db-WEB 1-2022
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Eine erlösende Nachricht<br />
Im Oktober 2021 erregt die „BLB-Tourismus GmbH“<br />
Aufsehen mit folgender Mitteilung: „Es gibt endlich<br />
etwas zu feiern! Bad Berleburg ist der erste Premium-<br />
Wanderort in ganz Nordrhein-Westfalen. Damit steigt das<br />
Naturparadies in die Avantgarde des Wandertourismus auf.<br />
Deutschlandweit gibt es nur zwei weitere Destinationen,<br />
die das begehrte Qualitätszertifikat des Deutschen Wanderinstituts<br />
besitzen. Ein touristischer Meilenstein!“<br />
Das Wort „endlich“ in der Nachricht bekundet, dass<br />
man schon sehnsüchtig auf diese Auszeichnung gewartet<br />
hat. Dazu löst die Meldung nicht zuletzt wegen des bei<br />
Vielen unbekannten Begriffs „Premium-Wanderort“ Fragen<br />
aus. An späterer Stelle dieses Aufsatzes steht hierzu<br />
näheres. Darüber hinaus gilt es den Begriff „Destination“<br />
zu erläutern, der sicherlich ebenfalls nicht jedem geläufig<br />
sein dürfte. Im Tourismus bezeichnet man hiermit den geographischen<br />
Raum, der das Ziel einer Reise darstellt.<br />
Bad Berleburg –<br />
ein Wanderparadies<br />
Immer wieder kommt im „Wanderort“ der schon recht breite Ederfluss ins Blickfeld.<br />
Erkenntnisse eines Wanderreformators<br />
Im „geographischen Raum“ Bad Berleburg steht ganz<br />
am Anfang der Wittgensteiner Schieferpfad. Und seine Erschaffer<br />
– selbstverständlich! Unter der Bezeichnung „Anlegen<br />
eines Lehrpfads“ machen sich im Ortsteil Raumland<br />
um die Jahrtausendwende Schüler der Ludwig-zu-Sayn-<br />
Wittgenstein-Schule und ihr Lehrer daran, den Pfad herzustellen.<br />
Zwischendurch bemerkt: Bis heute bringt sich diese<br />
Schule mit vielfältigen Projekten an den Wanderwegen ein.<br />
Der „geistige Vater“ bei dem außergewöhnlichen Vorhaben<br />
ist der Wanderreformator Dr. Rainer Brämer aus Lohra<br />
bei Marburg. Dieser betätigt sich in den 80er und 90er Jahren<br />
als Wanderführer bei der Volkshochschule. Und er wundert<br />
sich, dass es immer weniger Teilnehmer bei seinen 30 oder 40<br />
Kilometer langen Touren gibt. Als Wissenschaftler beschließt<br />
er, der Sache auf den Grund zu gehen. Das Ergebnis seiner<br />
Untersuchung veröffentlicht der Natursoziologe im Jahr 1998.<br />
Seine „Profilstudie Wandern“ enthält überraschende Inhalte.<br />
Routen, die über Trampelpfade führen, ziehen viele Wandernde in ihren Bann.<br />
32 durchblick 1/<strong>2022</strong><br />
Foto: Archiv Weber Foto: Archiv Weber<br />
Die befragten Wanderer möchten nicht mehr – wie vielerorts<br />
in den Wandervereinen seit hundert Jahren praktiziert<br />
– ganztägige Wanderungen mitmachen. Stures Kilometerbolzen<br />
auf gut befestigten Wirtschaftswegen ist aus<br />
der Zeit fallend. Maximal fünf oder sechs Stunden werden<br />
von fast allen bevorzugt. Die Befragten suchen durch das<br />
Wandern Entspannung und Erholung. Wenn es dazu noch<br />
auf Trampelpfaden durch einen Wald oder über Wiesen<br />
geht und wenn man unterwegs schöne Ausblicke genießen<br />
kann, dann sind sie dabei.<br />
Dank dieser Erkenntnisse wird es für Rainer Brämer<br />
deutlich, dass Wanderwege den Wünschen der Nutzer<br />
entsprechen müssen. Er wird zum Reformator in puncto<br />
„Wandern“. Mit Thomas Weber hat er einen Gleichgesinnten<br />
kennen gelernt. Der Touristik-Chef im Schmallenberger<br />
Rathaus ist auf der Suche nach Mittel und Wegen, das<br />
Sauerland nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer<br />
für Touristen attraktiv zu machen. Brämer rennt mit seiner<br />
Idee, auf dem Scheitel des Rothaargebirges einen Weitwanderweg<br />
ähnlich dem thüringischen Rennsteig anzulegen,<br />
eine offene Tür ein.<br />
Nach seiner Fertigstellung wird anno 2001 mit dem Rothaarsteig<br />
ein „Neuer Wanderweg“ mit einem hohen Pfadanteil,<br />
vielen Aussichten und einer optimalen Beschilderung<br />
eingeweiht. Bereits während dessen Entstehens bemüht sich<br />
Brämer bei allen am Rothaarsteig liegenden Kommunen,<br />
Mitstreiter zum Anlegen von Rundwanderwegen in der Nähe<br />
dieses Fernwanderwegs zu gewinnen. In Bad Berleburg fallen<br />
Brämers Anregungen auf fruchtbaren Boden. In der schon<br />
genannten Schule lässt sich einer der Pädagogen spontan für<br />
das Projekt begeistern. Und dessen Name ist Rüdiger Grebe.<br />
Der erste Rundwanderweg<br />
Wie der Dotzlarer preis gibt, liegt ihm das Wandern<br />
förmlich im Blut: „Schon von Kindesbeinen an war ich<br />
begeisterter (Querfeldein-) Wanderer und Radfahrer. Anfang<br />
der 90er Jahre fiel mir eine EU-Schrift in die Hand,<br />
die sich mit ,Neuem Wandern‘ in Wales beschäftigte. Die<br />
Rede war von verschlungenen Pfaden und abenteuerlichen<br />
Passagen. Das hat mich seinerzeit förmlich elektrisiert. Als<br />
der Wandersoziologe Rainer Brämer wenige Jahre später<br />
sein Konzept für den Rothaarsteig darlegte, öffnete sich<br />
eine Tür sperrangelweit. Brämer und ich entwickelten mit<br />
dem ‚Wittgensteiner Schieferpfad‘ den ersten Rundweg<br />
für das ‚Neue Wandern‘ in Deutschland. Uns beide einte<br />
eine Vision: Wandern ist ein Zukunftsmarkt.“<br />
Beim Anlegen des Schieferpfads motiviert Grebe neben<br />
den Schülern seiner Klasse Teilnehmer aus den Wahl-<br />
Pflichtfächern. Sie schneiden die Wege frei, holen längst<br />
vergessene Objekte wieder ans Tageslicht, fertigen Begrenzungszäune<br />
und eine Schutzhütte. Dazu legen sie alle<br />
Pfade abseits der Wirtschaftswege neu an.<br />
Als Wegzeichen dient eine stilisierte Fledermaus. Aus<br />
gutem Grund, denn das scheue Säugetier haust in großer<br />
Aus der Region<br />
Wanderreformator Dr. Rainer Brämer.<br />
Anzahl in den alten Stollen des Raumländer Flurstücks<br />
Hörre. Dies ist eines von sage und schreibe vier Naturschutzgebieten,<br />
durch die der knapp 14 Kilometer lange<br />
Rundweg führt. Nicht nur die Einheimischen bezeichnen<br />
wegen des Symbols den Pfad gerne als „Fledermausweg“.<br />
Eine offizielle Einweihung gibt es nach der Fertigstellung<br />
nicht. Stattdessen aber ist das Jahr 2005 als einer der Anfangsschritte<br />
zum „Meilenstein Premium-Wanderort“ zu<br />
nennen, denn seinerzeit wird dem Schieferpfad sein außergewöhnlich<br />
hohes Niveau als erstem „Premium-Wanderweg“<br />
in der gesamten Region bescheinigt.<br />
Als ich im durchblick Nr. 4/2014 über die erste meiner<br />
bisherigen drei Wanderungen auf dem Schieferpfad<br />
berichtet hatte, schrieb mir Dr. Rainer Brämer: „Vielen<br />
Dank für Ihren Beitrag zum Schieferpfad. Er hat mit seiner<br />
informationsreichen, lebendigen Darstellung richtig Appetit<br />
darauf gemacht, den Weg nach Jahren noch einmal zu<br />
begehen. Meine Frau (geboren in Kreuztal) ist ebenfalls<br />
angetan und vielleicht können wir ja auch Herrn Grebe<br />
gewinnen.“ Leider ist es aus diversen Gründen nicht zur<br />
gemeinsamen Wanderung gekommen.<br />
Ein „Siamesischer Zwilling“<br />
Was unter einem Premium-Wanderweg zu verstehen<br />
ist, lässt sich am besten mit der Verleihung einer TÜV-<br />
Plakette vergleichen. Ein Sachkundiger prüft den Weg<br />
und stellt fest, bis zu welchem Grad die 34 (!) für die Auszeichnung<br />
erforderlichen Kriterien erfüllt sind. Es<br />
1/<strong>2022</strong> durchblick 33<br />
Foto: Archiv Brämer