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SMZ Liebenau Info 02_2015

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GESUNDHEITSPOLITIK: LEITARTIKEL<br />

JENSEITS DER MEDIZINISCHEN<br />

UND SOZIALEN AMNESIE –<br />

DAS VERGESSEN DER SOZIALEN FRAGE<br />

FESTREDNER PROF. HAINER KEUPP – ZUSAMMENGEFASST VON CHRISTOPH PAMMER<br />

6<br />

<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />

HAINER KEUPP STELLTE ALS<br />

FESTREDNER FOLGENDE FRAGEN:<br />

Warum ist in der Welt der Medizin und der<br />

psychosozialen Berufe die Bedeutung des eigenen<br />

Tuns in der Gesellschaft immer weiter<br />

in den Hintergrund getreten? Haben Gesundheitsberufe<br />

überhaupt noch eine Sprache, in<br />

der formuliert werden kann, was die Befindlichkeit<br />

von Menschen mit ihrem gesellschaftlichen<br />

Sein zu tun hat? Benützen Medizin,<br />

Psychologie, Psychotherapie, Soziale Arbeit<br />

eine Fachsprache, die Wörter dafür findet, wie<br />

gesellschaftliche Strukturen mit Gesundheit<br />

und Krankheit zusammenhängen?<br />

Zum Einstieg findet Keupp selbst deutliche Formulierungen,<br />

um strukturelle, krankmachende<br />

Ursachen ins Blickfeld zu nehmen:<br />

„Der globalisierte Kapitalismus hat zu einer<br />

spürbaren Beschleunigung und Verdichtung<br />

der Abläufe in den beruflichen und privaten<br />

Lebenswelten geführt. Die deutlichen<br />

Belege für eine Zunahme von Burnout und<br />

Depressionen lassen sich als Hinweise auf<br />

diese Entwicklung verstehen. Sie führen bei<br />

zunehmend mehr Menschen zu dem Gefühl<br />

der Erschöpfung. Die Antworten auf diese<br />

Probleme dürfen nicht in individualisierenden<br />

Strategien gesucht werden, sondern<br />

erfordern kollektive Aktionen.“<br />

Die gesellschaftliche Antwort erstrecke sich,<br />

so Keupp, auf die Individualisierung des Leids,<br />

was durch eine Verdopplung der Antidepressiva-Verschreibungen<br />

innerhalb von zehn Jahren<br />

erkennbar sei. Die Medikalisierung anderer psychosozialer<br />

Problemlagen wie u. a. von ADHS<br />

bei Kindern seien schwerwiegende Fehlentwicklungen,<br />

die gesundheitspolitisch nicht verhindert<br />

worden sind. Und entgegen den PR-Versprechungen<br />

der Pharmaindustrie handle es sich bei<br />

den krankmachenden Verschreibungen nicht um<br />

echte Lösungen, da sie bestenfalls die Symptome<br />

lindern, während die Ursachen für den dramatischen<br />

Anstieg psychischer und psychiatrischer<br />

Erkrankungen in allen Altersgruppen in den<br />

gesellschaftlichen Veränderungen zu suchen<br />

seien.<br />

„GESELLSCHAFTSDIAGNOSTIK“<br />

STATT IMMER MEHR „KLINIFIZIERUNG“<br />

Es sind also gesellschaftliche Veränderungen,<br />

die die immer häufiger werdenden Anpassungsschwierigkeiten<br />

und psychischen Probleme<br />

hervorrufen. Keupp sieht die Gesundheitsberufe<br />

eindeutig in die Pflicht genommen, auf diese<br />

gesellschaftliche Verursachung stärker als bisher<br />

hinzuweisen, gegen die Individualisierung<br />

gesellschaftlicher Problemlagen anzukämpfen<br />

und eine geeignete Fachsprache für eine Gesellschaftsdiagnostik<br />

zu entwickeln. Und die zu-

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