Andrássy Nachrichten Nr. 23 (2022/2)
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Andrássy Nachrichten / Wintersemester 2022 / Seite 31
„Nur gegenseitiges Verständnis und Vertrauen
kann die Grundlage einer neuen europäischen
Sicherheitsordnung bilden" Dr. Heinrich Kreft
ische Friedens- und Sicherheitsordnung
gescheitert sei.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
sei die Aufgabe des Westens
gewesen, Rahmenbedingungen zu
schaffen, in denen die unterschiedlichen
europäischen Sicherheitsinteressen
vereinbart werden und ein vereintes
und friedliches Europa entstehen
könne. Ein wichtiger Unterschied zu
Deutschland nach 1918 sei jedoch,
dass Russland keine demokratische
Tradition, stattdessen jedoch Atomwaffen
besessen habe. Außerdem habe
der Fokus des Westens nach dem Fall
des Eisernen Vorhangs zunächst auf
der Deutschen Einheit und der Zukunft
der NATO gelegen.
Deren Auflösung zugunsten einer
neuen, gesamteuropäischen Sicherheitsinstitution
sei nie ernsthaft in
Erwägung gezogen worden. Stattdessen
hätten die USA die NATO
genutzt, um Einfluss auf die (sicherheits-)politischen
Entwicklungen in
Europa zu nehmen. Als 1999 Tschechien,
Polen und Ungarn der Allianz
beigetreten seien, habe man sich im
Beitrittsdokument um diplomatische
Formulierungen bemüht, um Moskau
nicht zu verärgern.
Die Beziehungen seien zunächst
konstruktiv geblieben. Mit der
NATO-Russland-Grundakte sei
1997 der diplomatische Rahmen geschaffen
worden. Diese sei 2002 im
NATO-Russland-Rat aufgegangen,
in dem Entscheidungen gleichberechtigt
nach dem Konsensprinzip
getroffen wurden. Dennoch hätten
sich die NATO-Russland-Beziehungen
in den kommenden Jahren verschlechtert.
Moskau sei seltener in
Konsultationen einbezogen worden,
auch wenn diese Sicherheitsinteressen
Russlands betroffen hätten. Einen
Bruch habe der NATO-Einsatz
im Kosovo dargestellt, der nicht
über ein UN-Mandat verfügt habe
und bei dem die besonderen Beziehungen
zwischen Serbien und Russland
ignoriert worden seien, welches
den Konflikt als eine innerserbische
Angelegenheit verstanden habe. Unter
dem US-Präsidenten George W.
Bush habe sich die Rhetorik zwischen
Russland und dem Westen
verschärft, das sich durch den Beitritt
Rumäniens und Bulgariens zur
NATO zusehends als „eingekreist“
und seine sicherheitspolitischen Interessen
als bedroht gesehen habe.
In Protest gegen die NATO-Osterweiterung
habe Russland 2007 den Vertrag
über konventionelle Abrüstung in
Europa suspendiert. Die Zeit nach dem
Kalten Krieg sei zusehends als Demütigung
Russlands dargestellt worden, wie
in der bekannten Rede Putins auf der
Münchner Sicherheitskonferenz 2007,
in der er den USA das Streben nach absoluter
Dominanz vorgeworfen habe.
Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest
2008 hätten die USA die Aufnahme
der Ukraine und Georgiens gefordert,
jedoch keine Unterstützung durch europäische
Partner erhalten, die Russland
nicht weiter verärgern, vor allem
Foto: Norbert Hartyányi/ képszerk.hu
aber keine Sicherheitsgarantien unter
Artikel 5 hätten übernehmen wollen.
Als Kompromiss sei in der Abschlusserklärung
eine Mitgliedschaft in
Aussicht gestellt worden, an die viele
der unterzeichnenden Staaten jedoch
nicht wirklich geglaubt hätten. Nur
wenig später seien die Folgen jedoch
sichtbar geworden, als der georgische
Präsident Saakaschwili eine Eskalation
des Streites um die abtrünnigen
Provinzen Südossetien und Abchasien
provoziert und Russland das Land angegriffen
habe.
Mit dem Streit um das Assoziierungsabkommen
zwischen der Ukraine
und der EU und den als „Euromaidan“
bekannten Protesten in Kiew sei
die Ukraine verstärkt ins Spannungsfeld
zwischen Ost und West geraten
und mit der Besetzung der Krim und
der darauffolgenden Aufrüstung in
den östlichen NATO-Staaten sei die
Kooperation mit Russland endgültig
einer Konfrontation gewichen. Cyber-
und Desinformationsangriffe, vor
allem aber der militärische Einfluss in
Ländern wie Libyen, Syrien und der
Zentralafrikanischen Republik hätten
das russische Selbstbewusstsein gestärkt
und die Aussage von US-Präsident
Obama Lügen gestraft, der Russland
als „Regionalmacht“ bezeichnet
habe. Mit der Eskalation des Ukraine-
Konflikts habe sich Putin nun angeschickt,
das Land erneut als internationale
Großmacht zu etablieren.
Hätte dieser Krieg diplomatisch
verhindert werden können, wenn die
Politik der Kooperation weitergeführt
worden wäre? Laut Kreft lässt sich diese
Frage nachträglich kaum beantworten.
Sicher sei nur, dass der Krieg alles verändert
und das Vertrauen langfristig
zerstört habe. Wenn sich eine Lehre aus
dem Vergleich der 1920er Jahre mit den
letzten 20 Jahren ziehen lasse, dann die,
dass nur gegenseitiges Verständnis und
Vertrauen die Grundlage einer neuen
europäischen Sicherheitsordnung bilden
könnten. Erst ein Ende der Kriegshandlungen
werde einen neuen Anlauf
zu diesem langwierigen Prozess erlauben,
der viele Jahre in Anspruch nehmen
werde. Kreft ist sich jedoch sicher:
„Dazu gibt es keine Alternative denn
Russland ist ein Teil Europas, und Geographie
ist Schicksal“.
Frauke Mogli Seebass