Andrássy Nachrichten Nr. 23 (2022/2)
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Andrássy Nachrichten / Wintersemester 2022 / Seite 23
lungen abnimmt und die Beitrittsperspektive zunehmend
an Glaubwürdigkeit verloren hat.
Auch Töglhofer räumte ein, sie schätze die tatsächliche
Beitrittsperspektive schlechter ein als noch vor fünf oder
zehn Jahren, da sich viele äußere Faktoren geändert hätten.
So gebe es eine zunehmende Skepsis oder auch ein Desinteresse
der Mitgliedsländer gegenüber möglicher Erweiterungen,
aber auch die politischen Probleme und demokratischen
Rückschritte in einigen Staaten des Westbalkans wie
auch der EU selbst seien Grund für die Zweifel.
Die Referentin identifizierte drei Dilemmata, denen die
EU auf dem Westbalkan begegnet. Eines davon sei der Nexus
zwischen Stabilisierung und Transformation, die einander
in der Theorie bestärken sollten, sich tatsächlich aber negativ
bedingen, sodass Reformen immer wieder durch ungeklärte
Konflikte verhindert werden, so Töglhofer. Aktuell sehe man
das in Bosnien-Herzegowina sehr deutlich, das nach dem
Rückzug der serbischen Entität aus wichtigen Regierungsgremien
(erneut) zu zerfallen drohe. Aber auch im von der
EU unterstützten Dialog zwischen Serbien und Kosovo gebe
es seit Langem keine Fortschritte. So werde der EU regelmäßig
vorgeworfen, sie unterstütze undemokratische „Stabilokratien“,
anstatt echte Reformen zu fördern.
Das zweite Dilemma betreffe die geopolitischen Interessen
der EU. Denn in der Region seien auch andere internationale
Akteure wie Russland, China, die Türkei oder auch die Golfstaaten
präsent und übten durch wirtschaftliche und politische
Verflechtungen Einfluss aus. Infrastrukturprojekte der
Neuen Seidenstraße etwa seien oft intransparent und könnten
zu finanziellen Abhängigkeiten führen, die EU-Interessen
zuwiderlaufen. Auch der große Einfluss Russlands in
Serbien und der serbischen Entität in Bosnien-Herzegowina
werde nicht erst seit Beginn des Krieges mit Sorge betrachtet.
Gemeinsam mit der Glaubwürdigkeit einer Beitrittsperspektive
verliere die EU ihren Status als wichtigster Partner in der
Region. Das hänge auch mit der fehlenden Sichtbarkeit und
Kommunikation der EU-Unterstützung in den Ländern zusammen,
was in der COVID-19-Pandemie zu einem „Kampf
der Narrative“ führte, der vom serbischen Präsidenten genutzt
wurde, um die Verbindung mit China zu stärken.
Ein drittes Dilemma sieht Töglhofer in den divergierenden
strategischen Interessen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten.
Da alle Schritte im Beitrittsprozess Einstimmigkeit im Rat
erfordern, kann ein einzelnes Land jeden potenziellen Kandidaten
blockieren. Die Frage sei, ob die EU nicht erst vertieft
werden müsse, bevor sie erweitert werden kann. Ein Kompromiss
sei 2021 die Anpassung der Methodik des Beitrittsprozesses
auf Drängen Frankreichs gewesen, was aber auch
zu Frust unter den Beitrittskandidaten geführt habe.
Zum Ende ihres Vortrags widmete sich Töglhofer der Frage,
wie sich die Beziehungen in Zukunft entwickeln können.
Deutlich sei, dass die EU und ihre Mitglieder angesichts der
russischen Aggression in der Ukraine auf eine Intensivierung
des Prozesses drängten. Nach Ansicht der Referentin
sind dazu höhere Anreize und ein klares Bekenntnis der
Mitgliedsstaaten zu den strategischen Interessen der EU
nötig. Eine übereilte Integration ohne Transformation sieht
sie als die schlechteste Lösung. Vielmehr müssten attraktive
Zwischenschritte erdacht werden – etwa Strukturinvestitionen,
die mit klaren Konditionen verknüpft sind.
In der anschließenden Diskussion mit den anwesenden
Studierenden und ExpertInnen wurden viele Punkte der
Präsentation erneut aufgegriffen. So wurden die Bedeutung
einer öffentlichkeitswirksamen Kommunikationsstrategie,
die Rolle der USA auf dem Westbalkan sowie potenzielle
Formen der Kooperation in der Region diskutiert.
Frauke Mogli Seebass
Der Vortrag war Teil
der Ringvorlesung Westbalkan
an der AUB in
Kooperation mit dem
Österreichischen Kulturforum.
Über die Rolle der Muslime
in Deutschland und Europa
Aiman A. Mazyek in der Andrássy Universität
Die heutige Zeit ist geprägt von religiöser
Vielfalt und Diversität. Der Vorsitzende
des Zentralrats der Muslime in
Deutschland (ZMD), sprach im Rahmen
der Veranstaltungsreihe „Religion und
Diplomatie“ über die Rolle der Muslime
in Deutschland und in Europa.
Dass Muslime in Deutschland
durchaus patriotisch sein können
und wollen und dabei nicht
nur in Deutschland, sondern auch in
Europa eine Brückenfunktion einnehmen
können, das betonte Aiman A.
Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats
der Muslime in Deutschland (ZMD), in
seinem Vortrag am 30. März 2022 im
Spiegelsaal der Andrássy Universität.
Zunächst begrüßte Dr. Heinrich
Kreft die anwesenden Teilnehmerinnen
und Teilnehmer, darunter eine
Delegation der Evangelischen Kirche
im Rheinland unter der Leitung von
Präses Dr. Thorsten Latzel, welche als
Gäste der Reformierten Kirche Ungarns
anwesend waren. Dabei wies
Kreft auf die Bedeutung der Religion
hin, die von allen Disziplinen jenseits
der Theologie lange vernachlässigt
worden sei. Dass Religion heute ein
wichtiger Faktor in den internationalen
Beziehungen ist, sei deutlich
geworden. Welche Rolle dabei der Is