SMZ Liebenau Info 01_2018
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GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
Eintritt nur nach Aufruf: „Warum Österreich<br />
die Ärzte ausgehen: elf Übel, elf Fakten“<br />
Buchvorstellung von Dr. Wolfgang Schütz<br />
VON MARTINA FREI & GUSTAV MITTELBACH<br />
10<br />
<strong>SMZ</strong> INFO FRÜHJAHR 2<strong>01</strong>8<br />
Die ärztliche Versorgung in Österreich krankt an einigen<br />
Übeln: Landesweit wird über Ärzt*innenmangel<br />
geklagt, in Krankenhäusern, aber auch in der<br />
wohnortnahen Versorgung durch niedergelassene<br />
Ärzt*innen. Dr. Wolfgang Schütz äußert in seinem<br />
Buch „Eintritt nur nach Aufruf“ starke Kritik am heimischen<br />
Gesundheitssystem. Im Oktober 2<strong>01</strong>7 war<br />
Dr. Wolfgang Schütz im <strong>SMZ</strong> eingeladen, um sein<br />
Buch im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Forum<br />
für Sozialmedizinische Praxis“ vorzustellen.<br />
Der ehemalige Rektor der Medizinischen Universität<br />
Wien beschreibt darin elf Übel im Gesundheitswesen<br />
und warnt vor einem Zusammenbruch der ärztlichen<br />
Versorgung bis 2030.<br />
Den Grund für die ernste Lage in der ärztlichen Versorgung<br />
sieht Schütz in der höheren Lebenserwartung<br />
und Überalterung der Gesellschaft. Außerdem<br />
in den steigenden Gesundheitskosten, die zu einem<br />
höheren Bedarf an Ärzt*innen führen, aber auch in<br />
der Verkürzung der Arbeitszeit für Spitalsärzt*innen<br />
auf 48 Stunden pro Woche.<br />
Die wohl gravierendsten Übel unseres Gesundheitssystems<br />
fasst Schütz folgendermaßen zusammen:<br />
Ein Arbeitsgesetz für Ärzt*innen, das<br />
Patient*innen mehr gefährdet, als es ihnen nützt.<br />
Mit Juli 2<strong>01</strong>5 trat aus Kostengründen ein neues Arbeitszeitengesetz<br />
für Ärzt*innen im Wiener Krankenanstaltenverbund<br />
(KAV) in Kraft. Mit diesem soll eine<br />
EU-Richtlinie, wonach die wöchentliche Höchstarbeitszeit<br />
48 Stunden in Zukunft nicht überschritten<br />
werden darf, umgesetzt werden. Die Normalarbeitszeit<br />
liegt bei einer Vollzeitanstellung auch künftig bei<br />
40 Stunden pro Woche. Zudem gilt für alle Ärzt*innen<br />
die 5-Tagewoche, ein Arbeitstag gilt als 8 Stunden<br />
Arbeitszeit. Bis 2021 haben Ärzt*innen noch die<br />
Möglichkeit, mittels schriftlicher Zustimmung (Optout)<br />
länger als durchschnittlich 48 Stunden pro Woche<br />
zu arbeiten. Überzogene Gehaltsforderungen<br />
von Ärzt*innen sind laut Schütz mitschuldig an diesem<br />
„Übel“. Die Finanzierung höherer Gehälter ist<br />
nur kurzfristig sichergestellt, danach ist unklar, wie<br />
dafür aufgekommen werden kann. Weiters ist unklar,<br />
wie ein Mehrbedarf an Ärzt*innen, die das neue<br />
Arbeitszeitengesetz verursacht, auch finanziell, organisiert<br />
werden soll, insbesondere da Ärzt*innen<br />
ohnehin schon immer weniger zu werden scheinen.<br />
Das neue Arbeitszeitengesetz birgt für Schütz<br />
mehrere Gefahren:<br />
• Die Wartezeiten in den Spitalsambulanzen<br />
erhöhen sich dramatisch.<br />
• Verschlechterung der Qualität der Ausbildung<br />
• Verdoppelung der statistischen Häufung von<br />
Fehlerquellen bei der Übergabe von Patientendaten<br />
an die/ den nächsten Arzt/ Ärztin im<br />
Spital.<br />
• Zusätzliche Spitalsärzt*innen sind notwendig,<br />
die Finanzierung des Gesundheitssystems<br />
bricht zusammen.<br />
• Ärzt*innen haben mehr Zeit für Nebenbeschäftigungen<br />
(z. B. in Ordinationen oder Privatkliniken)<br />
und überschreiten damit laufend das<br />
KA-AZG.<br />
Viele Mediziner*innen, die nach Abschluss ihres<br />
Studiums das Land verlassen.<br />
11 % der inländischen Absolvent*innen und nahezu<br />
alle ausländischen (25 %) verlassen nach dem<br />
Studienabschluss das Land. Freie Turnusstellen<br />
sind nur mehr schwer nachbesetzbar, in ländlichen<br />
Regionen ist die Lage noch schlimmer. Diskutierte<br />
Gründe für dieses „Übel“ sind:<br />
• zu lange Arbeitszeiten<br />
• zu geringe Gehälter im Rahmen der Ausbildung<br />
von Fach- oder Allgemeinärzt*innen<br />
• keine Berechtigung zur selbstständigen Berufsausübung<br />
nach dem Studium<br />
• qualitativ schlechte Ausbildung, Übernahme<br />
der Tätigkeiten von Pflege- und Schreibkräften<br />
• Ausbildungsärzt*innen werden von ausbildenden<br />
Ärzt*innen nicht als Kolleg*innen, sondern<br />
als unterstehendes Personal betrachtet<br />
• Allgemeinärzt*innen sehen sich, vor allem<br />
während der Ausbildung, als Ärzt*innen<br />
zweiter Klasse<br />
Zu viele Spitäler, immer weniger Hausärzt*innen<br />
Wolfgang Schütz kritisiert weiters die Spitalslastigkeit<br />
in Österreich. Er sieht eine dringende Notwendigkeit<br />
in der Entlastung der Spitalsambulanzen, in<br />
denen derzeit Primärversorgung stattfindet. Vorgelagerte<br />
Allgemeinmediziner*innen fangen rund 1/3<br />
der Patient*innen von Notfallambulanzen ab. Die<br />
Errichtung von Primärversorgungseinheiten (PVE)