28.09.2022 Aufrufe

vsao Journal Nr. 5 - Oktober 2022

Form - Rechnen, fliegen, gestalten Politik - Gesperrte Betten – Handeln tut not Diabetes - Neue Therapieformen Vitamine/Mineralstoffe - Ernährung bei Diabetes mellitus

Form - Rechnen, fliegen, gestalten
Politik - Gesperrte Betten – Handeln tut not
Diabetes - Neue Therapieformen
Vitamine/Mineralstoffe - Ernährung bei Diabetes mellitus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Fokus<br />

Der polnisch-französische Mathematiker<br />

Benoît Mandelbrot<br />

(1924–2015) führte 1975<br />

den Begriff «Fraktal» ein. Dieser<br />

Begriff ist nicht mathematisch formal<br />

definiert, sondern die Beschreibung eines<br />

Phänomens. Er bezeichnet, etwas verkürzt<br />

ausgedrückt, selbstähnliche geometrische<br />

Objekte. Auf selbstähnliche Strukturen<br />

war Mandelbrot zuerst in seinen<br />

Arbeiten zu Strömungsmechanik und Informationstheorie<br />

sowie in Untersuchungen<br />

von Preisschwankungen der Finanzmärkte<br />

in den 1950er- und 1960er-Jahren<br />

gestossen. In den 70er-Jahren wandte er<br />

sich dem Studium fraktaler mathematischer<br />

Objekte zu.<br />

Weder Linie noch Fläche<br />

Der schwedische Mathematiker Helge von<br />

Koch (1870–1924) beschrieb 1904 als erster<br />

formal ein fraktales Objekt – die berühmte<br />

Koch-Kurve – die er als Beispiel einer stetigen,<br />

aber nirgends differenzierbaren<br />

Kurve eingeführt hatte, also einer Kurve,<br />

die ohne Absetzen des Bleistifts gezeichnet<br />

werden kann, jedoch nirgends eine<br />

Tangente besitzt. Sie ist die Grenzkurve,<br />

die entsteht, indem man bei einer Anfangsstrecke<br />

das mittlere Drittel durch die<br />

beiden Schenkel des gleichseitigen Dreiecks<br />

ersetzt, dessen Basis das ersetzte<br />

Drittel ist, und dieses Vorgehen mit jedem<br />

Abschnitt des entstehenden Streckenzugs<br />

wiederholt. In Abbildung 2 sind die ersten<br />

vier Wiederholungsschritte dargestellt.<br />

Die Länge der Grenzkurve ist nicht endlich,<br />

denn jede Wiederholung vergrössert<br />

die Länge mit dem Faktor .<br />

1918 definierte der deutsche Mathematiker<br />

Felix Hausdorff (1868–1942) die<br />

E 0<br />

E 1<br />

nach ihm benannte Hausdorff-Dimension.<br />

Diese ordnet Kurven eine Zahl zu, die<br />

angibt, wie stark eine Kurve die Umgebungen<br />

um die Kurvenpunkte ausfüllt. Die<br />

Hausdorff-Dimension der Koch-Kurve beträgt<br />

≈1,261, damit ist die Koch-Kurve<br />

also weder eine Linie noch eine Fläche.<br />

Das bedeutet, dass der übliche Dimensionsbegriff,<br />

nach dem Strecken und Geraden<br />

die Dimension 1, Quadrate und Ebenen<br />

die Dimension 2, Würfel und der<br />

Raum die Dimension 3 haben, nicht fein<br />

genug ist, um fraktale Objekte zu charakterisieren.<br />

Die Hausdorff-Dimension ist auch für<br />

Teilmengen des Raumes definiert, was für<br />

die Anwendungen von Fraktalen in Medizin<br />

und Technik von Bedeutung ist.<br />

Beschränkte Flächen mit unendlich<br />

langem Rand<br />

Gleich wie die Koch-Kurve wird die Grenzkurve<br />

der Wiederholung von Abbildung 3<br />

definiert. Bei der Minkowski-Kurve werden<br />

die beiden mittleren Viertel einer<br />

E 0<br />

E 1<br />

E 2<br />

E 3<br />

Strecke durch drei Seiten der zugehörigen<br />

Quadrate ersetzt. Ihre Hausdorff-Dimension<br />

beträgt 1,5, das heisst, dass sie die<br />

Umgebungen ihrer Punkte stärker ausfüllt<br />

als die Koch-Kurve.<br />

Abbildung 4: Die Koch-Schneeflocke<br />

(Bild: Heiner Rohner)<br />

Ersetzt man in einem gleichseitigen<br />

Dreieck jede Seite durch die zugehörige<br />

Koch-Kurve, entsteht die sogenannte<br />

«Schneeflocke». Ihr Flächeninhalt ist endlich<br />

– das 1,6-Fache des Flächeninhalts des<br />

Startdreiecks – aber die Länge ihres Randes<br />

ist<br />

3<br />

unendlich!<br />

Kurve wird zur Fläche<br />

Berühmt wurde Mandelbrot durch das in<br />

Abbildung 1 dargestellte «Apfelmännchen»,<br />

welches unendlich viele Verkleinerungen<br />

von sich enthält, was mit Selbstähnlichkeit<br />

bezeichnet wird. Für jeden Punkt C des Koordinatensystems<br />

wird durch eine einfache<br />

Vorschrift – eine von C abhängige quadratische<br />

Funktion – eine Folge von Punkten<br />

C 0<br />

,C 1<br />

,C 2<br />

,… mit Startwert C 0<br />

=(0,0) berechnet.<br />

Bleibt diese Folge im Innern des Kreises mit<br />

Zentrum (0, 0) und Radius 2, wird er schwarz<br />

gefärbt. Andernfalls wird C in Abhängigkeit<br />

des Zeitpunkts des Verlassens dieses Kreises<br />

gefärbt.<br />

Wie die Schneeflocke besitzt auch das<br />

Apfelmännchen eine Begrenzungskurve<br />

unendlicher Länge. Die Begrenzungskurve<br />

mäandert so stark, dass ihre Hausdorff-Dimension<br />

2, also die Dimension einer<br />

Fläche, beträgt!<br />

Abbildung 2: Die Koch-Kurve<br />

(Bild: Heiner Rohner)<br />

E 2<br />

E 3<br />

.<br />

K<br />

Abbildung 3: Die Minkowski-Kurve<br />

(Bild: Heiner Rohner)<br />

.<br />

M<br />

Fraktale in Natur und Technik<br />

In der Natur sind fraktale Strukturen weit<br />

verbreitet. Als Beispiele seien Farne, Flussläufe<br />

oder Bäume (Abbildung 5) genannt.<br />

Da es sich dabei um endliche Objekte handelt,<br />

sind sie nur Annäherungen an Fraktale.<br />

Das zeigt die Koch-Kurve. Deren Hausdorff-Dimension<br />

beträgt bei jeder, nach<br />

endlich vielen Wiederholungen erhaltenen,<br />

Kurve 1, also gleich viel wie bei der<br />

Startstrecke. Erst die Grenzkurve hat eine<br />

höhere Dimension als 1.<br />

24<br />

2<br />

5/22 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!