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Andrássy Nachrichten Nr. 23 (2022/2)

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Andrássy Nachrichten / Wintersemester 2022 / Seite 57

flikts zu verhindern, der spätestens

2014 mit der Okkupation und Annexion

der Krim durch Russland und

durch den von Moskau angefachten

und unterstützten Separatismus

im ukrainischen Donbas begonnen

hat. Der gewalttätige Konflikt im

Donbas – in Westeuropa jahrelang

verharmlosend als „frozen conflict“

bezeichnet – war für die Ukrainer

ein blutiger Krieg mit mehr als

14.000 Toten und Verwundeten.

Diplomatische Bemühungen im

sogenannten „Normandie-Format“

unter deutscher und französischer

Führung führten zwar zum „Minsker

Abkommen“, aber das hat die Kämpfe

im Donbas allenfalls zeitweise eindämmen,

aber nie beenden können.

Auch seit dem Aufmarsch russischer

Truppen an der Grenze zur

Ukraine und schließlich in Belarus

hat es weiter vielfältige diplomatische

Bemühungen gegeben, um

einer weiteren Eskalation entgegenzuwirken.

So trafen die Präsidenten

Biden und Putin am 17. Juni 2022 in

Genf zusammen und telefonierten

bis zum 24. Februar 2022 mehrfach

miteinander, wie auch die Außenund

Verteidigungsminister der beiden

Länder. Auch mehrere europäische

Regierungschefs – u.a. Olaf

Scholz, Emmanuel Macron, Viktor

Orbán – suchten das Gespräch mit

Wladimir Putin. Auch in und von

internationalen Organisationen wie

UNO, OSZE und NATO hat es diplomatische

Bemühungen zur Deeskalation

gegeben. Alles vergeblich

wie wir heute wissen.

Diplomatie erscheint oft wie eine

Sisyphosarbeit. Haben diplomatische

Bemühungen ihr Ziel verfehlt,

– z.B. einen Krieg zu verhindern

– beginnen sofort Anstrengungen,

diesen Krieg wieder zu beenden.

So gab es bereits in den ersten Tagen

des russischen Angriffs auf die

Ukraine Vermittlungsbemühungen

von Israel und anschließend

der Türkei. Beide unterhalten gute

Beziehungen zu Moskau und Kiew

und beide haben eigene Gründe,

um mit beiden Seiten im Gespräch

zu bleiben. Diplomatische Bemühungen

um ein Ende der Kampfhandlungen

herbeizuführen, wurden

auch von Präsident Macron,

den Bundeskanzlern Scholz und

Nehammer und anderen unternommen.

Ähnliche Bemühungen gab es

auch von Seiten des Generalsekretärs

der Vereinten Nationen António

Guterres, der dazu nach Moskau

und Kiew reiste. Der Beschuss der

ukrainischen Hauptstadt während

seiner Anwesenheit unterstreicht

allerdings, was der Kreml von dieser

Initiative hielt. Auch NGOs

– wie das Internationale Komitee

vom Roten Kreuz mit dem ehemaligen

Schweizer Diplomaten Peter

Maurer an der Spitze – versuchten

auf diplomatischem Weg durch die

Vereinbarung von humanitären

Korridoren die Evakuierung von

Zivilisten zu bewerkstelligen – mit

nur gelegentlichem Erfolg.

Neben dieser klassischen Gesprächsdiplomatie

können auch

andere Aktionen, die das Ziel verfolgen,

ein Ende der Kampfhandlungen

zu erreichen, zur Diplomatie

gezählt werden. Dazu gehören sicherlich

die diversen Sanktionen gegen

Russland und einzelne russische

Staatsbürger und der Ausschluss

Russlands aus internationalen Organisationen

wie dem Europarat. Aber

auch mit den Waffenlieferungen an

die Ukraine wird das Ziel verfolgt,

Russland zum Ende seiner Aggression

zu bewegen. Solidaritätsbekundungen

mit der Ukraine u.a. durch

die Reisen von Regierungschefs

(wie die Polens, Sloweniens und der

Slowakei) und später anderer Politiker

nach Kiew und die Einladung

Präsident Wolodymyr Selenskyjs zu

(Online-)Reden vor dem Bundestag,

dem US-Kongress, dem Europaparlament,

beim NATO-Außenminister-Treffen

und vielen mehr

sind Teil dieser Diplomatie und

gleichzeitig der Bemühungen, der

Verbreitung des russischen Narrativs

im Westen entgegenzuwirken.

Dazu wurde ein europaweites Sendeverbot

von Russia Today (RT)

und Sputnik ausgesprochen und Finanzmittel

für russische Exilsender

und Sender wie Radio Free Europe/

Radio Liberty erhöht.

All diese Bemühungen haben sicherlich

dazu beigetragen, dass die

Ukraine den russischen Invasoren

(bisher) Paroli bieten konnte, konnten

aber nicht den Krieg beenden.

An dieser Stelle möchte ich auf das

zweite Clausewitz-Zitat zurückkommen:

„Sobald der Kraftaufwand

so groß wird, dass der Wert

des politischen Zwecks ihm nicht

mehr das Gleichgewicht halten

kann: So muss dieser aufgegeben

werden und der Friede die Folge davon

sein.“

D.h. solange zumindest eine

Partei glaubt, ihre Ziele (besser)

auf dem Schlachtfeld als am Verhandlungstisch

zu erreichen, wird

sie schwerlich zur Einstellung der

Kampfhandlungen bereit sein, bzw.

dazu bewegt werden können. Putin

dürfte der Meinung sein, seine Ziele

durch eine Fortsetzung der Kämpfe

zu erreichen, aber auch Ukraines

Präsident Selenskyj äußerte sich

Ende Mai dahingehend, dass der

Krieg zwar nur auf diplomatischem

Weg beendet werden könne – der

Zeitpunkt dafür aber noch nicht gekommen

sei. Für mögliche Vermittler

– China sowie einige internationale

Organisationen werden hier

gelegentlich genannt – kommt es

darauf an, die Kerninteressen beider

Seiten (die sich im Laufe eines

Krieges ändern können) zu identifizieren

und diese in Verhandlungen

einander anzunähern. Diese liegen

allerdings derzeit noch weit auseinander.

Ukraine: Wiederherstellung

der nationalen Souveränität

vs. Russland: Zurückdrängung der

NATO aus der Ukraine; oder doch

die Liquidation der Ukraine als

souveräner Staat?

Verhandeln müssen letztendlich

Russland und die Ukraine selbst.

Die Gespräche auf unterer (offizieller)

Ebene sind zwar abgebrochen

worden, aber es ist unwahrscheinlich,

dass die Gesprächskontakte

völlig eingestellt worden sind.

Häufig ist eine Beendigung eines

Krieges, in dem keine Seite eindeutig

die Oberhand gewinnt, erst möglich,

wenn beide Seiten erschöpft

sind – ein Beispiel dafür ist der

Bosnienkrieg. Das kann sich in der

Ukraine noch bis zum Herbst oder

gar länger hinziehen. Hier zeigt sich

einmal mehr: Der politische Wille

ist die Grenze der Diplomatie.

Heinrich Kreft

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