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Romeo und Julian<br />

Literatur<br />

„Mungo schaffte es nicht, den Abstand zwischen ihnen zu über -<br />

brücken. Das Äußerste, was er tun konnte, war, seine Hand neben<br />

James’ Hand zu legen, sodass sich ihre kleinen Finger beinahe<br />

berührten. Sie lagen so dicht beieinander, dass es so gut wie eine<br />

Berührung war. Die Wärme von James’ Hand überwand den Abstand<br />

und flutete Mungos ganzen Körper.“ Vieles ist aus Douglas Stuarts im<br />

Jahr 2020 mit dem Booker Preis prämierten Roman „Shuggie Bain“<br />

bereits vertraut: Auch „Young Mungo“ spielt in einem Glasgower<br />

Arbeiterviertel, und mit Mo-Maw kommt erneut eine Alkoholiker -<br />

mutter vor – die diesmal allerdings vor allem ab wesend ist. Doch<br />

Stuarts überbietet sein so gefeiertes Debüt sogar noch, wenn er von<br />

Mo-Maws jüngstem Sohn erzählt, dem 15-jährigen Mungo, einen soft boy, für den in dieser<br />

homophoben Welt eigentlich keinen Platz gibt. Es ist diese poetische Zärtlichkeit, mit der Stuart<br />

von Mungos Liebe zu James erzählt, der ausgerechnet auch noch Katholik ist. Und Stuart hat<br />

selbst für Mungos großen Bruder Hamish noch Liebe übrig, einen gewalttätigen Bandenführer,<br />

der Jagd auf Katholiken macht. cs<br />

Douglas Stuart Young Mungo<br />

Hanser Berlin, 2023, 416 S., 26 Euro | Aus d. Engl. v. Sophie Zeitz<br />

» So kennt man<br />

das bei Regener –<br />

doch nie zuvor<br />

hat es so viel<br />

Spaß gemacht.«<br />

kulturne<br />

ws<br />

Berlin sehen … und sterben?<br />

„Dass Sie, der Sie dies lesen, dies lesen, ist fast schon ein Beweis: ein<br />

Beweis dafür, dass Sie dazugehören.“ Mit diesem Zitat beendet Vincenzo<br />

Latronico seinen Großstadtroman „Die Perfektionen“ – und entwaffnet<br />

damit nicht nur seine Hauptfiguren Anna und Tom. Der deskriptive Roman<br />

porträtiert ein nach Berlin gezogenes Pärchen und den diffusen Traum einer<br />

ganzen Generation: Anna und Tom sind Digital Designer – Unterschiede<br />

herzustellen ist ihr Job und die helle, von Pflanzen gesäumte Altbau -<br />

wohnung ihr Büro. Geshoppt wird in Manufakturen, gekocht nur international<br />

und gefickt nie hegemonial. Das politische Engage ment der beiden beschränkt sich auf den<br />

Verzicht auf Uber und Thunfisch, und das Ketamin ist schneller besorgt als der Meldebescheid.<br />

Latronicos nüchterner Roman lässt sich als Milieustudie einer urbanen Gruppe lesen, die zwischen<br />

all den durchgestylten Distinktions anstren gungen und verzweifelten Versuchen, das<br />

Ursprüngliche wieder herzustellen, voll und ganz in der spätkapitalistischen Verwertungslogik<br />

aufgeht, die das Singuläre prämiert und Gentrifizierung reproduziert. fe<br />

Vincenzo Latronico Die Perfektionen<br />

Claassen, 2023, 128 S., 22 Euro | Aus d. Ital. v. Verena von Koskull<br />

Schön ist die Jugend<br />

„Ich brauchte ganz schön lange, um Papa zu erwürgen.“ Mit diesem Wahn -<br />

sinnssatz eröffnet Lana Bastašić die erste von zwölf Kurzgeschichten, die sich<br />

allesamt mit der Kindheit befassen – wie der Eingang vermuten lässt, vor<br />

allem mit ihren Abgründen. Die bosnische Autorin serviert keine leichte Kost:<br />

In jeder Geschichte werden Kinder misshandelt, schikaniert, ignoriert, von<br />

pädophilen Großtanten, drogensüchtigen Müttern oder gewalttätigen Vätern.<br />

Und wenn sie zurückschlagen, dann mit der Wut der Verzweiflung. Manch -<br />

mal erzählt Bastašić ganz nüchtern, dann lässt sie unmerklich Magie einfließen,<br />

immer stecken ihre Erzählungen voller poetischer, detaillierter Bilder. Dabei sind Politik und<br />

Geschichte weniger zentral als in ihrem grandiosen Debütroman „Fang den Hasen“; trotzdem ist<br />

jederzeit klar, dass die Gewalt nur ein Symptom einer verwahrlosten Gesellschaft ist. Und Bastašić<br />

erweist sich erneut als eine der furchtlosesten Autorinnen Europas. mj<br />

Lana Bastašić Mann im Mond<br />

S. Fischer, 2023, 208 S., 24 Euro | Aus d. Bosn. v. Rebekka Zeinzinger<br />

Taschenbuch. € (D) 15, ,-<br />

Verfügbar auch als E-Book<br />

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<strong>kulturnews</strong> | 53

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