria Stader<br />

und dem RIAS-Symphonie-Orchester unter der Leitung<br />

von Ferenc Fricsay. Die Kenntnis und Wertschätzung weiterer<br />

Mozartscher und anderer klassischer Werke nahm im<br />

Laufe der Jahre naturgemäß zu.<br />

Während meines Studiums war ich unsterblich verliebt<br />

in ein lebensfrohes, wunderhübsches Mädchen. Als ich nach<br />

etwa fünf Jahren von diesem geliebten Wesen völlig unvermittelt<br />

eine Verlobungsanzeige bekam, auf der nicht mein<br />

Name als der Auserwählte stand, stürzte ich in den Abgrund<br />

eines unsagbar schmerzhaften Liebeskummers, der mir über<br />

Wochen und Monate den Glauben an den Sinn des Lebens<br />

zu rauben schien. Meine rasenden und lähmenden Gefühlsnöte<br />

ertrugen zu dieser Zeit keine „Kleine Nachtmusik“<br />

und erst recht kein „Exsultate, jubilate“. Ich sog in meiner<br />

Die Musiktruhe, akustischer Luxus der 50er Jahre<br />

Die Würzburger Residenz.<br />

3 Fotos: Archiv Fries<br />

Verzweiflung (neben den beiden Chopin-Klavierkonzerten<br />

und der „Winterreise“ von Schubert) Trost suchend das Klavierkonzert<br />

d-moll, KV 466, von Mozart in mich auf. Das<br />

unheimlich düster klingende Eröffnungstutti mit seinen eisigen<br />

Synkopen und die sangliche Melodie des einsetzenden<br />

Klaviers gleichsam als kontrastierende ruhige Antwort auf<br />

die unterschwellige Drohung, die von grollenden Tönen des<br />

g-moll-Mittelteils unterbrochene Romance und das furiose<br />

Final-Rondo entsprachen am ehesten meiner Gemütslage.<br />

(Das Mozart-Requiem – ebenfalls in d-moll – mit seinem<br />

dramatischen „dies irae“ kannte ich damals noch nicht.)<br />

Zunächst hörte ich im Südwestfunk eine Aufnahme mit<br />

Walter Gieseking und dem Philharmonia Orchester London<br />

unter Leitung von Hans Rosbaud, bei der mir die impulsiv<br />

drängende Gestaltung des Mittelteils im zweiten Satz besonders<br />

gut gefällt, weshalb ich den Südwestfunk um eine<br />

erneute Sendung als „Hörerwunsch“ bat, die ich auf Tonband<br />

aufzeichnete. Natürlich erwarb ich noch zwei weitere<br />

Interpretationen auf LP, nämlich von der seinerzeitigen Mozart-Interpretin<br />

Clara Haskil (Lamoureux-Orchester, I. Markewitch)<br />

und der vom scharfzüngigen Kritiker Joachim Kaiser<br />

so hochgelobten Monique de la Bruchollerie (Camerata<br />

Academica des Salzburger Mozar teums, B. Paumgartner).<br />

Foto: Wikipmedia Commons<br />

Im Laufe weiterer Jahre – ich durfte eine neue Liebe finden<br />

und heiraten – lernte ich die hohe Spielkunst des „Philosophen<br />

am Klavier“ (Zitat: J. Kaiser) Alfred Brendel (z. B.<br />

vor allem durch seine prämierten Einspielungen der Schubert-Klaviersonaten)<br />

kennen und so sehr schätzen, dass ich<br />

ihn unbedingt im Konzertsaal hören und erleben wollte.<br />

Dieser Traum schien Wirklichkeit werden zu können, als<br />

mich Würzburger Freunde auf das dortige Mozartfest aufmerksam<br />

machten. Als ich im Sommerprogramm 1981 die<br />

Ankündigung las, dass Alfred Brendel mit dem Symphonie-<br />

Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Leitung des<br />

(von mir ebenfalls hoch geschätzten) Rafael Kubelik das<br />

d-moll-Konzert von Mozart an zwei Tagen spielen würde<br />

(von denen allerdings einer für einen „geschlossenen“ Personenkreis,<br />

u.a. Franz-Josef Strauss, reserviert war), habe<br />

ich sofort für mich und meine Frau Karten bestellt. Die<br />

Enttäuschung war groß, als ich eine Absage bekam. Ich gab<br />

nicht auf und richtete an die zuständige Dame – mit dem beziehungsreichen<br />

Namen Musenbychler – einen eindringlichen<br />

Brief, dass das Programm (neben dem Klavierkonzert<br />

die Sinfonien KV 184 und 201) in Verbindung mit diesen<br />

Interpreten „eine traumhafte Wunschkombination“ sei, „die<br />

man in der musikalischen Provinz“ nicht erleben kann, und<br />

dass „noch so brillante Schallplatten nicht die Atmosphäre<br />

eines Konzertes in solch ansprechendem Rahmen ersetzen“<br />

können. Ich setzte dann noch hinzu, dass „meine Frau und<br />

ich in Abendkleid und Smoking auch einen ggf. besonders<br />

festlichen Rahmen mit einem besonderen Personenkreis<br />

nicht sprengen würden“. Das hatte Erfolg, und zwar mit der<br />

Zusendung von zwei Karten für den Kaisersaal der Würzburger<br />

Residenz (Bauzeit 1720 – 1781). Mein Glück war<br />

unbeschreiblich! Der Himmel war voller Geigen und Klavier.<br />

Ich vermag kaum zu sagen, ob das wunderschöne Konzert,<br />

insbesondere natürlich „mein Mozart“ mit „meinem“<br />

Alfred Brendel und Rafael Kubelik, oder das Ambiente des<br />

Kaisersaals (Innenausstattung von Balthasar Neumann) mit<br />

von hunderten echten Kerzen illuminierten Kron leuchtern<br />

Kaisersaal der Würzburger Residenz.<br />

und dem unbeschreiblichen Deckengemälde von Giovanni<br />

Battista Tiepolo sowie den festlich gekleideten Konzertbesuchern<br />

oder die wunderschöne Frau an meiner Seite überwältigender<br />

waren.<br />

Diesem traumhaften Abend wollte ich selbstredend einen<br />

krönenden Abschluss durch ein Festessen im renommierten<br />

Restaurant „Rebstock“ bereiten, nicht ahnend,<br />

dass mir, dem „Hans im Glück“, die Glücksfee noch ein<br />

„Sahnehäubchen“ bereit hielt. Gerade hatten wir aus der<br />

Speisekarte unsere Bestellung aufgegeben, als die Tür<br />

des Lokals aufging und ich meine Frau anstieß mit dem<br />

Ausruf: „Schau mal, wer da kommt!“ Kaum hatte Alfred<br />

Brendel an einem Tisch Platz genommen, als ich mich für<br />

sein begeisterndes Konzert bedankte und ihn bat, auf mein<br />

Konzertprogramm sein Auto gramm zu setzen. Er kam<br />

diesem Wunsch gern nach und fragte mich nach meinem<br />

Wohnort. Siegen kannte er nicht und konnte es erst zuordnen,<br />

als ich ihm erläuterte, dass es etwa im Kreuz zwischen<br />

Köln – Kassel und Frankfurt – Dortmund liegt.<br />

<br />

Hans-Peter Fries<br />

Foto: Wikipmedia Commons<br />

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