Andrássy Nachrichten Nr. 23 (2022/2)
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Andrássy Nachrichten / Wintersemester 2022 / Seite 45
und jüdische Gotteshäuser seien in
unmittelbarer Nähe zueinander gebaut
worden, daher könne man vom
Jerusalem Europas sprechen, schlussfolgerte
die Referentin.
Šuško sprach weiter über die Zeit
von 1878 bis 1914, zu der Bosnien
Teil Österreich-Ungarns war, was
für das Land und seine Bevölkerung
sehr prägend gewesen sei. Diese Zeit
habe radikale Veränderungen, Modernisierung,
eine Ausrichtung auf
Europa und die Integration in den
mitteleuropäischen Kontext bedeutet.
Die Doppelmonarchie habe vorgehabt,
ihre Kultur nach Bosnien zu
„verpflanzen“. Dabei sei zu bedenken,
dass man Bosnien auf dem Berliner
Kongress im Jahr 1878 noch als Land
des Nahen Ostens bezeichnet habe,
merkte die Referentin an.
Schließlich ging Šuško noch näher
auf die einzelnen Religionsgemeinschaften
in Bosnien ein. Da sei zum
Beispiel die ukrainische griechisch-katholische
Christkönigskirche in Banja
Luka, die 1917 erbaut worden war. Die
ersten UkrainerInnen seien nach dem
Berliner Kongress 1878 in Bosnien und
Herzegowina aufgetaucht. Bis dahin sei
das Gebiet mit seinen unfruchtbaren
Böden nur dünn besiedelt gewesen. Die
österreichische Regierung habe dann
mit umfangreichen Maßnahmen begonnen,
um die unfruchtbaren Gebiete
so schnell wie möglich zu besiedeln.
Ein Zeichen interreligiöser Verbundenheit
sei in der Kleidung zu finden
gewesen – muslimische, christliche
und jüdische Frauen trügen oft ähnliche
Kleidung (zum Vergleich wurden
drei Fotos aus dem späten 19. und
frühen 20. Jahrhundert gezeigt, bei
denen auf den ersten Blick nicht klar
war, welche Frau nun welcher Religionsgemeinschaft
angehöre). Šuško
betonte an dieser Stelle erneut, dass es
sich nicht nur um ein interreligiöses
Nebeneinander, sondern um ein enges
Zusammenleben von Menschen verschiedener
Glaubensrichtungen gehandelt
habe. So hätten die Menschen
keineswegs in getrennten, sondern in
gemischten Wohnvierteln gelebt und
seien sich selbst in schwierigen Zeiten
mit gegenseitigem Respekt begegnet.
Allerdings habe es in der Geschichte
auch mehrere Versuche gegeben, diese
friedliche Koexistenz zu zerstören.
Ein Beispiel dafür sei Jugoslawien gewesen
(1918 bis 1992). Während des
Krieges sei Religion durch radikale
Ideologien und zur Rechtfertigung
von Völkermord missbraucht worden.
Doch trotz der Konzentrationslager
und Kriegsverbrechen, die es gegeben
habe, habe es auch immer wieder Beispiele
für Nächstenliebe über Religionen
hinweg gegeben.
Für den interreligiösen Dialog sei
im Jahr 1997 von vier traditionellen
Religionsgemeinschaften in Bosnien
und Herzegowina, nämlich der islamischen
Gemeinschaft, der orthodoxen
Kirche, der katholischen Kirche
und der jüdischen Gemeinschaft, ein
interreligiöser Rat gegründet worden,
in dem Šuško selbst aktiv beteiligt sei.
Auch das heutige Islamverständnis
im Land sprach Šuško an. Dieses
sei geprägt von den vielen Neuinterpretationen
und Reformen, welche
die verschiedenen historischen Abschnitte
und Umbrüche in der Geschichte
des Landes mit sich gebracht
hätten. Der Islam in Bosnien und
Herzegowina sei letztlich ein „Islam
mit europäischem Charakter“.
Am Ende ihres Vortrags sprach
Šuško über die heutigen Herausforderungen,
die Frieden und Dialog
gefährden, sowie über die Möglichkeiten
für die Fortsetzung des interreligiösen
Dialogs und die Beibehaltung
eines Jerusalem in Europa. Ihren
Vortrag schloss sie mit den Worten,
der Dialog habe keine Alternative.
Während der anschließenden Podiumsdiskussion
stellten die Teilnehmenden
Fragen über die Rolle und
die Lage des Islams in Europa, die bevorstehenden
Wahlen in Bosnien und
Herzegowina im Oktober und weitere
Themen. Im Anschluss bot die Ottovon-Habsburg-Stiftung
die Möglichkeit,
sich bei einem Empfang weiter
auszutauschen.
Eldaniz Gusseinov,
Schilan Stach
Wohin weiter Europa
und Transatlantisches Bündnis
Bericht über eine Vorlesungsreihe für Teilnehmende des Fachkollegiums
für Diplomatie in der Praxis unter Beteiligung der Andrássy Universität
Das an der Corvinus Universität angesiedelte, und
insgesamt sechs namhafte Universitäten umfassende
Fachkollegium für Diplomatie in der Praxis („Gyakorlati
Diplomácia Szakkollégiuma“) organisierte am 29.
September 2021 eine Podiumsdiskussion mit dem Titel
„Wohin weiter Deutschland“ nur wenige Tage nach den
Bundestagswahlen, bei der die Teilnehmenden die Frage
ergründeten, in welche Richtung sich die deutsche Außen-
und Europapolitik in Folge der Bundestagswahlen
entwickeln kann.
Im Wintersemester 2022 knüpfte das Fachkollegium mit
dieser Veranstaltung an eine Vorlesungsreihe für Studierende
der teilnehmenden Partneruniversitäten auf dem
Gebiet des internationalen Rechts und Europarechts unter
Leitung von Dr. Miklós Szirbik an. Die 20 Studierenden erhielten
einen Einstieg in die genannten Rechtsgebiete mit
einem Fokus auf internationale Zusammenarbeitsformen
und Europäische Integration, wobei sie neben der theoretischen
Grundlegung auch durch praxisnahe Simulationen
einen Einblick in die Welt der intergouvernementalen und