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Das Magazin für Popkultur
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Krimi<br />
Die Spur<br />
wird kalt<br />
James Kestrel lässt seinen<br />
Detective einen gnadenlosen<br />
Killer jagen – doch der hat<br />
die Weltgeschichte auf<br />
seiner Seite …<br />
H A R D B O I L E D H I G H L I G H T<br />
#3/2023<br />
CHECK-BRIEF<br />
JAMES KESTREL<br />
Richtiger Name Jonathan Moore<br />
Alter 45<br />
Wohnort Hawaii<br />
Besitzt Taiwans erstes<br />
mexikanisches Restaurant<br />
Auszeichnungen Barry Award und Edgar<br />
Award – Best Thriller / Best Mystery<br />
2022 für: „Fünf Winter“<br />
Berufe Englischlehrer, Wildwasser-<br />
Rafting-Führer, Betreuer in einem<br />
Wildniscamp, Ermittler für einen<br />
Strafverteidiger, Anwalt, Romancier<br />
Weiteres Buch auf Deutsch<br />
„Poison Artist“<br />
(Suhrkamp, 2022)<br />
›<br />
45 Cent für drei Zentiliter Whiskey –<br />
mehr als ein Stundenlohn für<br />
Detective Joe McGrady. Seinen wohlverdienten<br />
Feierabenddrink muss er jetzt<br />
auch noch runterstürzen, da Captain<br />
Beamer ihn zum Tatort eines grausigen<br />
Mordes schickt. Es ist Ende November<br />
1941, und in einem Schuppen hängt<br />
kopfüber ein Mann an einem Fleischer -<br />
haken. Er und eine gefesselte Japanerin<br />
wurden brutal misshandelt und mit<br />
der rasiermesserscharfen Klinge eines Geschichte.“<br />
Mark-1-Grabendolchs aufgeschlitzt, der<br />
im Krieg als Nahkampfwaffe eingesetzt<br />
wird. Noch in der Nähe blickt McGrady<br />
in das Mündungsfeuer einer Waffe, und<br />
bei der Schießerei klingeln ihm die Ohren.<br />
Er hat einen Mittäter überrascht, der sich<br />
gerade an die Spurenbeseitigung machen<br />
wollte. Doch McGrady zieht seine alte<br />
Armeepistole aus dem Hosenbund und durchlöchert nicht nur den<br />
Packard des Angreifers – für den Oldtimerfans heute sicher ein Heiden -<br />
geld blechen würden.<br />
Der Fall wird brisant: Die Opfer sind der 21-jährige Lieblingsneffe des<br />
Oberbefehlshabers der Pazifikflotte und dessen unbekannte Freundin.<br />
Der unsympathische Beamer hält McGrady da lieber mal wieder an der<br />
kurzen Leine. Er stellt ihm Fred Ball zur Seite, der sich nach Verneh -<br />
mungen immer erst die Faust mit Eiswürfeln kühlen muss. Ein weiterer<br />
Mord mit einem Grabendolch weist zu einem Verdächtigen mit dem<br />
Allerweltsnamen John Smith. Die Spur führt nach Hongkong. McGrady<br />
checkt in die nächste Pan-Am-Maschine ein, während der Weltkrieg<br />
bereits seine Pläne cancelt: Am Tag seiner Ankunft am 7. Dezember<br />
1941 ist der Überfall auf Pearl Harbor, und Hongkong wird von den<br />
Japanern besetzt. McGrady landet im Knast. Neben fadem Reisbrei drohen<br />
ihm als potenzieller Spion viele Jahre Haft oder gar vorsorglich die<br />
Exekution mit einem Schwert.<br />
„Das ist eine lange Geschichte.“<br />
„Ich habe den ganzen Tag Zeit.“<br />
„Es ist eine schmutzige<br />
„Ich bin Detective. Sie werden<br />
mich nicht schockieren“<br />
aus: „Fünf Winter“<br />
Doch auch ein McGrady hat mal Dusel.<br />
Nicht ohne Eigennutz befreit ihn der<br />
japanische Diplomat Takahashi Kansei,<br />
und so gelangt unser Hardboiled-Held<br />
nach Japan. Na, domo arigato!<br />
Der Diplomat scheint ein persönliches<br />
Interesse daran zu haben, dass<br />
McGrady irgendwann die Ermittlungen<br />
weiterführen kann. Kansei und seine<br />
Tochter Sachi verstecken den offiziell<br />
als tot geltenden McGrady in Tokio.<br />
Hier muss er sich als Deutscher<br />
tarnen, obwohl sich seine Vokabel -<br />
kennt nisse gerade mal auf „Mein<br />
Fuhrer“ (sic) beschränken. Aus den<br />
geplanten fünf Tagen Auslandsmission<br />
werden lange Jahre der Ungewissheit.<br />
Ob er jemals seine Freundin Molly<br />
lebend wieder sehen wird?<br />
Autor James Kestrel treibt mit den Weltkriegsereignissen seine<br />
Geschichte souverän nach vorn. Die Kapitulation Japans erweist sich für<br />
McGrady als Hoffnungsschimmer: Ja, er wird in die USA zurückkehren<br />
können. Doch vieles hat sich verändert, und nicht nur seinen Job ist er<br />
los. Als Privatdetektiv nimmt er die erkaltete Spur wieder auf, um zu -<br />
sammen mit seinem ehemaligen Buddy Fred den Täter endlich zu stellen.<br />
Agententhriller, Weltkriegs-Krimi – und Lovestory. James Kestrel muss<br />
nicht durchweg die Kanonen knallen lassen, um mit seinem flott und<br />
fintenreich geplotteten Hardboiled-Epos zu überzeugen. Zwischen den<br />
Whiskeys passiert da mehr, als dass sich nur die Eiswürfel verflüchtigen.<br />
Für McGrady wird es am Ende noch mal richtig heiß. Und ach, auch wir<br />
Lesende schmelzen dabei nur so dahin …<br />
Nils Heuner<br />
James Kestrel Fünf Winter<br />
Suhrkamp, 2023, 498 S., 20 Euro | Aus d. Engl. v. Stefan Lux<br />
Erscheint am 13. 3.<br />
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