Flensburg Journal - 241 Oktober 2022
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MITTENDRIN Generation
50 plus
Robert Habecks Gedanken über das
Älterwerden und das Leben im Alter
Wirtschaftsminister und
Vizekanzler Robert Habeck
besucht den Flensburger
Seniorenbeirat
Lange bevor Robert Habeck Bundesminister
und Vizekanzler wurde, hatte
er Anne-Margrete Jessen vom Flensburger
Seniorenbeirat anlässlich einer
Bürgersprechstunde seiner Partei
versprochen, den Seniorenbeirat zu
besuchen, um mit dem Gremium das
Thema „Älterwerden“ zu diskutieren.
Mit seiner Amtsübernahme und den
sich danach in der Welt überschlagenden
Ereignissen war allen klar,
dass nun für Habeck andere Themen
im Fokus stehen. Aber der Vizekanzler
hielt Wort und in einem kurzfristig
anberaumten Termin kam er am
17. Juni in das „Dänische Versammlungshaus“
in Flensburg-Weiche, um
sich den Fragen der Anwesenden zu
stellen. Er begann mit einer philosophischen
Betrachtung über das
Älterwerden die gut einstündige Veranstaltung,
um sich dann den Fragen
der Teilnehmenden zu stellen.
Beim Thema Alter und Älterwerden
drängten sich ihm drei Fragen auf.
Zum einen: Was macht das Älterwerden
mit einem persönlich? Häufig
passt das Alter nicht zur persönlichen
Selbstwahrnehmung. Das geht neben
vielen Menschen auch Robert Habeck
so. Das individuelle Lebensgefühl
und das objektive Alter, die Außensicht
und die Selbstsicht passten oftmals
nicht zusammen. Das sei sowohl
positiv wie negativ. Positiv, weil man
Dinge, die man mit dem negativ belegten
Begriff „Alter“ assoziiere wie
z. B. Gebrechlichkeit nicht auf sich
beziehe, negativ könne es aber auch
sein, wenn das zu einer Selbstüberschätzung
führe. Positiv, weil Dinge,
die man mit Jugend verbindet:
Aufbruch, sich neu erfinden, Neugier
etc. ja erhalten geblieben seien. Sein
Fazit: Ein gutes Mittelmaß ist auch
hier der Schlüssel für ein gutes Leben.
Dazu gehöre auch, der nächsten
Generation ihre Luft zum Atmen zu
lassen. Umgekehrt müsse man auch
anerkennen, dass sich das Leben anders
darstelle und dass sich dadurch
andere Notwendigkeiten ergeben
würden. Ein Plädoyer für gegenseitige
Rücksichtnahme und Toleranz –
„Toleranz in uns selbst“. Jeder müsse
sich gut fühlen in dem Leben, in dem
er sich befindet, ohne darauf zu beharren,
dass das auch die optimale
Lösung für alle anderen sei.
Zum anderen: Was macht Alter und
altern mit der Gesellschaft? Alt sein
heute oder leben im Alter und Alt
sein vor einigen Jahrzehnten unterscheide
sich komplett. Es fühle sich
ganz anders an und Menschen altern
heute viel später. „Das ist eine tolle
Sache; Fortschritt der Zivilisation,
eine bessere Medizin, eine sehr stabile
Gesellschaft, ein Land im Frieden.
Wir leben in einer langen, langen
Friedenszeit, was nicht selbstverständlich
ist. Unsere heutige Rüstigkeit
und, dass wir älter und älter werden,
ist ein großes Privileg, das aus
gesundheitlichen, politischen und
ökonomischen Gründen resultiert. Es
ist heute also etwas anderes älter zu
sein, als noch vor einiger Zeit“, so
Habeck. Daraus resultiere die Frage,
was machen wir damit? Man könne
also mehr geben und das sei ja auch
der Fall. Sehr viel ehrenamtliches Engagement
und gesellschaftliche Tätigkeit
werde von älteren Menschen
getragen. Menschen würden etwas
zurückgeben und das gehe sogar bis
in die Politik hinein. Alt sei auch in
der politischen Landschaft negativ
besetzt. Alt werde meist noch gleichgesetzt
mit verstaubt, Status Quo,
rückwärtsgewandt. Daher halte er
das Aufnehmen von Erfahrung in die
Gesellschaft und in den politischen
Raum für extrem wichtig und notwendig.
Mehr Durchlässigkeit dafür
zu schaffen und eine zunehmende
Wertschätzung dafür sei unbedingt
notwendig.
Und schließlich die Frage: Was macht
es mit dem eigenen Gedächtnis, wenn
man 100 Jahre lebt? Die Natur habe
es schließlich so nicht vorgesehen,
dass wir nun durch medizinischen
und technischen Fortschritt so alt
werden. Was passiert, wenn man 3
bis 4 Generationen überspannt in
seinem Leben? Wie kann man diese
große Zeitspanne übereinander kriegen?
Wir sollten diese weit zurückreichenden
Erinnerungen nutzen, um
klüger für die Gegenwart zu werden.
Unbestritten sei, dass man die Erfahrung
des Alters besser nutzen könne.
„Vieles ist schon da. Es gibt jedoch
Bereiche, in denen man Menschen
mit ihren Erfahrungen – wenn sie es
denn wollen – im öffentlichen Raum
stärker einbinden kann. Das ist eine
politische Aufgabe. Der Seniorenbeirat
Flensburg ist ein Beispiel dafür,
wie das gelingen kann.
Habecks Erkenntnis am Ende seiner
philosophischen Betrachtung: „Wir
sind eine Gesellschaft, wo Altwerden
dazu gehört, wo sich auch der Blick
aufs Alter verändert – verbessert,
wie ich meine, weil es mehr alte Menschen
gibt. Wir leben länger und dieses
Altwerden soll dann zunehmend
positiv interpretiert und genutzt
werden.“
Viel zu schnell ging die vereinbarte
Stunde zu Ende. Die Zuhörenden
hatten jedoch noch Gelegenheit verschiedene
Wünsche und Anregungen
zu adressieren, wie z. B. das Recht
auf eine Zukunft auch mit
75, die Erfordernis, auch im
Alter Mobilität zu gewährleisten,
damit die Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben ermöglicht
und Einsamkeit vorgebeugt
werden kann. Durch
niederschwellige Einstiege
die digitale Teilnahme älterer
Menschen zu ermöglichen
und besonders die Forderung,
ältere Menschen bei der Entwicklung
digitaler Hilfen mit
zu beteiligen, mit einzubeziehen.
Ratsherr Glenn Dierking gab
dem Vizekanzler dann noch
den Auftrag mit auf den
Weg, dafür zu sorgen, dass
die Tafeln überflüssig würden,
weil allen Menschen ein
auskömmliches Leben ermöglicht
würde. Ein Auftrag, der
unweigerlich zum Thema Umverteilung
hinüberleitete. Die
fortgeschrittene Zeit verhinderte
hier leider eine Vertiefung
der Problematik.
Fotos und Text:
Seniorenbeirat Flensburg
Robert Habeck mit dem Seniorenbeirat Flensburg, Stadtpräsident Fuhrig
(vorne links) und daneben Heidi Lyck, Sozial- und Altenhilfeplanerin
50 FLENSBURG JOURNAL • 10/2022