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ISSN: 2222-2308<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong>
IN DIESER AUSGABE<br />
MITARBEITERiNNEN<br />
DES <strong>SMZ</strong> LIEBENAU<br />
DR. RAINER POSSERT<br />
ARZT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN<br />
PSYCHOTHERAPEUT<br />
DR. GUSTAV MITTELBACH<br />
ARZT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN<br />
PSYCHOTHERAPEUT<br />
DSA<br />
CHRISTOPH PAMMER, MPH, MA<br />
GESCHÄFTSFÜHRER<br />
SABRINA KRENN, BSc<br />
ASSISTENTIN<br />
EDITORIAL 1<br />
SANDRA HOFER<br />
PRAXISASSISTENTIN<br />
VICTORIA FUCHS, MSc., BSc<br />
MUSIKTHERAPEUTIN<br />
MARTINA FREI, MPH, BSc.<br />
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
UND GEMEINWESENARBEIT<br />
ALENA STRAUSS, BSc.<br />
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
UND GEMEINWESENARBEIT<br />
ANAHITA SHARIFGERAMI, BA<br />
SOZIALARBEITERIN<br />
DR. MICHAEL SCHLAGER<br />
TURNUSARZT<br />
KRISTA MITTELBACH<br />
PSYCHOTHERAPEUTIN<br />
DSA THERESA AUGUSTIN<br />
PSYCHOTHERAPEUTIN<br />
DR. KATARINA PUNGERCIC<br />
ASSISTENZÄRZTIN FÜR PSYCHIATRIE,<br />
PSYCHOTHERAPEUTIN FÜR SYSTEMISCHE<br />
FAMILIENTHERAPIE IN AUSBILDUNG<br />
UNTER SUPERVISION<br />
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
DAS <strong>SMZ</strong> IM KONTEXT DER AKTUELLEN GESUNDHEITSPOLITIK 2<br />
UMCARE – KONFERENZ IN BERLIN 3<br />
FESTAKT ZUM 30JÄHRIGEN JUBILÄUM DES <strong>SMZ</strong> 4<br />
LEITARTIKEL: JENSEITS DER MEDIZINISCHEN UND SOZIALEN AMNESIE 6<br />
GESUNDHEITSPOLITISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUM FLÜCHTLINGSTHEMA 10<br />
GEDENKARBEIT<br />
<strong>SMZ</strong> GEDENKFEIER <strong>2015</strong> 14<br />
HELLO AND GOODBYE, GOODBYE GARDEN 16<br />
HELLO AND GOODBYE, FIZIASTRASSE 13 18<br />
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
DIE GESUNDHEITSFÖRDERNDEN POTENTIALE<br />
VON HEIMTIEREN AUF DEN MENSCHEN 21<br />
GESUNDHEITSPLATTFORM: „WIE GESUND ISST (MAN IN) LIEBENAU?“ 23<br />
VALIDATION UND DER WÜRDIGE UMGANG MIT DESORIENTIERTEN, ALTEN MENSCHEN 24<br />
SOZIALARBEIT<br />
SOZIALE ARBEIT IN SCHOTTLAND IM BEREICH KIND, JUGEND UND FAMILIE 26<br />
AUS DER STADTTEILARBEIT<br />
ERFOLGE <strong>2015</strong> – EIN ZWISCHENRESÜMEE 28<br />
MUSIK AM GRÜNANGER – EIN STADTTEILPROJEKT 30<br />
GEMEINSCHAFTSGARTEN SCHÖNAU 31<br />
BARRIEREFREIE STADTTEILARBEIT 32<br />
STARKE NACHBARSCHAFTEN 34<br />
ERSTER MUSIKTHERAPIE-STAMMTISCH STEIERMARK/KÄRNTEN IM <strong>SMZ</strong> 35<br />
WARUM SICH GESUNDHEIT NICHT VERORDNEN LÄSST 36<br />
AUFGESCHNAPPT! 38<br />
<strong>SMZ</strong> AKTUELL<br />
DAS <strong>SMZ</strong> STELLT SICH VOR 41<br />
HERZLICH WILLKOMMEN, BEN! & ABSCHIED CHRISTOPHER 43<br />
(K)EIN RUHESTAND – KEIN NACHRUF! 44<br />
IMPRESSUM<br />
HERAUSGEBER: <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong>, <strong>Liebenau</strong>er Hauptstraße 141, 8041 Graz | TEL 0699 180 84 375 F (0316) 462340-19<br />
EMAIL smz@smz.at HOMEPAGE www.smz.at VEREINSREGISTER ZVR: 4337<strong>02</strong><strong>02</strong>5<br />
REDAKTION Dr. Rainer Possert, Mag. Uschi Possert, DSA Christoph Pammer, MPH, MA<br />
MITARBEITERINNEN dieser Ausgabe: Das Team des <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong><br />
FOTOS Rainer Possert: Cover, Seiten 1, 9, 11-13, 16f. 18, 20, 28f., 33, 38f. 41, 44f.; Angelika Anna Reicher: S.18f.,<br />
45; Robert Frankl: S31f., restlichen Abbildungen: Team des <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong><br />
LAYOUT + SATZ CUBAliebtdich.at DRUCK Universitätsdruckerei Klampfer, St. Ruprecht/Raab AUFLAGE 1.900 Stk.<br />
DR. WOLFGANG SELLITSCH<br />
JURIST
EDITORIAL<br />
Wenn Sie heuer „nur“ ein <strong>SMZ</strong>-<strong>Info</strong> per Post<br />
erhalten haben, so liegt das daran, dass wir<br />
im Mai eine mit 100 Seiten sehr umfangreiche<br />
Sondernummer anlässlich des 30-jährigen<br />
Bestehens publiziert haben und deshalb die<br />
Auflage und den Versand gering halten mussten.<br />
Restexemplare dieses einzigartigen historischen<br />
Dokuments über die Entwicklung der<br />
„Kritischen Medizin“ von den 70er Jahren bis<br />
heute können Sie um Euro 15.- erhalten oder<br />
auf unserer Webseite lesen.<br />
Der Mai, an sich ein Monat des Aufblühens,<br />
brachte die „Vertreibung“ des <strong>SMZ</strong> durch das<br />
Amt für Jugend und Familie aus dem Garten<br />
am Grünanger mit sich, jenes Amt, welches das<br />
mysteriöse Auffinden von NS-Mordopfern in<br />
den 90er Jahren im Areal des Kindergartens gegenüber<br />
unseres Gartens in keiner Weise aufgeklärt<br />
hat: ein Schelm, wer Böses dabei denkt.<br />
Wenngleich wir keine „Rechenschaftsberichte“<br />
zum Ende des Jahres publizieren, so können<br />
Sie diese Ausgabe als solche lesen. Nicht alle<br />
Aktivitäten haben Platz gefunden, insbesondere<br />
nicht jene außerordentlich zeitraubenden Besprechungen<br />
und notwendigen Vorbereitungsarbeiten<br />
mit BeamtInnen des Wohnungsamtes<br />
der Stadt Graz in Zusammenhang mit Subventionen<br />
für das Stadteilzentrum.<br />
Die Verhandlungen mit GKK und Ärztekammer<br />
für die Umwandlung unserer Einrichtung in ein<br />
PHC waren ebenso zeitintensiv. Obwohl wir bereits<br />
in der Öffentlichkeit als erstes Grazer PHC<br />
genannt werden – Landesrat Mag. Christopher<br />
Drexler unterstützt dieses Projekt – ist die „Suppe<br />
noch nicht gegessen“, es stehen noch einige<br />
Verhandlungsrunden bevor. DSA Christoph<br />
Pammer, unser neuer Geschäftsführer, steht<br />
uns dabei mit seinem Wissen als Soziologe und<br />
Gesundheitswissenschaftler seit Juni zur Seite.<br />
Hunderttausende auf dem Weg nach einem<br />
besseren Leben ins Zentrum Europas, Massenmorde<br />
in Paris, das „Leben-müssen“ mit<br />
der Angst vor Terror, Rechtsradikale auf der<br />
Straße und einigen europäischen Regierungen<br />
auf dem Vormarsch, das Säbelrasseln<br />
von USA und Russland in der Ukraine und in<br />
Syrien – die Kriege sind näher an die europäische<br />
Provinz Österreich gerückt – die „Insel der<br />
Seligen“ gehört der Vergangenheit an. Bei der<br />
Fertigstellung des <strong>Info</strong>s wurden wir von diesen<br />
Ereignissen überrollt, wir können keine Antworten<br />
geben, die Geschehnisse sind zu komplex.<br />
Die fotografierten Kinderzeichnungen wurden<br />
auf eine direkt am Meer gelegene Stützmauer<br />
in Savudrija (Kroatien) gemalt. In unmittelbarer<br />
Nähe befindet sich neben Ferienlagern<br />
für Kinder, ein großer Campingplatz inmitten<br />
eines Pinienwaldes: Hier waren während des<br />
Jugoslawienkrieges fünftausend Flüchtlinge<br />
aus Bosnien untergebracht. Diese Zeichnungen<br />
symbolisieren die Sehnsucht nach Frieden<br />
und bringen die Hoffnung auf eine bessere Welt<br />
zum Ausdruck.<br />
Rainer Possert<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
1
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
DAS <strong>SMZ</strong> IM KONTEXT DER AKTUELLEN<br />
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
VON GUSTAV MITTELBACH, CHRISTOPH PAMMER UND RAINER POSSERT<br />
VIELE PATIENTiNNEN FRAGEN UNS DIESER<br />
TAGE – NUN, NACHDEM DR. RAINER POSSERT<br />
ENDE JUNI PENSIONSBEDINGT SEINEN KASSEN-<br />
VERTRAG GEKÜNDIGT HAT, WIE ES MIT UNSERER<br />
LIEBENAUER PRAXISGEMEINSCHAFT WEITER-<br />
GEHEN KÖNNTE.<br />
Gleich vorweg, Dr. Gustav Mittelbach und seit<br />
kurzem auch Dr. Michael Schlager, der 30. Turnusarzt<br />
in der Praxisgemeinschaft sowie alle anderen<br />
MitarbeiterInnen stehen für Sie weiterhin<br />
täglich zu Ihrer Verfügung. Und das vielfältige<br />
Angebot des <strong>SMZ</strong> bleibt aufrecht, da Dr. Possert,<br />
sowohl als Obmann, als auch als Wahlarzt und<br />
Psychotherapeut in der Familienberatung weiterhin<br />
zu Ihrer Verfügung steht, zunehmend mit<br />
Schwerpunkt auf eine umfassende Versorgung<br />
von Männern mit sexuellen Problemstellungen.<br />
PHC-ZENTREN – NEU IN ÖSTERREICH<br />
2014 wurde ein Konzept für eine multiprofessionelle<br />
und interdisziplinäre Primärversorgung<br />
in Österreich namens „Das Team rund um den<br />
Hausarzt“ verabschiedet, das die gesetzliche<br />
Grundlage für die flächendeckende Einführung<br />
der so genannten PHC-Zentren (Primary Health<br />
Care-Zentren) bildet.<br />
Die beabsichtigten Veränderungen bestehen<br />
hauptsächlich darin, dass verschiedene ambulante<br />
Gesundheitsdienste, jedenfalls aber<br />
Krankenschwestern- oder Pfleger in allgemeinmedizinischen<br />
Gemeinschaftspraxen tätig sind,<br />
die auch an den Tagesrandzeiten (7 bis 19 Uhr)<br />
geöffnet haben. In städtischen Regionen sollen<br />
multiprofessionelle Teams unter einem Dach als<br />
„PHC-Zentren“ entstehen, in ländlichen Regionen<br />
als „PHC-Netzwerke“ auf vertraglicher Basis,<br />
ohne eine zentrale Anlaufstelle.<br />
DAS <strong>SMZ</strong> ALS KÜNFTIGES PHC-ZENTRUM?<br />
Wir sehen uns bestätigt, dass wir mit unserer Arbeit<br />
bereits seit fast 31 Jahren sämtliche „jetzt<br />
modernen“ Kriterien eines künftigen PHC-Zentrums<br />
erfüllen und mit unserem breit gefächerten<br />
psychosozialen Angebot und den Gesundheitsförderungsaktivitäten<br />
inklusive Gemeinwesenund<br />
Stadtteilarbeit, weit über die geforderten<br />
Kriterien hinausragen. Dementsprechend wird<br />
das <strong>SMZ</strong> in einem Artikel in der Kleinen Zeitung<br />
vom 18. Oktober <strong>2015</strong> als „erstes PHC-Zentrum“<br />
der Steiermark sowie als „Paradebeispiel“ und<br />
„Best-practice-Unternehmen“ charakterisiert, das<br />
„für die neue Rolle in der Basisversorgung adaptiert<br />
und für Österreich beispielhaft aufgestellt<br />
werden soll.“ Das sei übrigens „die beste Nachricht<br />
seit langem, die wir aus dem Gesundheitssystem<br />
hören.“ (Didi Hubmann)<br />
2<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
WIR SEHEN UNS BESTÄTIGT, DASS WIR MIT<br />
UNSERER ARBEIT BEREITS SEIT FAST 31 JAHREN<br />
SÄMTLICHE „JETZT MODERNEN“ KRITERIEN EINES<br />
KÜNFTIGEN PHC-ZENTRUMS ERFÜLLEN UND MIT<br />
UNSEREM BREIT GEFÄCHERTEN PSYCHOSOZIALEN<br />
ANGEBOT UND DEN GESUNDHEITSFÖRDERUNGS-<br />
AKTIVITÄTEN INKLUSIVE GEMEINWESEN- UND<br />
STADTTEILARBEIT, WEIT ÜBER DIE GEFORDERTEN<br />
KRITERIEN HINAUSRAGEN.
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
<strong>SMZ</strong> GOES INTERNATIONAL<br />
„UMCARE“ – KONFERENZ IN BERLIN<br />
VON CHRISTOPH PAMMER<br />
Pflege und Gesundheitsversorgung sind in<br />
Deutschland (und in Österreich) vom neoliberalen<br />
Umbau des Sozialstaates massiv betroffen.<br />
Wer es sich nicht leisten kann, ist von einer bedarfsgerechten<br />
Versorgung zunehmend ausgeschlossen.<br />
Die Beschäftigten im Gesundheitswesen<br />
inkl. Pflege leiden unter Stress, niedrigen<br />
Löhnen und prekären Arbeitsverhältnissen. Auch<br />
für pflegende Angehörige steigt der Druck.<br />
Von 15. Bis 18. Oktober nahm das Team des<br />
<strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> an einer Konferenz der Rosa<br />
Luxemburg Stiftung in Berlin teil. In zahlreichen<br />
Workshops wurden Strategien für einen grundlegenden<br />
Perspektivenwechsel – eine „UmCare“<br />
– ausgetauscht.<br />
Auf der Konferenz nahmen Angehörige und<br />
Menschen mit Pflegebedarf, Beschäftigte in<br />
Gesundheits- und Sozialeinrichtungen, Gewerkschaften<br />
und Verbände teil, die folgende Fragen<br />
beschäftigten:<br />
■■<br />
■■<br />
■■<br />
■■<br />
„Im Gesundheitswesen kommt die Absurdität<br />
unserer Wachstumsökonomie in besonderer<br />
Weise auf den Punkt. Wenn es<br />
um menschliches Leiden geht, um Pflege<br />
und Sorgearbeit, ist vielen unverständlich,<br />
warum so elementare gesellschaftliche<br />
Arbeiten in privaten Unternehmen, nach<br />
Profitkriterien organisiert werden sollten.“<br />
Barbara Fried und Hannah Schurian,<br />
Rosa-Luxemburg-Stiftung, Oktober, <strong>2015</strong><br />
Wie lässt sich der Abbau des Sozialstaates<br />
aufhalten oder umkehren?<br />
Wie schaffen wir eine bedarfsgerechte Infrastruktur,<br />
die solidarisch finanziert und demokratisch<br />
gestaltet ist?<br />
Wie wehren wir uns gegen die Prekarisierung<br />
von Lebens- und Arbeitsbedingungen?<br />
Wie verbinden wir gewerkschaftliche Arbeitskämpfe<br />
mit den Anliegen derer, die auf<br />
Pflege und Unterstützung angewiesen sind?<br />
Das Interesse der Kolleginnen und Kollegen<br />
aus Deutschland am <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> als wohn-<br />
ortnahe und soziale Gesundheitsversorgung war<br />
enorm. Dazu trug wesentlich ein Forschungsprojekt<br />
des Vereins demokratischer Ärztinnen und<br />
Ärzte bei, in dessen Rahmen das <strong>SMZ</strong> mit zwei<br />
weiteren ambulanten Gesundheitseinrichtungen<br />
in Belgien sowie Griechenland verglichen wurde.<br />
Die interdisziplinäre und multiprofessionelle<br />
Versorgung im <strong>SMZ</strong>, kombiniert mit den Arbeitsbereichen<br />
Gesundheitsförderung, Gemeinwesenarbeit<br />
und Stadtteilarbeit, wirkten auf viele<br />
KonferenzteilnehmerInnen überzeugend. Dass<br />
das <strong>SMZ</strong> im Zuge seiner Gedenkarbeit zudem<br />
auch antifaschistische Ziele verfolgt, wurde in<br />
vielen Wortmeldungen der Anwesenden äußerst<br />
positiv aufgefasst.<br />
Wir sind guter Hoffnung, die Diskussion über die<br />
Möglichkeiten der Primärversorgung in Deutschland<br />
inhaltlich erweitert zu haben.<br />
In meinem Konferenzbeitrag, in Vertretung von<br />
Rainer Possert, nahm ich Bezug zu den Plänen<br />
für PHC-Zentren in Österreich, die Arztpraxen<br />
hierzulande zunehmend ersetzen sollen.<br />
Während dieser Plan zahlreiche Vorteile bieten<br />
kann, ist die Einführung von PHC-Zentren auch<br />
mit Gefahren und Risiken verbunden. Nämlich<br />
dann, wenn Macht- und Profitinteressen auch<br />
in Primärversorgungseinrichtungen überwiegen<br />
und wenn diese auf dem Rücken der Patientinnen<br />
und Patienten, etwa in Form hoher<br />
Selbstbehalte, bürokratischer Kontrolle oder<br />
rigider Therapieschemata ausgetragen werden<br />
sollen.<br />
Folgerichtig wurde in Berlin darüber gesprochen,<br />
welche Gegenstrategien zur Aufrechterhaltung<br />
einer sozialen und kritischen Medizin- und Gesundheitsversorgung<br />
im <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong><br />
beitragen können, ohne auf die Vorteile durch<br />
die anstehenden Veränderungen zu verzichten.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
3
GESUNDHEITSPOLITIK: 30JÄHRIGES JUBILÄUM<br />
FESTAKT ZUM 30JÄHRIGEN<br />
JUBILÄUM DES <strong>SMZ</strong><br />
4<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
AM 29. MAI <strong>2015</strong> FEIERTE DAS SOZIALMEDIZI-<br />
NISCHE ZENTRUM LIEBENAU SEIN MITTLERWEI-<br />
LE 30JÄHRIGES BESTEHEN. LANDESRAT MAG.<br />
CHRISTOPHER DREXLER UND UNIV.-PROF. DR.<br />
JOSEF SMOLLE, REKTOR DER MEDIZINISCHEN<br />
UNIVERSITÄT GRAZ, ERÖFFNETEN GEMEINSAM<br />
MIT OBMANN DR. RAINER POSSERT DEN ABEND.<br />
ALS FESTREDNER WAR PROF. EM. HEINER KEUPP<br />
VON DER JOSEF-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT<br />
MÜNCHEN GELADEN.<br />
Rainer Possert begrüßte die zahlreichen Gäste<br />
und fasste die Geschichte des <strong>SMZ</strong> zusammen.<br />
Vor drei Jahrzehnten wurde mit der Gründung des<br />
Sozialmedizinischen Zentrums in <strong>Liebenau</strong> eine<br />
neue Art der Kooperation im Gesundheitswesen<br />
geschaffen, die heute noch immer ein Pilotprojekt<br />
darstellt und für ganz Österreich vorbildhaft<br />
ist. Mehr als 30 Jahre lang hat das <strong>SMZ</strong> versucht,<br />
Ideen einer kritischen und solidarischen Medizin<br />
mit Beispielen und Experimenten in der ärztlichen<br />
Praxisgemeinschaft und dem Verein für praktische<br />
Sozialmedizin in <strong>Liebenau</strong> und in Graz in die<br />
Realität umzusetzen, ohne in die realpolitischen<br />
Fallstricke der Gesundheitsarbeit zu tappen.<br />
Christopher Drexler zollte unserer Arbeit allein<br />
durch seine Anwesenheit am Vorabend der<br />
Landtagswahl großen Respekt. In seiner Rede<br />
kam der für seine rhetorische Gewandtheit bekannte<br />
Politiker nicht umhin, amüsierte Nachfragen<br />
zu dem in der Einladung zur Jubiläumsfeier<br />
hervorgehobenen roten Stern zu stellen: Wenn<br />
dieser so gut sichtbar ist, dürfe man sich nicht<br />
wirklich wundern, dass der Weg bis hierher nicht<br />
konfliktfrei verlaufen wäre. Rektor Josef Smolle<br />
sprach über die Pionierleistung des <strong>SMZ</strong> für die<br />
Allgemeinmedizin in Graz und darüber hinausreichend<br />
und hob das Wirken der Medizinalräte<br />
Dr. Mittelbach und Dr. Possert in der Praxis, der<br />
Politik und im Bereich Forschung und Lehre an<br />
der Mediznischen Universität Graz hervor.<br />
Dr. Kirsten Schubert und Dr. Renia Vagkopoulov<br />
vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte,<br />
die extra aus Berlin angereist waren, bedankten<br />
sich beim <strong>SMZ</strong> für den guten <strong>Info</strong>rmationsaustausch<br />
über die Grenzen hinweg. Schubert<br />
betonte in ihrer Ansprache, dass der Erfolg des<br />
<strong>SMZ</strong> nur zu verstehen ist, wenn man die politische<br />
Haltung der Gründungszeit mitdenkt: Kapitalismuskritik,<br />
Soldidarität mit der Arbeiterschaft,<br />
Antifaschismus und kritische Medizin.“<br />
Als Gastreferent für den Jubiläumsabend konnte<br />
Univ.-Prof. em. DDr. Heiner Keupp aus Münschen<br />
gewonnen werden. Keupp studierte Psychologie<br />
und Soziologie, bevor er aufgrund seiner Forschungsarbeiten<br />
über die soziale Entstehung<br />
psychischer Erkrankungen an der Ludwig-Maximilians-Universtät<br />
München habilitierte. Er gilt als<br />
Vordenker und Pionier der Gemeindepsychiatrie,<br />
hat zahlreiche Fachbegriffe der Sozialpsychologie<br />
geprägt und die Erforschung und aktive Veränderung<br />
sozialer Ursachen von Gesundheit und<br />
Krankheit bis heute beibehalten. Als Prof. Emeritus<br />
ist er in unterschiedlichen Ausbildungslehrgängen,<br />
wie etwa für Klinische- und Gesundheitspsychologie<br />
auch österreichweit tätig.
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
WENN DU EIN SCHIFF BAUEN WILLST,<br />
SO TROMMLE NICHT MENSCHEN ZUSAMMEN,<br />
UM HOLZ ZU BESCHAFFEN, WERKZEUGE<br />
VORZUBEREITEN, AUFGABEN ZU VERGEBEN<br />
UND DIE ARBEIT EINZUTEILEN, SONDERN LEHRE<br />
DEN MENSCHEN DIE SEHNSUCHT NACH<br />
DEM WEITEN ENDLOSEN MEER.<br />
(ANTOINE DE SAINT-EXUPÉRY)<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
5
GESUNDHEITSPOLITIK: LEITARTIKEL<br />
JENSEITS DER MEDIZINISCHEN<br />
UND SOZIALEN AMNESIE –<br />
DAS VERGESSEN DER SOZIALEN FRAGE<br />
FESTREDNER PROF. HAINER KEUPP – ZUSAMMENGEFASST VON CHRISTOPH PAMMER<br />
6<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
HAINER KEUPP STELLTE ALS<br />
FESTREDNER FOLGENDE FRAGEN:<br />
Warum ist in der Welt der Medizin und der<br />
psychosozialen Berufe die Bedeutung des eigenen<br />
Tuns in der Gesellschaft immer weiter<br />
in den Hintergrund getreten? Haben Gesundheitsberufe<br />
überhaupt noch eine Sprache, in<br />
der formuliert werden kann, was die Befindlichkeit<br />
von Menschen mit ihrem gesellschaftlichen<br />
Sein zu tun hat? Benützen Medizin,<br />
Psychologie, Psychotherapie, Soziale Arbeit<br />
eine Fachsprache, die Wörter dafür findet, wie<br />
gesellschaftliche Strukturen mit Gesundheit<br />
und Krankheit zusammenhängen?<br />
Zum Einstieg findet Keupp selbst deutliche Formulierungen,<br />
um strukturelle, krankmachende<br />
Ursachen ins Blickfeld zu nehmen:<br />
„Der globalisierte Kapitalismus hat zu einer<br />
spürbaren Beschleunigung und Verdichtung<br />
der Abläufe in den beruflichen und privaten<br />
Lebenswelten geführt. Die deutlichen<br />
Belege für eine Zunahme von Burnout und<br />
Depressionen lassen sich als Hinweise auf<br />
diese Entwicklung verstehen. Sie führen bei<br />
zunehmend mehr Menschen zu dem Gefühl<br />
der Erschöpfung. Die Antworten auf diese<br />
Probleme dürfen nicht in individualisierenden<br />
Strategien gesucht werden, sondern<br />
erfordern kollektive Aktionen.“<br />
Die gesellschaftliche Antwort erstrecke sich,<br />
so Keupp, auf die Individualisierung des Leids,<br />
was durch eine Verdopplung der Antidepressiva-Verschreibungen<br />
innerhalb von zehn Jahren<br />
erkennbar sei. Die Medikalisierung anderer psychosozialer<br />
Problemlagen wie u. a. von ADHS<br />
bei Kindern seien schwerwiegende Fehlentwicklungen,<br />
die gesundheitspolitisch nicht verhindert<br />
worden sind. Und entgegen den PR-Versprechungen<br />
der Pharmaindustrie handle es sich bei<br />
den krankmachenden Verschreibungen nicht um<br />
echte Lösungen, da sie bestenfalls die Symptome<br />
lindern, während die Ursachen für den dramatischen<br />
Anstieg psychischer und psychiatrischer<br />
Erkrankungen in allen Altersgruppen in den<br />
gesellschaftlichen Veränderungen zu suchen<br />
seien.<br />
„GESELLSCHAFTSDIAGNOSTIK“<br />
STATT IMMER MEHR „KLINIFIZIERUNG“<br />
Es sind also gesellschaftliche Veränderungen,<br />
die die immer häufiger werdenden Anpassungsschwierigkeiten<br />
und psychischen Probleme<br />
hervorrufen. Keupp sieht die Gesundheitsberufe<br />
eindeutig in die Pflicht genommen, auf diese<br />
gesellschaftliche Verursachung stärker als bisher<br />
hinzuweisen, gegen die Individualisierung<br />
gesellschaftlicher Problemlagen anzukämpfen<br />
und eine geeignete Fachsprache für eine Gesellschaftsdiagnostik<br />
zu entwickeln. Und die zu-
DAS VERGESSEN DER SOZALEN FRAGE<br />
Albrecht Dürer, Melancolia I (1514):<br />
Man sieht eine engelhafte Figur, die mit<br />
allen zur Verfügung stehenden Mitteln<br />
herausfinden möchte, was es ist, das<br />
die Welt im Innersten zusammen hält<br />
und zur Einschätzung gelangt, es ist die<br />
Melancholie.<br />
Eine Gegendarstellung von Lukas von<br />
Cranach (Die Melancholie, 1532), der<br />
18 Jahre später ein gleichbenanntes<br />
Bild malte, zeigt bereits den Beginn der<br />
Neuzeit, in der der frühe Kapitalismus,<br />
begleitet von protestantischer<br />
Werteethik (Luther: „Die Traurigkeit<br />
kommt vom Satan!“) dazu führte,<br />
dass ein Gefühl für die Bedeutung der<br />
Melancholie verloren geht: Die Engelsfigur<br />
bei Cranach sitzt ohne sinnvolle<br />
Betätigung da, hinter ihr ein Ausblick<br />
auf die Probleme in der Welt.<br />
nehmende Geschwindigkeit in allen Lebensbereichen,<br />
die höhere Mobilität und Verstädterung,<br />
die Wissens-, Arbeits-, <strong>Info</strong>rmations- und nicht<br />
zuletzt die Gesundheitsgesellschaft führt tatsächlich<br />
immer häufiger dazu, dass die Bewältigungsmöglichkeiten<br />
des einzelnen Menschen<br />
zur Integration der ansteigenden Herausforderungen<br />
im eigenen Lebensentwurf nicht immer<br />
oder nicht mehr ausreichen. Die „Klinifizierung“,<br />
also die Herausbildung immer ausdifferenzierterer<br />
medizinischer Behandlungsmethoden der<br />
Folgeschäden der gesellschaftlichen Verhältnisse,<br />
kann nicht die einzige Antwort darstellen.<br />
DIE ERSCHÖPFTE GESELLSCHAFT –<br />
VON DER MELANCHOLIE ZUR DEPRESSION<br />
Die inflationäre Verwendung der Diagnose „Depression“<br />
muss also kritisch reflektiert werden.<br />
Prof. Keupp verfolgt, ausgehend von Theophrasts<br />
Frage, Wieso die meisten Männer, die<br />
sich in der Philosophie, der Politik und in Künsten<br />
ausgezeichnet hatten, Melancholiker sind?“ die<br />
Entstehungsgeschichte der Depression mit bedeutsamen<br />
kulturhistorischen Veränderungen in<br />
Europa am Beginn der Neuzeit (16. Jhdt.).<br />
Die entstehende kapitalistische Gesellschaft hat<br />
eine Norm durchgesetzt, nach der ein melancholischer<br />
Habitus seine Wertschätzung verliert.<br />
Das neue Menschenbild, das in Frage gestellt<br />
werden muss, zeichnet sich durch viel mehr<br />
Möglichkeiten als bisher zur Selbstentfaltung<br />
und Identitätsfindung – und damit mehr Möglichkeiten<br />
für das Scheitern – aus. Siegmund<br />
Baumann meinte über die Anforderungen an<br />
das postmoderne Menschenbild nicht ohne ironischen<br />
Unterton:<br />
„Man muss sich heutzutage freuen können<br />
über die Chance, Identitäten anzunehmen<br />
und wieder abzulegen und sein Leben auf<br />
der endlosen Jagd nach immer intensiveren<br />
Glücksgefühlen und immer aufregenderen<br />
Erfahrungen zu verbringen.“<br />
Nicht jeder entspricht diesen von der Gesellschaft<br />
sehr wohl an jeden herangetragenen Anforderungen.<br />
Jene, die es nicht schaffen, sind<br />
dann der „Schmutz der postmodernen Reinheit“.<br />
Robert J. Lifton beschreibt das „proteische<br />
Selbst“ sowie den Verlust von persönlicher Widerstandskraft<br />
in einer immer stärker fragmentierten<br />
Gesellschaft. Das „proteische Selbst“<br />
steht in stark wechselwirkender Beziehung mit<br />
dem zunehmenden Verlust von sozialem Zusammenhalt.<br />
Der proteische Mensch wird deshalb<br />
als Gefahr beschrieben, weil er sich permanent<br />
neu erfinden konnte.<br />
Diese Fähigkeit wird heutzutage jedoch positiv<br />
gesehen, insbesondere in der Arbeitswelt, die<br />
sich ebenfalls schnell wandelt. Der früheren Disziplinargesellschaft<br />
(Foucault) wurde ein Modell<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
7
GESUNDHEITSPOLITIK: LEITARTIKEL<br />
IN SUMME SIND WIR ALLE DEN<br />
LEBENSBEDINGUNGEN GEWISSERMASSEN<br />
„AUSGELIEFERT“ UND MÜSSEN UNS<br />
DIE AUFGEZWÄNGTE SELBSTOPTIMIERUNG<br />
SELBST AUSGESUCHT HABEN<br />
8<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
der Betonung der Eigenmotivation (Han) gegenübergestellt.<br />
In Summe sind wir also alle den Lebensbedingungen<br />
gewissermaßen „ausgeliefert“ und<br />
müssen uns sogar die aufgezwängte Selbstoptimierung<br />
selbst ausgesucht haben. „Gerade<br />
damit hat die depressive Erschöpfung aber auf<br />
der individuellen Ebene ursächlich zu tun,“ sagt<br />
Keupp. „Das vorgegebene und selbstgesteckte<br />
Ziel der Optimierung kann nicht erreicht werden.<br />
Und mehr noch: Auch die Gesellschaft selbst<br />
scheint erschöpft und bietet kaum motivierende,<br />
positive Entwürfe für das gesellschaftliche<br />
Zusammenleben.“<br />
HOFNARR ODER HOFRAT?<br />
DIE ROLLE DER GESUNDHEITSBERUFE<br />
„Am Kaiserhof des Kapitalismus mag der<br />
Psychologe die bunteste Mütze tragen, aber<br />
er bleibt doch eher Hofnarr als Hofrat. Vielleicht<br />
ist das auch gut so, denn der Hofnarr<br />
hat einen Abstand zu den Anpassungsforderungen<br />
zu Hofe, der dem Hofrat mangelt.“<br />
(Wolfgang Schmidbauer, 20<strong>02</strong>)<br />
Trotz seines erst kurzen Aufenthaltes in Graz erkennt<br />
Prof. Keupp in den Vorreden unserer Jubiläumsveranstaltung,<br />
dass auch das <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong><br />
„eher beim Hofnarr als beim Hofrat“ steht,<br />
und „das ist gut so!“<br />
Keupps Thesen zur heutigen Rolle der Gesundheitsberufe:<br />
1.) Die Gesundheitsberufe können als seismographische<br />
Voranzeiger gesellschaftlicher Probleme<br />
wirken, weil sie deren Auswirkungen am Individuum<br />
sehen und dabei wahrnehmen, welche<br />
Ressourcen fehlen. Neben der psychodiagnostischen<br />
muss auch eine gesellschaftsdiagnostische<br />
Einordnung vorgenommen werden.<br />
2.) Russel Jacoby begründete den Begriff der<br />
Sozialen Amnesie – „Gesellschaftsvergessenheit“<br />
und meinte, dass gerade die Gesundheitsberufe<br />
stark betroffen seien. Nachgefragt,<br />
fanden aber alle an einer Studie teilnehmenden<br />
PsychologInnen, dass sie in ihrer privaten Lebenswelt<br />
für Probleme sensibilisiert werden, die<br />
sie auch an KlientInnen wahrnehmen können,<br />
welche gesellschaftliche Strukturveränderungen<br />
thematisierten.<br />
3.) Gesundheitsberufe müssen sich zur Lösung<br />
gesellschaftlicher Problemstellungen positionieren<br />
und dabei die Interessen der Betroffenen<br />
anwaltschaftlich vertreten und besonders das<br />
Gesundheitsinteresse und die Menschenrechte<br />
schützen. Da es an Sprache mangelt, mangelt<br />
es vermutlich auch an einer Stimme der psychosozialen<br />
Berufe in den Protestbewegungen, was<br />
Heiner Keupp anhand von PEGIDA vs. REFU-<br />
GEES WELCOME thematisiert.<br />
WIR DANKEN PROF. HEINER KEUPP FÜR SEINEN<br />
TIEFGREIFENDEN VORTRAG UND DEN BESUCH<br />
IM <strong>SMZ</strong> LIEBENAU ANLÄSSLICH UNSERES<br />
30JÄHRIGEN JUBLIÄUMS.
DAS VERGESSEN DER SOZALEN FRAGE<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
7
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
GESUNDHEITSPOLITISCHE ÜBERLEGUNGEN<br />
ZUM FLÜCHTLINGSTHEMA<br />
VON GUSTAV MITTELBACH<br />
10<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
WESENTLICHE GESUNDHEITSRELEVANTE FRAGEN<br />
ERSCHEINEN UNS DERZEIT VÖLLIG UNGEKLÄRT:<br />
▪ Wer kümmert sich um wichtige sanitätspolizeiliche<br />
und präventive Maßnahmen im Umgang<br />
mit den Flüchtlingen? Werden von den<br />
Gesundheitsbehörden (Amtsärzte, Landes-Sanitätsdirektion,<br />
Gesundheitsämter) als Vertreter<br />
der „öffentlichen Gesundheit“ akute und chronische<br />
Erkrankungen und bestimmte wesentliche<br />
Infektionserkrankungen erfasst, wird der<br />
Impfstatus der Flüchtlinge überprüft, werden<br />
nötige Impfungen (für Kinder und Erwachsene)<br />
ergänzt, bestimmte Screening-Funktionen<br />
durchgeführt oder ist z.B. der Röntgenbus an<br />
der Grenze im Einsatz? Gibt es bereits koordinierte<br />
Einsätze und Krisenstäbe der Gesundheitsbehörden?<br />
Wenn ja, warum wird das in der<br />
Öffentlichkeit nicht kommuniziert?<br />
▪ Laut UN-Menschenrechtskonvention Art. 21<br />
besteht für Flüchtlinge das Recht auf ärztliche<br />
Versorgung und notwendige soziale Leistungen.<br />
▪ 1999 hat es eine vorbildliche steirische Aktion<br />
zur Erst-Versorgung von 900 bosnischen<br />
Flüchtlingen gegeben, an der alle vorhandenen<br />
staatlichen Organisationen, einschließlich Katastrophenschutz,<br />
Rotes Kreuz, Kinderklinik, Gesundheitsämter,<br />
etc. gemeinsam mit freiwilligen<br />
HelferInnen (u.a. geschulte bosnische Grazer<br />
StudentInnen als Dolmetscher von Omega) beteiligt<br />
waren.<br />
Zitat von Ex-Spitzendiplomat Wolfgang Petrisch<br />
im Standard vom 31.10.<strong>2015</strong>: …“aus Bosnien<br />
und Herzegowina kamen …in den Neunzigern<br />
binnen kurzer Zeit 160.000 Flüchtlinge nach Österreich,<br />
aber im Rückblick gibt es nur Positives<br />
über das Management zu sagen. Damals hat die<br />
Regierung Leadership bewiesen, heute tun das<br />
nur die Hilfsorganisationen. Die Zivilgesellschaft<br />
hat den Ruf Österreichs gerettet. Die Regierenden<br />
hingegen stehen ziemlich daneben – von den<br />
G e m e i n d e n b i s h i n a u f z u r B u n d e s r e g i e r u n g … “<br />
„ ... Statt Asylanträge zu ignorieren, bewusst langsam<br />
zu bearbeiten oder Lager zu schließen, tat<br />
Österreich damals genau das Gegenteil: Man<br />
rüstete sich für weitere 60.000 Flüchtlinge und<br />
machte kein Geheimnis daraus, dass man sie<br />
aufnehmen werde. Das Ergebnis war die „De<br />
Facto“ – Aktion zwischen 1992 und 98. „De Facto“<br />
bezog sich dabei auf die faktische Gleichstellung<br />
der Kriegs-Flüchtlinge mit Flüchtlingen<br />
gemäß der Genfer Konvention.<br />
Krieg macht keinen Unterschied<br />
zwischen einzelnen Personen und ist<br />
damit gemäß der Genfer Konvention<br />
kein Asylgrund im engeren Sinn.<br />
„Zu schützen sind Kriegsflüchtlinge aber trotzdem<br />
für jedes Land, das die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
mitträgt. Österreich tat<br />
also, was zu tun war... Die Betreuung von Asylwerbern<br />
und Kriegsflüchtlingen sei vor 20 Jahren<br />
von Beamten gemacht worden, die keine Welle<br />
und keinen Ansturm vor sich sahen, sondern<br />
eine Aufgabe , die es zu lösen galt“<br />
(orf.at 10.8.<strong>2015</strong><br />
http://orf.at/stories/2292981/2292970/ )<br />
▪ Derzeit organisieren rund um Spielfeld niedergelassene<br />
AllgemeinmedizinerInnen – aus<br />
Eigeninitiative, neben ihrer normalen Arbeit, gemeinsam<br />
mit dem Roten Kreuz einen ärztlichen<br />
Bereitschaftsdienst an der Grenze, für den sich<br />
weitere freiwillige Ärzte zur Verfügung stellen.<br />
Wenigstens wird diese Arbeit von der öffentlichen<br />
Hand mit 50,00 €/Stunde unterstützt – das<br />
gilt aber nicht für die anderen psychosozialen<br />
Gesundheitsberufe! Werden diese Einsätze von<br />
öffentlichen Stellen koordiniert? Ist ein ähnlicher<br />
Einsatz in Graz, Leoben etc. geplant…? Dazu ist<br />
uns derzeit nichts bekannt.
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
▪ Das Kriseninterventionsteam (KIT), eine freiwillige,<br />
sehr aktive und bewährte Einsatzgruppe<br />
des Landes, könnte für Einsätze auf bis zu 400<br />
HelferInnen zurückgreifen. Laut Primaria Dr.<br />
Purtscher hat es jedoch an dieses Team bis heute<br />
keinerlei offizielle Aufträge zur Flüchtlingsbetreuung<br />
gegeben.<br />
▪ Auch die langjährig erfahrenen Organisationen<br />
Zebra und Omega mit reicher fremdsprachiger<br />
und Krisenbewältigungs-Kompetenz im Umgang<br />
mit traumatisierten Menschen wurden nicht in<br />
ein Krisenmanagement einbezogen.<br />
▪ Konkretes Detail: Warum gibt es keine warmen<br />
Mahlzeiten für die Flüchtlinge an der<br />
Grenze von offizieller Seite, sondern nur von<br />
Freiwilligen? Wo sind die Gulaschkanonen des<br />
Bundesheeres?<br />
▪ In den letzten Jahren ist es üblich geworden,<br />
dass viele öffentliche Aufgaben (auch im gesundheitlichen<br />
und psychosozialen Bereich)<br />
aus den Behörden ausgelagert, quasi privatisiert,<br />
wurden. Daraus ist eine reiche Landschaft<br />
verschiedenster Organisationen entstanden,<br />
die wert- und qualitätsvolle Arbeit, jedoch zum<br />
Teil auch in Konkurrenz zueinander, verrichten.<br />
Diese Vereine erhalten Subventionen der öffentlichen<br />
Hand und könnten daher selbstverständlich<br />
entsprechende Aufträge für Kriseneinsätze<br />
erhalten. Wenn es entsprechende Pläne<br />
gäbe!<br />
▪ Vorerst bleibt nur der freiwillige Einsatz, der<br />
von der Koordinationsstelle für Notfall- und Katastrophenmedizin<br />
des Landes organisiert wird<br />
(Tel. 0316/ 877-3518). Weitere Organisationen,<br />
bei denen Sie Ihre Mitarbeit anmelden können,<br />
finden Sie auf der Ärztekammerseite www.aekstmk.or.at/568.<br />
▪ Hervorzuheben ist die Aktion MEDeinander der<br />
Gynäkologin Dr. Vesna Bjelic-Radisic, die sich<br />
aus eigener Betroffenheit engagiert<br />
(http://fluechtlinge.kinderwunsch.institut.at)<br />
▪ In Wien hat sich eine interessante Initiative von<br />
ÄrztInnen gebildet: Sie bietet medizinische Hilfe<br />
für Flüchtlinge, organisiert seit August Einsätze<br />
vieler freiwilliger ÄrztInnen und hat Pläne, auch<br />
im Süden Österreichs aufzutreten.<br />
www.medicalaidforrefugees.at<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
11
GESUNDHEITSPOLITIK<br />
10<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong>
<strong>SMZ</strong> GEDENKFEIER <strong>2015</strong><br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
11
GEDENKARBEIT<br />
<strong>SMZ</strong> GEDENKFEIER <strong>2015</strong> – 70 JAHRE HOLOCAUST<br />
IN LIEBENAU / 70 JAHRE BEFREIUNG AUSCHWITZ<br />
VON USCHI POSSERT<br />
14<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Es war eine berührende Veranstaltung am 16.<br />
April <strong>2015</strong> anlässlich der Gedenkfeier am Yom<br />
Ha Shoa-Tag: 70 Jahre Holocaust in <strong>Liebenau</strong><br />
und 70 Jahre Befreiung von Auschwitz.<br />
An die 130 Gäste kamen in die Neue Mittelschule<br />
Dr. Renner in <strong>Liebenau</strong>, nahmen von den SchülerInnen<br />
der NMS und der Volksschule Schönau<br />
kleine brennende Kerzen entgegen und lauschten<br />
ihren Friedensliedern, persönlichen Gedanken<br />
und Gedichten zum Holocaust. „Vergesst<br />
nur nicht, wenn wir auch nie mehr wiederkehren,<br />
wenn auch die Tage wandern und Jahre,...“ zitiert<br />
ein Schüler Peter David im KZ Auschwitz.<br />
In seiner Begrüßung richtet der Obmann des Sozialmedizinischen<br />
Zentrums, Dr. Rainer Possert,<br />
an die Stadt Graz nach wie vor die Forderung<br />
nach einer angemessenen Gedenkstätte. „Außergewöhnliche<br />
Ereignisse in der Geschichte<br />
brauchen ein außergewöhnliches Gedenken!“<br />
In den neuesten Luftbild-Gutachten zum Lager<br />
<strong>Liebenau</strong>, die das <strong>SMZ</strong> besitzt, ist genau ersichtlich,<br />
wo sich – metergenau vermessen – im<br />
Tatzeitraum zugeschüttete Bombentrichter und<br />
Gruben aus dem Jahr 1945 befinden, in denen<br />
weitere Opfer des Holocaust vermutet werden.<br />
Auch der Vorsitzende im <strong>Liebenau</strong>er Prozess<br />
von 1947, Sir Douglas Young, wurde in damaligen<br />
Zeitungsberichten mit folgenden Worten<br />
zitiert: „Die Zahl der <strong>Liebenau</strong>er Todesopfer ist<br />
weit höher als 53, es liegen dort noch viele unter<br />
der Erde.“<br />
„Zivilcourage liegt in der Verantwortung jedes<br />
einzelnen Menschen. Ihre Anwesenheit hier und<br />
heute ist ein starkes Zeichen gegen das Vergessen<br />
und für ein Nie-wieder der Gräueltaten des<br />
Nationalsozialismus, und ich hoffe, auch gegen<br />
jede Form von Antisemitismus und Rassismus,“<br />
lautet die Grußbotschaft von Zvi Heifetz, Botschafter<br />
des Staates Israel.<br />
GRAZ ALS NS-DREHSCHEIBE<br />
Der bekannte österreichische Pianist und Vorsitzende<br />
von RE.F.U.G.I.U.S. Rechnitz, Paul<br />
Gulda, weist in seiner Rede sehr eindringlich<br />
darauf hin, dass Graz oberster Sitz der nationalsozialistischen<br />
Befehlszentrale war:<br />
„Vergessen Sie niemals, dass Graz die Drehscheibe<br />
und Befehlszentrale jener fürchterlichen<br />
Geschehnisse war! Von hier aus wurden die Befehle<br />
zur Exekution der unzähligen arbeitsunfähigen,<br />
ausgemergelten und kranken Zwangsarbeiter<br />
gegeben, vertreten durch Gauleiter Sigfried<br />
Überreiter und seinem Stellvertreter Tobias Portschy<br />
bis ins burgenländische Rechnitz. Grausamen<br />
Verbrechen muss zwangsläufig „Sühne“<br />
folgen, um mit Dostojewski zu sprechen,“ betont<br />
Gulda und weiter:<br />
„Nachdem sich Graz „Stadt der Menschenrechte“<br />
nennt, muss Graz auch die kollektive Verantwortung<br />
der Opfer gegenüber wahrnehmen. Das<br />
heißt: Die angemessene Reaktion kann nur die<br />
Errichtung einer Gedenkstätte sein. Unter dem Boden<br />
hier in <strong>Liebenau</strong> befinden sich „Giftstoffe unserer<br />
Zeitgeschichte“ – ich berufe mich damit auf den<br />
im Burgenland ansässigen Autor Martin Pollack<br />
und sein Buch „Kontaminierte Landschaften.“<br />
KONTAMINIERUNG MUSS<br />
DEKONTAMINIERT WERDEN.<br />
„Denn das Gift ist ein schleichendes Gift, und<br />
schleichendes Gift hindert eine Gesellschaft an<br />
ihrer gedeihlichen Entwicklung. Also schaffen<br />
Sie Klarheit, bearbeiten Sie diese Tabus! In den<br />
mehr als zwanzig Jahren meines Engagements<br />
an der Aufklärung der Verbrechen in Rechnitz<br />
habe ich eines gelernt: Wir müssen der Geschichte<br />
offensiv statt passiv begegnen, damit<br />
eine neue Generation heranwachsen kann, die<br />
über ihre eigene Geschichte Bescheid weiß und<br />
somit immun gegen die Bedrohungen der Gegenwart<br />
werden kann!“<br />
In Vertretung des Grazer Bürgermeisters verspricht<br />
GR Andreas Molnár und Obmann des<br />
Grazer Ungarischen Vereins, alles zu versuchen,<br />
den <strong>Liebenau</strong>er Holocaust-Opfern einen<br />
Namen zu geben. Auch ein Teil seiner Vorfahren<br />
wurde Ende 1944 durch NS-Schergen ermordet.<br />
„Nach 70 Jahren,“ so Molnar, „ist es endlich<br />
Zeit, dieses tragische Kapitel der Geschichte in<br />
Graz-<strong>Liebenau</strong> emotionsfrei aufzuarbeiten, um<br />
den Nachkommen mehr berichten zu können<br />
und die schrecklichen Ereignisse in Erinnerung<br />
zu behalten.“<br />
Wie wichtig es ist, den Holocaust bereits mit den<br />
Kindern aufzuarbeiten, zeigt das Geschichtsprojekt<br />
der VS Schönau, das Direktorin Angela<br />
Kaltenböck-Luef mit den SchülerInnen anhand<br />
von großen Schautafeln präsentierte.
DAS VERGESSEN DER SOZALEN FRAGE<br />
BLEIBEN WIR WACHSAM!<br />
LEIDER GIBT ES VIEL ZU VIELE ORTE DES GRAUENS.<br />
DER SCHRECKEN LIEGT VIEL NÄHER ALS MAN ERWARTET!<br />
KNOCHENFUNDE BEIM KINDERGARTENBAU 1991<br />
Nach einem Gebet von Kantor Alexander Lerner<br />
begeben sich die Gäste zum Kindergarten in<br />
die Andersengasse 49, wo am 5. April 1991 bei<br />
Grabungsarbeiten zum Neubau des Gebäudes<br />
die sterblichen Überreste zweier mutmaßlicher<br />
Opfer gefunden und still und leise entsorgt wurden,<br />
statt Nachforschungen zu betreiben.<br />
Luftbildaufnahmen von 1945 zufolge, wurde dieser<br />
Kindergarten auf einem riesigen, verfüllten<br />
Bombentrichter errichtet. „Den Rand des Trichters<br />
haben wir nach Vermessungsangaben mit<br />
Kreide markiert,“ sagt Dr. Possert. „Ob in diesem<br />
Bombentrichter weitere Opfer verscharrt sind,<br />
wissen wir nicht, es könnte aber durchaus sein,...“<br />
In Vertretung des Landeshauptmannes, betont<br />
Klaus Zenz, Abgeordneter zum steirischen<br />
Landtag, dass die weiße Kreidemarkierung des<br />
Bombentrichters ruhig noch viel dicker hätte ausfallen<br />
können – „als Zeichen der Erinnerung an<br />
die dunkelsten Stunden der Grazer und steirischen<br />
Geschichte, aber auch an die Befreiung<br />
von der Nazidiktatur vor 70 Jahren! Auch ich<br />
habe einen Großteil meiner Familie aus besagten<br />
politischen Gründen verloren.“<br />
DIE STIMMEN DER JUNGEN<br />
POLITISCHEN GENERATION<br />
Jakob Fahrner von den jungen Grünen: „Für<br />
mich ist eine Gedenkstätte mit Bildungsschwerpunkt<br />
hier am Grünanger ein wichtiges Anliegen,<br />
sie soll Kinder und Jugendliche in Schulen ansprechen,<br />
es müssten auch Führungen organisiert<br />
werden. In diesem Sinne werde ich Ihre<br />
Forderungen unterstützen!“<br />
Der Gedenkmarsch bewegt sich weiter zur ehemaligen<br />
„Kommandantur“, Andersengasse 34,<br />
dem einzigen Ziegelgebäude im ehemaligen<br />
Lagerareal, das bis heute erhalten geblieben ist.<br />
Darin befinden sich das <strong>SMZ</strong>-Stadtteilzentrum,<br />
ein Jugendzentrum und Sozialwohnungen.<br />
Robert Krotzer von der kommunistischen Jugend<br />
erinnert an die vielen Opfer vor allem in<br />
den letzten Kriegstagen 1945, die die Befreiung<br />
vom Faschismus nicht mehr erleben durften.<br />
Er erzählt die ihn prägenden Worte des Widerstandskämpfers<br />
Rudi Haunschmid, der den<br />
NS-Terror im KZ überlebt hat: „ Robert, du bist<br />
jung und ich möchte dir das mit auf den Weg geben:<br />
Wenn die Leute sagen, hört´s doch auf mit diesen<br />
alten G`schichten und zieht´s endlich einen<br />
Schlussstrich – dann sag ja! Aber nicht wir Jungen<br />
müssen aufhören, sondern alle die müssen<br />
aufhören mit den alten Geschichten von Antisemitismus,<br />
von Kriegstreiberei, Rassismus und<br />
Nationalismus!“<br />
Als letzter Redner betont Joachim Hainzl vom<br />
Mauthausen Komitee Österreich noch einmal:<br />
„Bleiben wir wachsam! Leider gibt es viel zu viele<br />
Orte des Grauens. Der Schrecken liegt viel näher<br />
als man erwartet!“<br />
Der Holocaust vor der Haustüre. Die dritte<br />
Gedenkfeier in <strong>Liebenau</strong> seit 2013 klingt mit<br />
„Hymn,“ einem Akkordeonstück von Aron Jay<br />
Kernis, interpretiert von Stefan Mancic und<br />
dem Abschlussgebet von Kantor Alexander<br />
Lerner aus.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
15
GRÜNANGER<br />
HELLO AND GOODBYE, GOODBYE GARDEN<br />
VON CHRISTOPH PAMMER<br />
16<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
DER SOMMER <strong>2015</strong> IN LIEBENAU WAR HEISS,<br />
DER <strong>SMZ</strong>-SOMMER BEWEGT UND AUCH IM<br />
HERBST WAR AM GRÜNANGER EINIGES LOS.<br />
EINE CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE RUND UM<br />
DEN GARTEN VOR UNSEREM STADTTEILZENT-<br />
RUM AM GRÜNANGER UND DEN EHEMALIGEN<br />
„SCHLECKER“ IN DER FIZIASTRASSE 13.<br />
Kein anderer Ort hat im Sommer <strong>2015</strong> im <strong>SMZ</strong><br />
mehr Aufmerksamkeit erregt wie der Garten in<br />
der Andersengasse 32-34 und das leerstehende,<br />
zum Abriss bestimmte Nachbargebäude Fiziastrasse<br />
13.<br />
Der Garten selbst stellt sich auf Luftbildern von<br />
1945 als möglicher Exerzierplatz vor dem einzigen<br />
befestigten Gebäude (Kommandantur?) im<br />
damaligen Zwangsarbeiterlager <strong>Liebenau</strong> dar.<br />
Heute befinden sich in diesem geschichtsträchtigen,<br />
langgezogenen Gebäude u.a. die Räumlichkeiten<br />
des <strong>SMZ</strong>-Stadtteilzentrums Grünanger.<br />
Gleich gegenüber, auf der anderen Straßenseite,<br />
liegt der städtische Kindergarten, bei dessen Bau<br />
1991 sterbliche Überreste zweier NS-Opfer entdeckt<br />
wurden.<br />
Seit 2011, damals eine so genannte „Gstettn“,<br />
wurde der Garten vom <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> genutzt.<br />
Nach der Schließung der Außenstelle des Jugendamts<br />
hielten wir ein sozialarbeiterisches<br />
Beratungsangebot in der Andersengasse 32-34<br />
aufrecht, so lag auch die Bestellung des Gartens<br />
mit dem Einverständnis der Stadt auf der Hand.<br />
Eine gemeinsame Nutzung der Räumlichkeiten<br />
(<strong>SMZ</strong>-Veranstaltungsmöglichkeit) mit WIKI,<br />
das dort ein Jugendzentrum betreibt, kam hinzu,<br />
was sich jedoch als äußerst schwierig und<br />
konfliktsträchtig gestaltete. Außerdem teilen wir<br />
unser Büro mit INPUT, einem Anbieter von Unterstützungsmaßnahmen<br />
für Kinder. Mittlerweile<br />
war der Garten in mühevoller Kleinarbeit mit Bewohnern<br />
gestaltet und ausgestattet, Kräuter- und<br />
Blumenbeete kamen hinzu und wir zäunten ihn<br />
ein. „Kunst im öffentlichen Raum“ stellte dem<br />
<strong>SMZ</strong> eine stattliche Sitzgruppe aus Stein zur Verfügung.<br />
Wir errichteten eine Gerätehütte und zwei<br />
Hochbeete im Rahmen des gemeinschaftlichen<br />
Gartelns.<br />
STADT GRAZ KÜNDIGT „BITTLEIHVERTRAG“<br />
Am 28. Mai erhielt das <strong>SMZ</strong> ein unangekündigtes<br />
Schreiben des Jugendamtes, in dem der<br />
Garten-Prekariatsvertrag („Bittleihe“) des <strong>SMZ</strong><br />
aufgekündigt und die Nutzung des Gartens mit<br />
einer Räumungsfrist von zwei Wochen untersagt<br />
wurde. Auf Nachfrage war zu erfahren, dass<br />
den Expansionswünschen der dem Jugendamt<br />
nahestehenden Organisationen Wiki und Input<br />
noch vor einem längeren Urlaub des zuständigen<br />
Beamten entsprochen werden sollte.<br />
Wir <strong>SMZ</strong>-MitarbeiterInnen in der Gemeinwesen-<br />
und Stadtteilarbeit vor Ort waren empört,<br />
der Treffpunkt der offenen Band „Amazing Grünanger“<br />
gefährdet, auch die Bewegungsangebote<br />
des <strong>SMZ</strong>, die im Garten mit Aufwärm- und<br />
Dehnübungen starten, würden fortan wohl auf<br />
dem Gehsteig durchgeführt werden müssen. Wir<br />
sammelten vor Ort 200 Unterschriften gegen die<br />
Kündigung des Gartens durch die Stadt Graz.<br />
KUNST IN DER FIZIASTRASSE 13<br />
Etwa zeitgleich kontaktierte Edith Draxl von UniT<br />
– Kunstlabor Graz das <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong>, um im<br />
Rahmen des LaStrada-Festivals über mögliche<br />
Kooperationen in einem Sommer-Kunstprojekt
HELLO AND GOODBYE<br />
im Bezirk <strong>Liebenau</strong> zu beraten. Es gelang, das<br />
ehemalige „Schlecker-Gebäude“ in der Fiziastrasse<br />
13 als Zentrum des Kunstprojekts „Hello &<br />
goodbye“ zu nutzen. Von dort aus starteten über<br />
eine Woche lang 24 geführte Fahrradtouren zu<br />
mehr als 20 Standorten in <strong>Liebenau</strong>. Das <strong>SMZ</strong> organisierte<br />
dabei auch historische Spaziergänge<br />
durch das ehemalige Zwangsarbeiter-Lagerareal.<br />
Dr. Rainer Possert war mit einer temporären Gedenkstätte<br />
vertreten: Sie bezeichnete einen zwischen<br />
dem 20. April und 2. Mai 1945 verfüllten<br />
Bombentrichter vor und im Schlecker-Gebäude.<br />
Dabei schrieb der syrisch-orthodoxe Theologe<br />
Ephrem Isaak in großen, braunroten Lettern ein<br />
Gebet an die Wand. Daneben ein Triptychon<br />
von Rainer Possert, das 16 seiner Fotografien,<br />
aufgenommen im – nach Jahrzehnten wieder<br />
geöffneten – Keller der ehemaligen „Lager-Kommandantur,“<br />
zeigte. Die Fotos wurden flankiert<br />
von Luftbildern der alliierten Streitkräfte aus dem<br />
Frühjahr 1945.<br />
WHERE MARTYRS HAVE BEEN KILLED, AND HAVE<br />
THEIR LIMBS SEVERED, THAT IS WHERE THE HOLY<br />
SPIRIT DWELL SAND SPREADS IN THE WILDERNESS.<br />
WO MÄRTYRER VERSTÜMMELT UND<br />
ERMORDET WURDEN, DORT VERWEILT<br />
DER HEILIGE GEIST UND BREITET SICH<br />
IN DER WILDNIS AUS.<br />
„Die Presse“ berichtete in der Printausgabe vom<br />
08.08.<strong>2015</strong> ausführlich über Posserts Kunstprojekt<br />
in <strong>Liebenau</strong>. Unter dem Titel „Es ist heute<br />
so, weil´s gestern so gewesen“ – eine Anspielung<br />
auf die Fortschreibung des ehemaligen<br />
Lagerareals als stigmatisiertes Wohngebiet und<br />
den heutigen Umgang mit den NS-Verbrechen in<br />
Graz. Am Grazer Grünanger würde „ein gegenwärtiges<br />
Elend vom Elend der Vergangenheit<br />
profitieren, die Stigmatisierung zu billigen Mieten<br />
führen und die Stadt Graz bei alldem quasi noch<br />
als edler Spender dagestanden sein,“ schreibt<br />
Wolfgang Freitag von „Die Presse.“<br />
Link zum Presse-Artikel, „Spektrum“,<br />
online vom 7.8.<strong>2015</strong>:<br />
http://diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/4795451/Es-ist-heut-so-weils-gesternso-gewesen<br />
Durch die Kooperation mit UniT und die Fahrradtouren<br />
durch <strong>Liebenau</strong> im Rahmen von „Hello<br />
und goodbye“ entdeckten auch wir <strong>SMZ</strong>ler Neues<br />
und Inspirierendes in „unserem“ Bezirk. Und<br />
nicht zuletzt sagten auch wir unserem Garten<br />
„goodbye.“ Erzwungenermaßen.<br />
VOM GARTEN ZU NEUEN „GSTETTN“<br />
In der Nutzung des <strong>SMZ</strong>-Gartens setzten sich<br />
also die Interessen der Parteiorganisationen<br />
durch. Als Ersatz erhielten wir statt des verloren<br />
gegangenen, schön hergerichteten und<br />
gut ausgestatteten Gartens zwei angrenzende<br />
Grünflächen, die wir nun wiederum als „Gstettn“<br />
übernehmen und wieder unter Mithilfe der BewohnerInnen<br />
nutzbar machen und gemeinsam<br />
gestalten wollen. „Sisyphus-Arbeit“ nennen wir<br />
das und meinen daher, um mit Albert Camus zu<br />
sprechen, „dass das Absurde nur insofern einen<br />
Sinn hat, als man sich nicht mit ihm abfindet.“<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
17
GRÜNANGER<br />
HELLO AND GOODBYE, FIZIASTRASSE 13<br />
VON RAINER POSSERT<br />
18<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Mit dem Abriss des ehemaligen „Schlecker“-Gebäudes<br />
in der Fiziastrasse 13 wollten das Wohnungsamt<br />
der Stadt Graz und „Wohnen Graz“<br />
(als Wirtschaftsbetrieb der Stadt Graz) ein klares<br />
Zeichen setzen. Obwohl die nutzbare Fläche von<br />
400m 2 im „Zentrum“ des Grünanger einen idealen<br />
Veranstaltungsort und Raum für Kommunikation<br />
abgegeben hätte, wurde diesem Bedürfnis der<br />
BewohnerInnen nicht Rechnung getragen.<br />
Jetzt ist eine mit Felsbrocken eingegrenzte Erdfläche<br />
sichtbar, die sich ab dem kommenden<br />
Frühjahr zu einer am Grünanger nicht unüblichen<br />
„Gstettn“ auswachsen wird. Unkraut statt<br />
Kommunikation.<br />
Womit das Amt in einer anderen Sache nicht<br />
gerechnet hatte: Das Gebäude wurde einst<br />
über einem, im April 1945, verfüllten Bombentrichter<br />
errichtet, dessen genaue Lage ich auf<br />
Grund zweier Fachgutachten genau lokalisieren<br />
konnte und im Rahmen einer Veranstaltung von<br />
LaStrada/Kunstlabor Graz sichtbar gemacht habe.<br />
Der ca. 7 Meter große und ca. 3-4 Meter tiefe<br />
Bombentrichter wurde bei Schalungsarbeiten für<br />
den Keller in den 1970er Jahren geöffnet. Ob damals<br />
Opfer geborgen wurden, ist nicht bekannt.<br />
Auf jeden Fall wurden 1992, in einer Entfernung<br />
von 100 Metern – am Gelände des Kindergartens,<br />
Skelette zweier mutmaßlicher NS-Opfer bei<br />
Bauarbeiten gefunden. In 50 Meter Entfernung<br />
befindet sich eine noch nicht geöffnete Grube, in<br />
der Opfer verscharrt sein könnten.<br />
Auf Grund der sehr öffentlichkeitswirksamen<br />
Gedenkarbeit des <strong>SMZ</strong> wurde das gesamte<br />
ehemalige Lagergebiet bereits im Frühjahr <strong>2015</strong><br />
als „archäologische Bodenfundstelle“ durch<br />
das Bundesdenkmalamt (BDA) im Flächenwidmungsplan<br />
ausgewiesen. Das bedeutet, dass<br />
ab diesem Zeitpunkt, Bauarbeiten am gesamten<br />
Grünanger dem BDA hätten gemeldet werden<br />
müssen, was beim Abriss der abgebrannten Baracke<br />
Andersengasse 38 im Mai <strong>2015</strong> nicht beachtet<br />
wurde.<br />
Durch die farbliche Kennzeichnung des Bombentrichters<br />
und die Errichtung einer temporären<br />
Gedenkstätte vor und im ehemaligen Schleckergebäude<br />
im Rahmen von La Strada/Kunstlabor<br />
Graz, (mehr als 150 Personen haben die Kunstinstallation<br />
gesehen) ist es mir gelungen, öffentlich<br />
eindringlich darauf hinzuweisen, dass<br />
beim Aufgraben „verdächtiger“ Strukturen am<br />
Grünanger sehr wohl auf die Geschichte des Ortes<br />
Rücksicht genommen werden muss.<br />
Obwohl ursprünglich von Seiten des Wohnungsamtes<br />
davon gesprochen wurde, beim Abriss<br />
des Schleckergebäudes dessen Keller ohne
GRÜNANGER: HELLO AND GOODBYE<br />
Freitagsgebet in aramäischer Schrift der syrisch-orthodoxen Kirche (12. JH).:<br />
WO MÄRTYRER VERSTÜMMELT UND ERMORDET WURDEN, DORT VERWEILT DER HEILIGE<br />
GEIST UND BREITET SICH IN DER WILDNIS AUS.<br />
genauere Nachschau „zuzuschütten“, wurden,<br />
unter Aufsicht eines Archäologen des Bundesdenkmalamtes<br />
und MitarbeiterInnen des <strong>SMZ</strong>,<br />
die Kellerwände und das Fundament des Kellers<br />
am 8. Oktober abgetragen. Es konnten keine<br />
Opfer gefunden werden.<br />
HIERMIT KÖNNEN FOLGENDE SCHLÜSSE<br />
GEZOGEN WERDEN:<br />
1.) Es befanden sich nie Opfer in dem zugeschütteten<br />
Trichter.<br />
2.) Opfer wurden noch in der Kriegszeit ausgegraben<br />
und an einen anderen Ort verbracht (so<br />
geschehen in der SS-Kaserne Wetzelsdorf)<br />
3.) Opfer wurden beim Bau des Kellers in den<br />
60er Jahren aufgefunden und wie es häufig üblich<br />
war, mit dem Aushub weggebracht.<br />
(Bauakt nicht auffindbar, Polizeiakten aus dieser<br />
Zeit nicht auffindbar, Gerichtsmedizinische Akten<br />
nicht zugänglich)<br />
4.) Für die zukünftigen BewohnerInnen des<br />
Wohnhauses Fiziastrasse 13 besteht lt. BDA<br />
jedoch keine Sicherheit, dass sich im nicht unterkellerten<br />
Bereich (ca. 50% der Fläche) keine<br />
Opfer befinden.<br />
Zum ersten Mal seit Kriegsende musste die<br />
Stadt Graz bei der Errichtung eines Gebäudes<br />
im ehemaligen Lagerbereich auf mögliche Opferfunde<br />
achten, was bei früheren Grabungen –<br />
auch bei der Errichtung von Kanälen, beim Bau<br />
des Kindergartens und auch der Hochhäuser in<br />
der Kasernstrasse – nicht der Fall war.<br />
„Der ganze Grünanger ist ein Friedhof“, so die<br />
Archäologin Univ.-Prof. Dr. Claudia Theune-Vogt<br />
am 28. April <strong>2015</strong> bei einer wissenschaftlichen<br />
Tagung zum Lager <strong>Liebenau</strong> in Graz.<br />
Die zahlreichen, auf Luftbildern gut erkennbaren<br />
„verfüllten“ Bombentrichter und „Gruben“ sind<br />
zum Teil noch für archäologische Untersuchungen<br />
zugänglich (z.B. Kindergarten und bestimmte<br />
Brachflächen), andere wurden überbaut.<br />
Wie bei Redaktionsschluss bekannt wurde, soll<br />
das Murkraftwerk Puntigam doch noch errichtet<br />
werden. Nach der Rodung des Baumbestandes<br />
entlang der Mur, werden großräumige Grabungen<br />
im Lagerbereich entlang der Mur notwendig.<br />
Wir gehen davon aus, dass diese mit äußerster<br />
Sorgfalt stattfinden, und dass mögliche sterbliche<br />
Überreste von NS-Opfern nicht auf der Stelle<br />
mit der Baggerschaufel zerstört werden, um<br />
die Bauarbeiten nicht zu verzögern.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
19
GRÜNANGER<br />
18<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong>
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
DIE GESUNDHEITSFÖRDERNDEN POTENTIALE<br />
VON HEIMTIEREN AUF DEN MENSCHEN<br />
VON MARTINA FREI<br />
Seit meiner Kindheit werde ich von unterschiedlichen<br />
Haustieren begleitet. Aus eigener Erfahrung<br />
weiß ich, was es heißt, ein Tier an der Seite zu<br />
haben, und ich bin der festen Überzeugung, dass<br />
ich in Bezug auf meine Gesundheit und in meinem<br />
Wohlbefinden von seiner Anwesenheit profitieren<br />
konnte.<br />
Im Rahmen meines Public Health Studiums beschäftigte<br />
ich mich intensiv mit den so genannten<br />
„Tiergestützten Interventionen“ und stellte<br />
diese in meinem Lehrgang vor. Mein Lehrgangsleiter<br />
bestärkte mich, weiter an diesem Thema<br />
zu arbeiten, und so war das Thema meiner Masterarbeit<br />
gefunden: „Die gesundheitsfördernden<br />
Potentiale von Heimtieren auf den Menschen.“<br />
Hauptaugenmerk dieser Masterarbeit liegt nicht<br />
auf den Tiergestützten Interventionen, sondern<br />
auf den gesundheitsfördernden Effekten von<br />
Heimtieren, unserem, wie Boris M. Levinson<br />
sie nannte, „therapeutischen Element im Alltag“<br />
(Greiffenhagen und Buck-Werner 2011:45).<br />
Seit Beginn der Menschheit gibt es eine Beziehung<br />
zwischen Mensch und Tier. Zu allen Zeiten<br />
der Geschichte des Menschen waren Tiere ein<br />
wichtiger Bestandteil im menschlichen Leben.<br />
Diese Beziehung war stets ambivalent, kulturabhängig<br />
und von einem unterschiedlichen Werteund<br />
Bedeutungswandel geprägt, mit dem sich<br />
auch Respekt und Wertschätzung gegenüber<br />
Tieren immer wieder veränderten.<br />
Menschen sind seit jeher von Tieren abhängig:<br />
Sie dienten als Nahrungs- und Kleidungslieferanten,<br />
Nutz- und Lastentiere, Haus- und Hofhüter,<br />
waren teilweise sogar religiös und mythisch<br />
verehrte Wesen und stellten treue Begleiter dar.<br />
Heute ist die Beziehung Mensch und Tier kontrovers<br />
geprägt. Einerseits werden Tiere ausgenutzt<br />
wie noch nie zuvor, zum Beispiel in Form von<br />
Massentierhaltungen, andererseits werden sie<br />
vermehrt als wichtige Lebenspartner anerkannt<br />
und ihre positiven Effekte auch zur Förderung von<br />
Gesundheit eingesetzt. Trotz des technischen<br />
Fortschritts haben Tiere auf der Welt noch verschiedenste<br />
Funktionen für Menschen und tragen<br />
mit ihren Fähigkeiten zur Erhöhung der Lebensqualität<br />
und einer besseren Lebensgestaltung bei<br />
(vgl. Otterstedt 2003: 15ff.).<br />
In Österreich gibt es rund 1,5 Millionen Katzen<br />
und 580.000 Hunde. In 17% der österreichischen<br />
Haushalte leben Hunde, Hunde und Katzen<br />
gemeinsam in 6,4% und Katzen in 26% der<br />
Haushalte (vgl. Petcom <strong>2015</strong>).<br />
Die Anzahl an Heimtieren in unserer Gesellschaft<br />
steigt stetig, wodurch auch das Interesse<br />
an ihren gesundheitsfördernden Potentialen<br />
stark zunimmt.<br />
Erste Aufzeichnungen über die heilenden Effekte<br />
von Tieren stammen aus dem achten Jahrhundert<br />
und erscheinen im Laufe der Zeit immer wieder.<br />
Bereits im 18. Jahrhundert gab es in England<br />
eine Einrichtung für psychisch Kranke, die es PatientInnen<br />
erlaubte, Kleintiere zu halten und zu<br />
versorgen. Mönche des Klosters York wussten<br />
schon vor 200 Jahren, dass Gebete und Tiere<br />
dem Menschen helfen, auch ein Epileptikerzentrum<br />
in Deutschland setzte von Anfang an auf<br />
die heilenden Effekte von Tieren. Leider wurden<br />
solche Pionierprojekte immer wieder vergessen<br />
oder mangelhaft dokumentiert und waren somit<br />
für die moderne Naturwissenschaft wertlos (vgl.<br />
Greiffenhagen und Buck-Werner 2011: 13f.).<br />
TIERE ALS CO-THERAPEUTEN<br />
Ein Meilenstein in der Erforschung der<br />
Mensch-Tier-Beziehung war die Publikation<br />
des amerikanischen Kinderpsychiaters Boris<br />
M. Levinson über seine Erfahrungen mit Tieren<br />
als Co-Therapeuten im Jahr 1969. Er entdeckte<br />
die so genannte „Eisbrecherfunktion“ von<br />
Tieren und nutzte seine Erkenntnisse, um Tiere<br />
in seiner Arbeit einzusetzen. Gerade durch<br />
Levinsons Publikation wurde das Interesse am<br />
Forschungsfeld der Mensch-Tier-Beziehung<br />
geweckt.<br />
Heute werden Tiere in der „Tiergestützten Therapie“<br />
ganz gezielt eingesetzt, um ein Dreieck<br />
aus TherapeutIn, Tier und PatientIn zu schaffen<br />
und um über das Tier eine gemeinsame Kommunikations-<br />
und Vertrauensbasis herzustellen.<br />
TIERISCHE EINFLÜSSE<br />
Haustiere haben Forschungen zufolge gesundheitsfördernden<br />
Einfluss auf uns Menschen. Die<br />
wichtigsten Punkte möchte ich kurz zusammenfassen,<br />
weil sie Körper, Seele, aber auch unser<br />
soziales Handeln, positiv beeinflussen.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
21
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
TIERE GEBEN VIELE POSITIVE GEFÜHLE ZURÜCK:<br />
SIE KÖNNEN TROST SPENDEN,<br />
KUSCHELN GERNE UND VERRINGERN<br />
EINSAMKEITSGEFÜHLE UND ÄNGSTE.<br />
22<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
• Wer z.B. regelmäßig mit seinem Hund spazieren<br />
geht, verändert seine Tagesstruktur,<br />
weil man regelmäßig Auslauf für das Tier<br />
bieten muss – „bei jedem Wind und Wetter.“<br />
Damit senken wir nachweislich unseren Blutdruck<br />
und stabilisieren durch die regelmäßige<br />
Bewegung Puls- und Herzfrequenz und<br />
somit den Kreislauf.<br />
• Auch der Muskeltonus entspannt sich durch<br />
den Körperkontakt und die Interaktion mit<br />
dem Tier, Glückshormone werden ausgeschüttet.<br />
• Unser Bewegungsradius erweitert sich allmählich,<br />
und die Bewegungsfreude wird größer<br />
(auch bei Kindern).<br />
• Heimtiere haben einen positiven Einfluss auf<br />
die soziale Entwicklung von Kindern, insbesondere<br />
auf das Einfühlungsvermögen. Der<br />
Umgang mit einem Tier lehrt Kinder, die Gefühle<br />
und Bedürfnisse eines anderen Lebewesens<br />
wahrzunehmen und diese Fähigkeit<br />
auf Interaktionen mit anderen Menschen zu<br />
übertragen.<br />
• Jeder, der ein Haustier besitzt, wird bestätigen,<br />
dass sich auch die Kommunikation zu<br />
anderen Menschen verändert: Wir knüpfen<br />
leichter Kontakte, sind offener und finden<br />
schneller eine gemeinsame Gesprächsbasis.<br />
• Tiere fördern das Erlernen und Anwenden<br />
einer nicht-sprachlichen (analogen) Kommunikation,<br />
eine Fähigkeit, die für eine erfolgreiche<br />
Interaktion mit anderen Menschen von<br />
großer Bedeutung ist.<br />
• Die intensive Beziehung zu einem Heimtier<br />
fördert den Leistungswillen, die Kreativität,<br />
die Konzentrationsfähigkeit und die Motivation<br />
zu selbstgesteuertem Lernen und<br />
Arbeiten.<br />
• Haustiere haben eine beruhigende Wirkung<br />
und fördern auch unser emotionales Wohlbefinden,<br />
weil sie Zuwendung, Beschäftigung<br />
und Pflege brauchen.<br />
• Tiere geben aber auch viele positive Gefühle<br />
zurück: Sie können Trost spenden, kuscheln<br />
gerne und verringern Einsamkeitsgefühle<br />
und Ängste.<br />
• Wir erfahren zudem Wertschätzung, weil uns<br />
ein Haustier das Gefühl des Gebrauchtwerdens<br />
vermittelt, wir übernehmen Verantwortung<br />
(das trifft besonders für Kinder zu) und<br />
erlernen dabei verschiedenste Bewältigungsstrategien<br />
im Umgang mit dem Tier.<br />
Einige Menschengruppen scheinen besonders<br />
vom Kontakt mit Tieren zu profitieren, darunter<br />
auch (ältere) Kinder und ältere Menschen. Daher<br />
ist es in diesem Zusammenhang erfreulich,<br />
dass bereits einige Alters- und Pflegeheime ihren<br />
BewohnerInnen Kontakt zu Tieren ermöglichen,<br />
indem die Mitnahme der eigenen Tiere ins Heim<br />
erlaubt wird, es beispielsweise eine Stationskatze<br />
gibt oder eigene Streichelzoos eingerichtet<br />
werden. Das Zusammenleben mit Tieren und die<br />
Übernahme kleiner Aufgaben in der Versorgung<br />
dieser bereichern das Leben von HeimbewohnerInnen<br />
und bringen Abwechslung in den Alltag.<br />
Tiere verbessern weiters die Stimmung im Heim<br />
und haben einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität.<br />
Interessierten LeserInnen kann die vollständige<br />
Masterarbeit sehr gerne zur Verfügung gestellt<br />
werden.<br />
Quellen:<br />
Greiffenhagen, S. und Buck-Werner, O. (2011): Tiere als Therapie:<br />
Neue Wege in Erziehung und Heilung, 3. Auflage, Nerdlen: Kynos<br />
Verlag.<br />
Otterstedt, C. (2003): Kultur- und religionsphilosophische Gedanken<br />
zur Mensch-Tier-Beziehung, in: Olbrich, E. und C. Otterstedt (Hg.):<br />
Menschen brauchen Tiere. Grundlagen und Praxis der tiergestützten<br />
Pädagogik und Therapie, Stuttgart: Franckh-Kosmos-Verlag, S. 15-31.<br />
PETCOM (<strong>2015</strong>): Heimtierpopulation in Österreich, [online] http://www.<br />
petcom.at/index/marktdaten/heimtier-population.html [25.5.<strong>2015</strong>].<br />
Verein gegen Tierfabriken (1996-<strong>2015</strong>a): Heimtierpopulation, [online]<br />
http://vgt.at/projekte/tierheime/fakten.php#markt [19.2.<strong>2015</strong>].
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
GESUNDHEITSPLATTFORM<br />
„WIE GESUND ISST (MAN IN) LIEBENAU?“<br />
VON MARTINA FREI<br />
JEDEN SAMSTAG KÖNNEN IN LIEBENAU<br />
LEBENSMITTEL ABGEHOLT WERDEN,<br />
DIE QUALITATIV IN ORDNUNG SIND,<br />
SONST JEDOCH AUFGRUND DES<br />
NAHENDEN ABLAUFDATUMS<br />
IM MÜLL LANDEN WÜRDEN.<br />
Rund 60 Gäste folgten unserer Einladung im Oktober<br />
zur Gesundheitsplattform „Wie gesund isst<br />
(man in) <strong>Liebenau</strong>“ in die Pfarre St. Paul. VertreterInnen<br />
von Gemeinschafts- und Betriebsküchen,<br />
von belieferten Schulen, Kindergärten und<br />
-krippen, aus Politik und Verwaltung, BäurInnen<br />
und interessierte BürgerInnen waren anwesend.<br />
Marktsprecher Johann Hierzer stellte im ersten<br />
Impulsvortrag den <strong>Liebenau</strong>er Bauernmarkt vor.<br />
Über 20 Jahre fand dieser in seiner Gärtnerei<br />
statt, ehe er aufgrund des Baus des Südgürtels<br />
vor etwa drei Jahren auf den Hof der Familie<br />
Hammer in die Engelsdorfer Straße umsiedeln<br />
musste. Der Bauernmarkt in <strong>Liebenau</strong> bietet jeden<br />
Freitag ab 13 Uhr ein vielfältiges regionales<br />
und saisonales Angebot von Gemüse, Brot,<br />
Mehlspeisen, Obst, Säften, frischem Fisch,<br />
Fleisch, Aufstrichen oder Milchprodukten. Die<br />
sorgfältig renovierte Markthalle mit dem Ziegelgewölbe<br />
aus dem Jahr 1898 ist mittlerweile zum<br />
sozialen Treffpunkt geworden.<br />
Mag. Christine Gelbmann von Styria Vitalis<br />
präsentierte gesunde Gemeinschaftsverpflegungs-Projekte<br />
und beweist damit, dass es durchaus<br />
möglich ist, Gemeinschaftsverpflegungen bei<br />
gleichen Preisen auf eine „gesunde Küche“ umzustellen,<br />
regionale und saisonale Lebensmittel<br />
spielen dabei eine wichtige Rolle. Ein wichtiger<br />
Erfolg von Styria Vitalis ist auch die Zusammenarbeit<br />
mit der Grazer Zentralküche, in der täglich<br />
7000 Portionen Essen zubereitet und ausgegeben<br />
werden, unter anderem auch an Kindergärten,<br />
Schulen und Betriebe in <strong>Liebenau</strong>.<br />
Mirjam Riener, BA, von der Team Österreich Tafel,<br />
wies im dritten Vortrag darauf hin, wie schwierig<br />
es gerade für armutsgefährdete Menschen sei,<br />
ausreichend und vor allem gesunde Lebensmittel<br />
einzukaufen.<br />
Sie stellte die „Team Österreich Tafel“ und deren<br />
Ausgabestelle in <strong>Liebenau</strong> vor. Jeden Samstag<br />
können dort Lebensmittel abgeholt werden, die<br />
qualitativ in Ordnung sind, sonst jedoch aufgrund<br />
des nahenden Ablaufdatums im Müll landen würden.<br />
Dank engagierter HandelsparterInnen und<br />
freiwilliger HelferInnen werden damit in <strong>Liebenau</strong><br />
etwa 400 armutsgefährdete Grazer einmal die<br />
Woche mit kostenlosen Lebensmitteln versorgt,<br />
steiermarkweit sind es 1000 Familien.<br />
In der abschließenden Diskussion wurde über<br />
Sinn und Unsinn von Bio-Produkten, die Bedeutung<br />
regionaler und saisonaler Lebensmittel<br />
und über die schonende Zubereitung von Nahrungsmitteln<br />
gesprochen. Wieder einmal hat<br />
sich gezeigt, dass es genug Ideen gibt, wie das<br />
Bewusstsein für eine gesunde Ernährung in unserem<br />
Bezirk gesteigert werden und diese auch<br />
weiterhin in Schulen und Kindergärten in <strong>Liebenau</strong><br />
umgesetzt werden könnte.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
23
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
VONEINANDER LERNEN FÄNGT MIT STAUNEN UND WERTSCHÄTZUNG AN,...<br />
VALIDATION UND DER WÜRDIGE UMGANG<br />
MIT DESORIENTIERTEN, ALTEN MENSCHEN<br />
VON USCHI POSSERT<br />
24<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
„Schlüpfen wir in die Schuhe demenzkranker Personen<br />
und versuchen wir sie mit i h r e n Augen<br />
zu sehen!“ ist der Leitsatz von Maria Hoppes<br />
Vortrag im <strong>SMZ</strong> über wertschätzende Kommunikation<br />
im Alter.<br />
Die Vortragende ist diplomierte Ergotherapeutin,<br />
Projektleiterin von „Entwirrt Alzheimer“ und Validationstrainerin<br />
nach Naomi Feil. In ihren 17 Jahren<br />
als Therapeutin im Rahmen des Kuratoriums<br />
Wiener Pensionisten-Wohnhäuser und Trainerin<br />
hat sie einen tiefen Einblick in Pflege- und Familiensituationen<br />
rund ums Altern erfahren und schildert<br />
in einem sehr persönlichen Vortrag anhand<br />
unzähliger Beispiele, wie Validation den Umgang<br />
mit Demenzkranken erleichtern kann.<br />
VALIDATION – DER WEGWEISER ZU EINER<br />
WERTSCHÄTZENDEN HALTUNG<br />
Diese – in der Altenarbeit anerkannte Arbeitsmethode<br />
– wurde von Naomi Feil, einer US-amerikanischen<br />
Gerontologin, geprägt.<br />
„Bringen wir in der Betreuung den alten, verwirrten<br />
Menschen Wertschätzung entgegen, seien<br />
wir ehrlich zu ihnen und greifen wir das auf, was<br />
da ist!“ betont Hoppe in ihrem Vortrag. „Die Validations-Theorie<br />
hilft zu verstehen, dass viele<br />
desorientierte Menschen mit der Diagnose Demenz<br />
sich im Endstadium ihres Lebens befinden.<br />
Wir können sie in ihrem inneren Rückzug<br />
dabei unterstützen, sich verbal oder nonverbal<br />
auszudrücken! Urteilen wir nicht über ihre Verwirrtheit,<br />
sondern lassen wir uns Zeit, uns auf die<br />
Person einzuschwingen!“ so die Vortragende.<br />
Wie oft ärgern oder beunruhigen wir uns über<br />
demente Familienmitglieder oder Heimbewohner,<br />
weil wir ihr Verhalten nicht verstehen: Sie<br />
schreien, laufen ständig durch Gänge, sind verwirrt<br />
und wollen nach Hause. Für einen Menschen,<br />
dessen äußere Wirklichkeit unerträ̈ glich<br />
geworden ist, ist ein Rü̈ ckzug in die zeitliche und<br />
örtliche Desorientierung oder in die Vergangenheit,<br />
die schöner war als die gegenwärtige Situation,<br />
immer noch die bessere Alternative.<br />
Hoppe spielt mit den Vortragsgästen typische Situationen<br />
durch:<br />
„Das ist meine Tasche, Du hast sie mir gestohlen!“<br />
nimmt sie die Rolle einer Demenzkranken<br />
ein und demonstriert deren aggressives Verhalten.<br />
Wie darauf reagieren? Nichts persönlich<br />
nehmen, ist ihr Rat: „Spiegeln wir das Verhalten<br />
des Gegenübers, versuchen wir dieselbe Körperspannung<br />
aufzugreifen, mit dieser Situation<br />
zu spielen – schlüpfen wir in die Schuhe des Anderen!<br />
Fragen wir nach – mit fester Stimme und<br />
versuchen mehr zu erfahren, Schlüsselwörter<br />
aufzugreifen, aber es geht nicht um das Warum.<br />
Fördern wir positive Gefühle, statt vieler Erklärungen,<br />
die nicht mehr beim Gegenüber ankommen.<br />
Und: Beenden wir die Konfrontation mit<br />
“Ich muss jetzt gehen! Soll ich wiederkommen?“<br />
„FAHRKARTEN IN DIE VERGANGENHEIT“<br />
„Meistens liegen die Auslöser für uns unverständliche<br />
Aussagen und Handlungen in der<br />
Vergangenheit,“ erklärt Maria Hoppe, „sie sind<br />
sozusagen die „Fahrkarten“ in diese vergangenen<br />
Zeiten.“ Auslöser dafür können bestimmte<br />
Geräusche sein, demonstriert die Vortragende<br />
mit einer Folge von Klangexperimenten, die sich<br />
die Zuhörer mit geschlossenen Augen anhören<br />
und dann darüber berichten, welch unterschiedliche<br />
Bilder diese Klänge in ihren Köpfen auslösen.<br />
„Und so schwirren unzählige Bilder auch<br />
in den Köpfen der verwirrten Menschen herum,<br />
ganz schnell und in unterschiedlichen Zeitdimensionen.<br />
Nur – dass diese Menschen sie
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
MIT DIESEN BÜCHERN LERNEN ANGEHÖRIGE,<br />
NACHBARN UND FREUNDE, DIE EINEN<br />
NAHESTEHENDEN MENSCHEN MIT DEMENZ<br />
BETREUEN, DIE METHODE „VALIDATION“ KENNEN.<br />
nicht mehr einordnen oder artikulieren können.<br />
Sie äußern sich oft nur in Merkwürdigkeiten: in<br />
einem Zusammensinken des Körpers, in einem<br />
Aufschrei oder in immer wiederkehrenden Bewegungsmustern<br />
wie Klopfen, ständigem Wischen,<br />
Auf- und Abgehen oder stundenlangem Stehen.<br />
Mit Blickkontakten, leisem Singen, Berührungen<br />
(z. B. beim Gehen den Arm anbieten, Streicheln)<br />
oder spiegelnden Bewegungen,“ so die Validationstrainerin,<br />
„könnten wir solche Verhaltensweisen<br />
unterbrechen. Aber das braucht alles Zeit<br />
und viel Geduld!“<br />
Die anschließende Diskussion befasst sich mit<br />
weiteren Aspekten:<br />
• Verhindern nicht die Strukturen unserer<br />
Pflegeheime so zeitaufwendige Methoden<br />
der Validation? Was nützt eine Schulung,<br />
wenn man im Alltag eines Pflegeheims<br />
kaum mit den Routine- Pflegearbeiten<br />
zurande kommt, weil ständiger Personalmangel<br />
herrscht und leider häufig der<br />
Profit der Heimbetreiber im Vordergrund<br />
steht? Muss daher nicht gleichermaßen<br />
an der Verbesserung der Pflege- und Betreuungsstrukturen<br />
sowohl in materieller,<br />
als auch in personeller Hinsicht gearbeitet<br />
werden?<br />
• Wie sieht es mit der wissenschaftlichen<br />
Evaluierung der Validationsmethode aus?<br />
Werden Erfolge in Heimen oder in Seniorengruppen<br />
auch dokumentiert und wissenschaftlich<br />
begleitet? Oder ist Validation ein<br />
riesiges Konglomerat an Erfahrungsschätzen<br />
aus verschiedensten Techniken und<br />
Konstrukten, das x-beliebig angewendet<br />
wird?<br />
• Wissen wir eigentlich, was Demenz wirklich<br />
ist – wie geht die Zerstörung des Gehirns<br />
tatsächlich vor sich? Eine Impfung gegen<br />
Alzheimer hat sich als wirkungslos herausgestellt.<br />
Alles in Allem eine interessante <strong>SMZ</strong> Veranstaltung,<br />
die zum Nachdenken, Nachlesen und einer<br />
Neuorientierung in der Altenarbeit angeregt hat.<br />
<strong>Info</strong>s:<br />
Österreichisches Institut für Validation<br />
Linsengase 4, 9<strong>02</strong>0 Klagenfurt<br />
Tel. 04229-3844<br />
www.OEI-Validation.at<br />
Buchtipps:<br />
Vicki de Klerk-Rubin:<br />
Mit dementen Menschen richtig<br />
umgehen<br />
Reinhardt Verlag<br />
Naomi Feil, V. de Klerk-Rubin:<br />
Valdidation in Anwendung und<br />
Beispielen<br />
Reinhardt Verlag<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
25
SOZIALARBEIT<br />
SOZIALE ARBEIT IN SCHOTTLAND IM BEREICH<br />
KIND, JUGEND UND FAMILIE<br />
VON ANAHITA SHARIFGERAMI<br />
26<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Lange Zeit schon hat mich Schottland fasziniert<br />
– die Landschaft, die Leute und die Kultur. Seit<br />
meinem 18. Lebensjahr war ich mindestens einmal<br />
im Jahr mehrere Wochen dort. Ich habe u.a.<br />
auch zwei Praktika absolviert: Das Erste bei einer<br />
„Nichtregierungsorganisation“ (NGO), welches<br />
ich mir aus Eigeninteresse organisiert habe und<br />
das Zweite beim schottischen Äquivalent zur<br />
Kinder- und Jugendhilfe als Teil meiner Ausbildung<br />
zur Sozialarbeiterin. Sie verschafften mir<br />
einen Einblick in die Arbeitsweisen im Bereich<br />
Kindheit, Jugend und Familie und mir wurde klar,<br />
wie wichtig interdisziplinäre und multiprofessionelle<br />
Zusammenarbeit im sozialen Bereich war.<br />
Nach meinem erfolgreichen Studienabschluss<br />
beschloss ich, für einige Jahre nach Schottland<br />
auszuwandern.<br />
EINBLICKE IN DIE FAMILIEN-UND JUGENDARBEIT<br />
Meine erste Arbeit fand ich in derselben NGO, in<br />
der ich einige Jahre zuvor mein Praktikum absolvierte.<br />
Es handelt sich dabei um eine stationäre<br />
Einrichtung für Eltern und Familien, die bereits<br />
Unterstützung von der Kinder- und Jugendhilfe<br />
erhält, wobei jedoch weiterhin Sorge um das Wohl<br />
und die Sicherheit der Kinder bzw. Jugendlichen<br />
zu Hause besteht. Für viele Familien ist diese<br />
Einrichtung die „letzte Chance“, eine Fremdunterbringung<br />
ihrer Kinder zu vermeiden. In anderen<br />
Fällen waren die Kinder bereits fremduntergebracht<br />
und ihr Aufenthalt in der NGO war Teil des<br />
Rehabilitationsplans. Bis zu 12 Wochen lebt die<br />
ganze Familie in der ländlichen Umgebung von<br />
Stirlingshire und arbeitet an Zielen, die vorher gemeinsam<br />
mit der Organisation, den zuständigen<br />
SozialarbeiterInnen und weiteren HelferInnen<br />
(z.B. LehrerInnen, KindergärtnerInnen, ÄrztInnen,<br />
PsychologInnen, etc.) definiert worden sind.<br />
Generell zählen regelmäßige Vernetzungstreffen<br />
in Großbritannien zum Alltag von SozialarbeiterInnen<br />
und Professionellen im sozialen Arbeitsfeld.<br />
Sie werden eingesetzt, um Hilfepläne für alle Kinder<br />
und Jugendliche, deren Wohl gefährdet ist,<br />
zu erstellen, zu evaluieren und um die nächsten<br />
möglichen Schritte zu besprechen.<br />
Fast alle Familien, die ich dort kennenlernen durfte,<br />
kamen aus sozial schwächeren Schichten.<br />
Die wenigsten Eltern haben (jemals) gearbeitet<br />
und sehr viele stammten selbst aus schwierigen<br />
Familien oder wurden bereits selbst als Kinder<br />
fremduntergebracht. Meine Aufgabe als „Family<br />
Support Worker“ war es, Zeit mit den Familien<br />
zu verbringen und sie in den unterschiedlichen<br />
Situationen des Alltags anzuleiten und zu unterstützen.<br />
Während ihres wochenlangen Aufenthaltes<br />
werden die Familien von 9 – 22 Uhr fast<br />
rund um die Uhr betreut, in besonders kritischen<br />
Fällen (z.B. bei gefährdeten Säuglingen) auch<br />
24-Stunden lang. Im Rahmen dieser intensiven<br />
Betreuung wird unter professioneller Anleitung<br />
vom Kochen eines gesunden Essens angefangen,<br />
altersgerechtem Spielen mit den Kindern,
SCHOTTLAND: KIND, JUGEND & FAMILIE<br />
EINES DER WICHTIGSTEN ZIELE IST,<br />
RESSOURCEN DER ELTERN ZU ERARBEITEN,<br />
DIESE BEWUSST ZU MACHEN UND<br />
IN WEITERER FOLGE ZU FÖRDERN.<br />
Durchsetzen von Regeln und Grenzen bis hin<br />
zu Arztbesuchen und Erledigungen mit den Familienmitgliedern,<br />
alles gemeinsam erledigt, um<br />
sie so bestmöglich zu unterstützten. Das ist natürlich<br />
eine sehr intensive Zeit, und gerade zu<br />
Beginn des Aufenthalts kann dieses Eindringen<br />
in die Privatsphäre der Familie für beide Seiten<br />
unangenehm sein, vor allem, wenn die BetreuerInnen<br />
als „Spione“ angesehen werden und nicht<br />
als Unterstützungssystem.<br />
RESSOURCEN STÄRKEN<br />
Viele Familien fühlten sich in der Vergangenheit<br />
(oft berechtigterweise) dem Wohlwollen<br />
der professionellen HelferInnen ausgeliefert.<br />
Die meisten haben Diskriminierung und Gewalt<br />
unterschiedlichster Formen miterlebt und erfahren.<br />
Für viele ist der Beginn des freiwillig-unfreiwilligen<br />
Aufenthaltes in der Organisation ein<br />
Tiefpunkt im Leben, sie wissen nicht, was noch<br />
alles auf sie zukommen wird und fürchten Kontrollverlust.<br />
Daher wird großer Wert darauf gelegt,<br />
eine stabile und professionelle Beziehung<br />
mit den Familien aufzubauen, die es erlaubt,<br />
gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Eines<br />
der wichtigsten Ziele ist, Ressourcen der Eltern<br />
zu erarbeiten, diese bewusst zu machen und in<br />
weiterer Folge zu fördern. So wird einerseits das<br />
elterliche Selbstwertgefühl gesteigert und andererseits<br />
die Eltern-Kind Beziehung gefestigt.<br />
Die BetreuerInnen stammen aus den unterschiedlichsten<br />
Professionen: Sozialarbeiter-<br />
Innen, Hebammen, Psycho- und PhysiotherapeutInnen,<br />
BewährungshelferInnen, Pädagog-<br />
Innen, etc. und können daher auf ein sehr breites<br />
Spektrum an Erfahrungen zurückgreifen.<br />
GEMEINSAME ARBEITSBASIS SCHAFFEN<br />
In den vergangen zehn Jahren hat die schottische<br />
Regierung unter dem Namen „Getting it<br />
right for every child“ Leitlinen entwickelt, die berufsübergreifend<br />
eine konsistente Arbeitsweise<br />
mit Kindern und Jugendlichen gewährleisten soll.<br />
Neue Methoden zur Analyse und Strukturierung<br />
von <strong>Info</strong>rmationen wurden entwickelt, die Organisationen<br />
und Fachleuten nützen sollen, um<br />
die Ressourcen und Schwächen, sowie mögliche<br />
Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder und<br />
Jugendliche anzubieten. In einfacher Sprache<br />
und sehr übersichtlich fasst dieses Modell alles<br />
zusammen, was für eine gesunde Entwicklung<br />
notwendig ist und baut auf fundiertem Wissen<br />
auf. Mit sehr viel Aufwand hat die Regierung<br />
dieses Modell in den letzten Jahren flächendeckend<br />
in stationären, ambulanten, staatlichen<br />
und unabhängigen Organisationen, die mit Kindern<br />
und Jugendlichen arbeiten, durchgesetzt.<br />
Diese Grundstruktur ermöglicht Sozialarbeiter-<br />
Innen, LehrerInnen, KindergartenpädagogInnen,<br />
ÄrztInnen oder PolizistInnen eine gemeinsame<br />
Arbeitsbasis und erleichtert die interdisziplinäre<br />
Zusammenarbeit.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
27
SOZIALARBEIT<br />
28<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
CHILDREN`S HEARINGS<br />
Nach einem Jahr beschloss ich, Erfahrungen im<br />
stationären Bereich zu sammeln. Also arbeitete<br />
ich die nächsten beiden Jahre in zwei unterschiedlichen<br />
Magistraten. Auch dort beschäftigte<br />
ich mich mit Familien in schwierigen Lebenslagen,<br />
wobei Kinder und Jugendliche oft kurz vor<br />
der Fremdunterbringung standen. Ich betreute<br />
bis zu fünf Familien, was mir erlaubte, oft sieben<br />
Stunden pro Woche mit einer Familie zu arbeiten.<br />
Die zeitliche Einteilung war dabei bestmöglich<br />
auf deren Bedürfnisse abgestimmt. Wenn<br />
nötig, habe ich die Familien bis zu fünfmal die<br />
Woche zu Hause besucht, um sie direkt in ihrem<br />
Lebensumfeld zu unterstützen.<br />
Auch nahm ich zum ersten Mal an so genannten<br />
„Children‘s Hearings“ teil. Dieses System ist bislang<br />
einzigartig in Schottland, um Entscheidungen<br />
zum Wohle und zur Sicherheit von Kindern<br />
zu treffen. Ein fundamentales Prinzip dieses<br />
Systems ist, dass Kinder und Jugendliche, deren<br />
Gesundheit und Wohl gefährdet ist, aber auch<br />
minderjährige Straftäter dieselbe Anhörung bekommen,<br />
da es sich dabei oft um dieselben Kinder<br />
und Jugendlichen handelt. Das „Children`s<br />
Hearing“ ist aber keine Gerichtsverhandlung,<br />
sehr wohl kann das Komitee Weisungen erteilen.<br />
Jeder, der Sorge um das Wohl eines Kindes oder<br />
Jugendlichen hat, kann seine Bedenken beim<br />
so genannten „Children’s Reporter“ melden. In<br />
den meisten Fällen nehmen davon Polizei, SozialarbeiterInnen<br />
oder LehrerInnen Gebrauch.<br />
Aber auch Eltern oder Kinder selber können<br />
eine Meldung machen. Der „Children’s Reporter“<br />
sammelt daraufhin <strong>Info</strong>rmationen über das Kind<br />
und dessen Umfeld und entscheidet danach, ob<br />
es zu einem „Children’s Hearing“ kommt. Hierfür<br />
werden alle Schlüsselprofessionen um die Familie<br />
aufgefordert, im Vorhinein einen Bericht abzugeben<br />
und zur Anhörung zu erscheinen. Bei der<br />
Anhörung ist die ganze Familie verpflichtet, vor<br />
einem Komitee und dem „Children‘s Reporter“<br />
zu erscheinen. Das Komitee besteht jeweils aus<br />
drei BürgerInnen, die sich freiwillig und unentgeltlich<br />
dazu bereit erklären und dafür auch eine<br />
spezielle Ausbildung absolviert haben.<br />
Beim Hearing kann jeder seine persönliche Meinung<br />
äußern, das Komitee stellt spezifische Fragen,<br />
spricht mit einer Person auch alleine, und<br />
die anderen verlassen den Raum. Am Ende der<br />
Anhörung entscheidet das Komitee über mögliche<br />
Veränderungen des Hilfeplans oder über die<br />
Beibehaltung bis zu einem weiteren Hearing. Familien<br />
und Kinder können auch dazu verpflichtet<br />
werden, mit bestimmten Fachleuten oder Organisationen<br />
zusammenzuarbeiten. In besonders<br />
gravierenderen Fällen bestimmt das Komitee<br />
auch die Fremdunterbringung bzw. Rehabilitation<br />
von Kindern und Jugendlichen. Binnen 21<br />
Tagen können betroffene Familien gegen die
SCHOTTLAND: KIND, JUGEND & FAMILIE<br />
Entscheidung des Komitees schriftlich Einspruch<br />
erheben, dann kommt es zu einer Anhörung vor<br />
dem Richter.<br />
Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass es meist<br />
„good practice“ ist, den schriftlichen Bericht und<br />
weitere Empfehlungen mit der jeweiligen Familie<br />
schon im Vorfeld zu besprechen, bevor alles<br />
dem „Children‘s Reporter“ gemeldet wird. Auch<br />
Vernetzungstreffen haben sich dabei bewährt.<br />
Ich habe erlebt, wieviel Druck dieses Modell von<br />
den SozialarbeiterInnen nimmt, wenn es z.B.<br />
um eine Kindesabnahme geht. Nicht auf einer<br />
Person alleine lastet die Entscheidung, sondern<br />
eine Gruppe von professionellen Helfern teilt<br />
sich die Verantwortung weil sie die Familie kennt<br />
und mit ihr arbeitet.<br />
So ist meiner Meinung nach Schottland in Bezug<br />
auf die soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen<br />
um einiges fortschrittlicher als Österreich.<br />
Vernetzung und multiprofessionelle Zusammenarbeit<br />
sind selbstverständlich, es werden dabei<br />
gemeinsame Lösungsstrategien erarbeitet, die<br />
langfristig zu positiven Veränderungen führen.<br />
Ich bin überzeugt, dass die Gründung von „Primary<br />
Health Care Centers“ in Österreich auch<br />
für die Sozialarbeit richtungsweisend ist – wir<br />
könnten berufsübergreifend voneinander lernen<br />
und über den Tellerrand hinaus sehen.<br />
BEIM HEARING KANN<br />
JEDER SEINE PERSÖNLICHE<br />
MEINUNG ÄUSSERN,<br />
DAS KOMITEE STELLT<br />
SPEZIFISCHE FRAGEN,<br />
SPRICHT MIT EINER PERSON<br />
AUCH ALLEINE,<br />
UND DIE ANDEREN<br />
VERLASSEN DEN RAUM.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
29
STADTTEILARBEIT<br />
<strong>SMZ</strong> LIEBENAU – ERFOLGE DER STADTTEILARBEIT<br />
<strong>2015</strong> – EIN ZWISCHENRESÜMEE<br />
30<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Der folgende Bericht hält stichwortartig 36<br />
sichtbare Erfolge der Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit<br />
fest, die vom <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong>, finanziert<br />
von der Stadt Graz (SIBET-Stadtteilarbeit/<br />
Siedlungsbetreuung) und dem Land Steiermark<br />
(Gesundheitsförderung/Gemeinwesenarbeit) im<br />
Zeitraum vom 1.1. bis 30.9.<strong>2015</strong> erreicht wurden.<br />
Am 1.10. beginnt ein Kooperationsprojekt, finanziert<br />
vom Fonds Gesundes Österreich, das von der<br />
Stadt Graz (Amt für Wohnungsangelegenheiten)<br />
gefördert wird.<br />
Das <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> verfügt in Folge kontinuierlicher<br />
Auf- und Ausbauarbeit, beginnend 1985,<br />
über ein außergewöhnlich großes und stabiles<br />
Netzwerk an lokalen Kooperationspartnern, das<br />
<strong>2015</strong> um regionale und überregionale Akteure<br />
erweitert werden konnte. Darüber hinaus bewirken<br />
die vielfältigen Angebote des <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong><br />
in anderen Arbeitsbereichen (Allgemeinmedizin,<br />
Suchtberatung, Familienberatung, Gesundheitsprojekte)<br />
einen entscheidenden Mehrwert<br />
gegenüber Nachbarschaftszentren, Organisationen<br />
für Konfliktvermittlung, Organisationen für<br />
Bürgerbeteiligung und anderen sozialräumlichen<br />
Strategien sozialer Arbeit in Graz, die zu wichtigen<br />
Kooperationspartnern in der Stadtteilarbeit<br />
zählen.<br />
SOZIALE VERNETZUNG IN STADTTEILEN<br />
■■<br />
Stadtteilfest am Grünanger<br />
■■<br />
In der Jauerburggasse werden Haussprecher-<br />
Innen ernannt, in weiteren Siedlungen sind<br />
die MultiplikatorInnen bekannt und ein regelmäßiger<br />
Austausch zur Förderung der<br />
sozialen Vernetzung und Selbstvertretung<br />
in Wohnanlagen findet statt<br />
■■<br />
regelmäßige Siedlungstreffen in vier Siedlungen<br />
■■<br />
Für die Siedlung am Schönaugürtel liegen<br />
ein partizipativ erarbeitetes Projektkonzept<br />
für die Neugestaltung des Innenhofs, sowie<br />
ein detaillierter Bericht unserer Beobachtungen<br />
und Erfahrungen der Probleme vor<br />
■■<br />
Ort vor.<br />
Die Teilnahme der Ärzte in Projekten der<br />
Stadtteilarbeit ermöglicht Menschen niederschwelligen<br />
Zugang zu konkreten Gesundheitsinformationen<br />
und Beratung zu<br />
den Themen Risikofaktoren und chronische<br />
Erkrankungen, schädliche Umwelteinflüsse<br />
(Feinstaub, Murkraftwerk, Lärm,<br />
Verkehrsbelastungen, etc.), Umgang mit<br />
Sucht und Drogen bei Kontakten mit Jugendlichen<br />
und allgemeine <strong>Info</strong>s (für MultiplikatorInnen<br />
und BewohnerInnen) im<br />
Zusammenhang mit erhöhten Krankheitsrisiken<br />
und vorzeitigem Tod bei Menschen<br />
mit sozialer Benachteiligung
ERFOLG DER STADTTEILARBEIT <strong>2015</strong><br />
■■<br />
■■<br />
■■<br />
Gemeinsame Sperrmüllaktion in der Pomisgasse<br />
(5 Tonnen Sperrmüll wurden gemeinsam<br />
mit insg. 15 BewohnerInnen entfernt)<br />
Herausgabe des Seniorenfolders <strong>Liebenau</strong><br />
und erstmals auch für Jakomini – überparteiliche<br />
und interkonfessionelle <strong>Info</strong>rmation<br />
über alle Aktivitäten als Treffpunkte für ältere<br />
Menschen<br />
Errichtung eines offenen Bücherschranks<br />
am Grünanger<br />
■■<br />
Sommerprogramm mit verschiedenen<br />
Workshops (Hip Hop, Teilnahme an Yoga im<br />
Augarten, Ernährungsworkshop, Brunch im<br />
Garten, Musik und Spiel, Ausflug zu Ludovico,<br />
Spieleabend, Karaoke-Singen, Grillen<br />
im Garten, Kaffee- und Kuchenplausch, Büchertausch)<br />
■■<br />
■■<br />
Projekte wie Musik am Grünanger und der<br />
Brunch werden von TeilnehmerInnen weiter<br />
empfohlen, FreundInnen und NachbarInnen<br />
mitgebracht.<br />
Kerstin Nestelberger präsentiert ihre Masterarbeit<br />
über den „Brunch am Grünanger“ und<br />
dokumentiert nachhaltige Empowermentprozesse<br />
in benachteiligten Zielgruppen am<br />
Grünanger.<br />
SOCIAL GARDENING<br />
■■<br />
Aufbau und Eröffnung des Gemeinschaftsgartens<br />
Schönau in Kooperation mit Caritas<br />
■■<br />
Graz – Schlupfhaus: 12 Beete, die von Einzelpersonen<br />
und Familien bewirtschaftet werden,<br />
Gemeinschaftsfläche, Gerätehütte, Gartengemeinschaft:<br />
generationenübergreifende<br />
Kontakte zu den Jugendlichen vom angrenzenden<br />
Pavillon<br />
Verdoppelung der Gartenflächen am Grünanger:<br />
BewohnerInnen helfen bei der Instandsetzung<br />
und Pflege der neuen Gartenflächen<br />
MUSIK UND MUSIKARBEIT IN STADTTEILEN<br />
■■<br />
Musik am Grünanger: Vorstellung und Auftritt<br />
beim Abschlussfest des Projektfonds<br />
Steiermark „Miteinander. Füreinander“<br />
■■<br />
Musik am Grünanger nimmt am steirischen<br />
Songcontest „Bruck’n bau’n“ <strong>2015</strong> im Mai<br />
teil und erhält alle Punkte von Jury Nadine<br />
Beiler, Herwig Rüdisser (OPUS) und Leo<br />
■■<br />
Aberer<br />
Musik am Grünanger: Teilnahme am steirischen<br />
herbst <strong>2015</strong> – Workshop „Spielimpulse“<br />
mit Simon Mayer (ImPulsTanz-Gewinner/Vienna<br />
<strong>2015</strong>)<br />
■■<br />
Musik am Grünanger Gruppe bestreitet 1.<br />
Konzert „Glück am Grünanger“ im März<br />
<strong>2015</strong> in der VS Schönau<br />
■■<br />
MUSI: Zwei Volksschulkinder schaffen die<br />
Aufnahmeprüfung für Zupfinstrumente im<br />
Hauptfach Gitarre im Johann-Joseph-Fux<br />
Konservatorium Graz<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
31
STADTTEILARBEIT<br />
32<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
■■<br />
■■<br />
■■<br />
■■<br />
MUSI: Zwei Volksschulkinder schaffen die<br />
Musik-Aufnahmeprüfung an der NMS Ferdinandeum<br />
mit Musikschwerpunkt<br />
VS Schönau nominiert MUSI als Modellprojekt<br />
bei einem Wettbewerb<br />
Erster Musiktherapie-Stammtisch Steiermark/Kärnten<br />
findet im <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> im<br />
September <strong>2015</strong> statt.<br />
<strong>SMZ</strong>-TeilnehmerInnen besuchen „Maibaumschneiden“<br />
im Hof Hammer (<strong>Liebenau</strong>er<br />
Bauernmarkt) und das BeGS-Cafe<br />
KOOPERATIONEN<br />
■■<br />
Projektstart „Starke Nachbarschaften – Gesunde<br />
Stadt“, ein zweijähriges Kooperationsprojekt<br />
mit Diversity Consult. Zielgruppen:<br />
Babys, Kleinkinder und ihre Familien,<br />
auf arbeitslose Alleinerziehende in den betreuten<br />
Siedlugen zugehen, Weiterentwicklung<br />
der Stadtteilarbeit als Gesundheitsförderung<br />
im Schönauviertel, finanziert von<br />
der Stadt Graz und dem Fonds Gesundes<br />
Österreich.<br />
■■<br />
Zusammenarbeit mit UniT/LaStrada im<br />
Zuge von „Hello and Goodbye:“ Vernetzung<br />
mit der Kunstszene (Link zum Presse-Artikel,<br />
„Spektrum“ vom 7.8.<strong>2015</strong>: http://<br />
diepresse.com/home/spectrum/zeichenderzeit/4795451/Es-ist-heut-so-weils-gesternso-gewesen)<br />
■■<br />
Drei Radiosendungen „Stadtteilradio“ (Radio<br />
Helsinki) über Musik am Grünanger,<br />
das Sommer- bzw. Nachbarschaftsfest der<br />
NMS Renner und die Gedenkfeier werden<br />
ausgestrahlt<br />
■■<br />
■■<br />
■■<br />
Gemeinsam mit der NMS Renner veranstaltetes<br />
Sommerfest der Schule als Nachbarschaftsfest<br />
mit Konzert<br />
VS Engelsdorf engagiert im Rahmen des<br />
Sommerfestes <strong>SMZ</strong> für Gesundheitscheck<br />
Zusammenarbeit mit dem Verein JUKUS<br />
(Arbeitsmarktintegration) in der Siedlung<br />
am Schönaugürtel<br />
■■<br />
Weiterführende Kooperationsanfragen<br />
mehrerer Institutionen (Begegnungszentrum,<br />
Schulen, Bezirksrat, Lebenshilfe)<br />
■■<br />
■■<br />
Zusammenarbeit mit dem Referat für Barrierefreies<br />
Bauen auf der Suche nach einem<br />
Stadtteilzentrum in Jakomini<br />
Vernetzung mit Bezirksrat, Pfarren, Gesundheits-<br />
und Sozialeinrichtungen, Vereinen<br />
und Initiativen in <strong>Liebenau</strong> und Jakomini<br />
HISTORISCHE AUFARBEITUNG DER GESCHICHTE<br />
DES GRÜNANGERS UND GEDENKARBEIT<br />
■■<br />
Eine Gedenkfeier mit rund 130 TeilnehmerInnen<br />
in der NMS Renner, unterstützt<br />
vom Land Steiermark und Führungen mit<br />
Schülerinnen finden statt.<br />
■■<br />
Ankauf des Triptychon von Dr. Rainer Possert<br />
durch die Stadt Graz<br />
■■<br />
Areal des Grünangers wird zu archäologischer<br />
Bodenfundstelle<br />
■■<br />
■■<br />
Bundesdenkmalamt begutachtet Andersengasse<br />
32-34, die vermutete eh. Kommandantur<br />
des Lagers <strong>Liebenau</strong><br />
beim Abriss des Objekts Fiziastraße 13 wird<br />
das Bundesdenkmalamt hinzugezogen
ERFOLG DER STADTTEILARBEIT <strong>2015</strong><br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
33
STADTTEILARBEIT<br />
MUSIK AM GRÜNANGER –<br />
EIN STADTTEILPROJEKT<br />
VON VICTORIA FUCHS<br />
Unsere <strong>SMZ</strong>-Gruppe „Musik am Grünanger“ war<br />
in diesem Jahr besonders aktiv. Nicht zuletzt<br />
durch das schöne Wetter konnte das wöchentliche<br />
Singen am Freitag nicht nur im stillen Kämmerchen<br />
im Stadtteilzentrum Grünanger stattfinden,<br />
sondern draußen im Garten.<br />
Bei mehreren Veranstaltungen konnte die Gruppe,<br />
die sich mittlerweile „The Amazing Grünanger“<br />
nennt, ihr Können unter Beweis stellen. Mit<br />
der Unterstützung von MusikerInnen wie Maria<br />
und Georg Fuchs, Andrea Machhammer, Irene<br />
Fank und dem musikalischen Turnusarzt Krisitijan<br />
Filic wurden verschiedene bekannte Lieder gecovert<br />
bzw. umgeschrieben. Die Choreographien zu<br />
den Liedern wie „Hakuna Matata“, „Freiheit“ von<br />
den Söhnen Mannheims oder die deutsche Version<br />
von „Lemon Tree“ wurden von den Kindern im<br />
Alter von vier bis zehn Jahren und den Erwachsenen<br />
selber erdacht und teilweise in Eigenregie<br />
erprobt.<br />
Ein besonderes Highlight war das Konzert „Glück<br />
am Grünanger“ am 31.03.<strong>2015</strong>. Das Publikum<br />
sang begeistert mit Hilfe des selbst erstellten<br />
Liederheftes mit und verbreitete gute Stimmung<br />
in der VS Schönau. Soloeinlagen von Markus<br />
Brandstätter, Elivs-Nummern von Thomas L. und<br />
Lieder von der Liedermacherin Andrea Machhammer<br />
(Hammerklang) rundeten das Programm der<br />
Gruppe ab. Auch dass uns Landtagspräsidentin<br />
Dr. Bettina Vollath besuchte, war uns eine Ehre.<br />
Im Mai wurde die „Musik am Grünanger“-Gruppe<br />
zum Grazer Song Contest „Bruck’n’bau’n“ eingeladen.<br />
Trotz Regenschauer traten die Erwachsenen<br />
und die Kinder im Freien auf. Unsere jüngste<br />
Teilnehmerin war vier Jahre alt und sang begeistert<br />
mit den anderen 20 Personen mit. Der Auftritt<br />
wurde von OPUS Sänger Herwig Rüdisser,<br />
Leo Aberer und Nadine Beiler mit drei von drei<br />
Smileys belohnt.<br />
Bei unserem <strong>SMZ</strong>-Sommerfest „Hello and goodbye<br />
Garden“ im Juli eröffnete die Gruppe die Feierlichkeiten.<br />
Berührend war der Beitrag der Kinder,<br />
die ein Lied für den Garten vorbereitet hatten<br />
und sich mit „Die erste Träne fällt“ vom Garten<br />
verabschiedeten.<br />
Der Projektfonds „Miteinander. Füreinander“ lud<br />
Mitte September die Gruppe zum Abschlussfest<br />
ins Joanneumsviertel ein, mit „Könige im Kinderstaat“<br />
und „An Tagen wie diesen“ von den Toten<br />
Hosen wurde ein weiterer Auftritt bestritten.<br />
Die Gruppe wird immer größer, auch unser Fanclub.<br />
So unterstützen uns von der VS Schönau<br />
Direktorin Mag. Angela Kaltenböck-Luef und<br />
Schulwart Helmut Schwarz bei Raum-Engpässen,<br />
die lieben BesucherInnen bei den <strong>SMZ</strong>-Angeboten,<br />
die uns als begeisterte ZuhörerInnen<br />
stärken und uns mit Cupcakes verwöhnen. Auch<br />
den Eltern ein großes Danke für die tolle Mitarbeit<br />
und Unterstützung.<br />
Da das <strong>SMZ</strong>-Projekt nicht nur in der Öffentlichkeit<br />
aktiv ist, sondern auch Gemeinschaft und Inklusion<br />
lebt, können auch Sie uns gerne besuchen<br />
kommen: zum Singen, zum Zuhören oder zum<br />
Kaffeetrinken. Wir freuen uns auf weitere TeilnehmerInnen<br />
und Gäste, die mit uns den Freitagnachmittag<br />
mit Musik und Gesang verbringen.<br />
Das Musikangebot schafft Raum für Begegnung<br />
von Menschen und soll weiterhin für Begeisterung<br />
und Freude sorgen. Wir freuen uns, alle, vom Kindergartenkind<br />
bis zu den SeniorInnen, bei uns begrüßen<br />
zu dürfen.<br />
Ausgehend vom Festival steirischer herbst wird<br />
ein Tanzworkshop „Spielimpulse“ mit dem Performancekünstler<br />
Simon Mayer stattfinden. Für<br />
den Winter sind bereits Projekte wie ein Konzert<br />
im Dezember und weitere Kooperationen geplant.<br />
34<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Abermals möchten wir einen Instrumenten-Aufruf starten:<br />
Sollten Sie zuhause ein mittlerweile ungespieltes Instrument besitzen,<br />
das keine Verwendung mehr findet – wir würden uns<br />
über dieses sehr freuen!
GEMEINSCHAFTSGARTEN<br />
WEM G‘HÖRT DAS HOCHBEET DA DRÜBEN?<br />
GEMEINSCHAFTSGARTEN SCHÖNAU<br />
VON MARTINA FREI<br />
Eine brachliegende, sonnige Wiese mit einigen<br />
Bäumen, ca. 800m 2 groß, nahe dem Schlupfhaus<br />
der Caritas. BewohnerInnen möchten dort gerne<br />
einen Garten gestalten.<br />
2014 trat das Schlupfhaus der CARITAS Graz<br />
mit der Idee, die Grünfläche am Mühlgang 3 für<br />
ein Gemeinschaftsgarten-Projekt zu nutzen, an<br />
uns heran. Der Garten soll dabei zu einem Ort<br />
der Begegnung und Veranstaltungsort werden.<br />
Wir organisierten <strong>Info</strong>rmationstreffen für die BewohnerInnen<br />
in Schönau, erste Anmeldungen<br />
erfolgten und zäunten die Gartenfläche gemeinsam<br />
mit den Interessenten ein. Der Vertrag für<br />
den neuen <strong>SMZ</strong>-Gemeinschaftsgarten mit der<br />
Caritas konnte auf drei Jahre, mit Option auf Verlängerung,<br />
gesichert werden.<br />
Der Aufbau des „Gemeinschaftsgartens Schönau“<br />
startete im heurigen Frühling mit einem Workshop<br />
zum Thema Hochbeetebau. Unter der Anleitung<br />
eines Tischlers schraubten und steckten wir das<br />
erste Hochbeet gemeinsam zusammen. Mit Bagger<br />
und Schaufel wurde in den nächsten Tagen<br />
der Untergrund für weitere Beete geebnet und die<br />
künftigen GärtnerInnen setzten die Beeteinfassungen<br />
aus Paletten und Holzstaffeln zusammen.<br />
Nachdem die Beete mit Zweigen, Grünschnitt und<br />
Erde befüllt waren, konnten unsere Hobbygärtner<br />
endlich die ersten Pflanzen setzen. Den ganzen<br />
Sommer über wuchsen Paradeiser, Paprika, Zucchini,<br />
Salat oder verschiedenste Kräuter heran. Mit<br />
dem Gemüse des „<strong>SMZ</strong>-Beets“ konnten wir regelmäßig<br />
unsere TeilnehmerInnen am donnerstäglichen<br />
Brunch am Grünanger“ verköstigen.<br />
BEETE FINDEN GROSSEN ANKLANG<br />
Die unterschiedlichen Aufgaben in der Gartengestaltung<br />
haben sich die interessierten GärtnerInnen<br />
selber aufgeteilt, wodurch jeder aktiv und nach<br />
seinen persönlichen Möglichkeiten im Gemeinschaftsgarten<br />
beteiligt war. Das gemeinsame Grillfest<br />
am 17. Juni war gleichzeitig unser Eröffnungsfest<br />
des Gemeinschaftsgartens Schönau, bei dem<br />
wir Stadträtin Elke Kahr und Bezirksvorsteher-Stellvertreter<br />
Klaus Strobl begrüßen konnten.<br />
Mittlerweile sind 12 Beete im Gemeinschaftsgarten<br />
Schönau bepflanzt, nächstes Jahr sollen weitere<br />
Beete hinzukommen. Durch das Engagement von<br />
Gärtner Toni wurden auch eine große Gerätehütte<br />
errichtet und Waschbetonplatten für eine Sitzecke<br />
verlegt, die im Frühjahr 2016 fertig gestellt werden<br />
soll. Wir laden regelmäßig zu gemeinsamen<br />
Treffen ein, bei denen nicht nur gegärtnert und<br />
getratscht, sondern auch fleißig weitergeplant und<br />
gebaut wird. Klar definierte Gartenregeln schaffen<br />
Verbindlichkeit und Verantwortung für den gemeinsamen<br />
Garten. Die GärtnerInnen übernehmen<br />
selbstständig Aufgaben, haben sich bereits in<br />
Gruppen zusammengefunden und die gegenseitige<br />
Unterstützung bei der Beetpflege ist zur Selbstverständlichkeit<br />
geworden.<br />
Durch die Nähe des Pavillons am Sandplatz, der<br />
als Treffpunkt für Jugendliche gilt, ergeben sich<br />
auch generationsübergreifende Kontakte. Einige<br />
Jugendliche haben bereits beim Aufbau der Beete<br />
mitangepackt und schauten auch bei unseren<br />
Veranstaltungen vorbei. Der Gemeinschaftsgarten<br />
Schönau ist dank der Möglichkeit, die Umgebung<br />
zu verschönern, nicht nur eine Bereicherung<br />
für die Nachbarschaft und die persönliche Kreativität,<br />
er bringt auch die BewohnerInnen über das<br />
Thema Gärtnern als sozialen Treffpunkt näher zusammen<br />
und kann so zu einer nachhaltigen und<br />
sozialen Stadtentwicklung – ganz im Sinne der<br />
Ziele der Stadtteilarbeit – beitragen.<br />
Mittlerweile ist das letzte Obst und Gemüse aus<br />
dem Gemeinschaftsgarten verarbeitet worden.<br />
Das Saisonende wurde mit einem Maronifest abgeschlossen<br />
und vielleicht ergeben sich auch bei<br />
Schnee gemeinsame Aktivitäten im Garten.<br />
Wenn Sie Interesse an einem Hochbeet in unserem Gemeinschaftsgarten<br />
haben oder Ideen für Veranstaltungen, Workshops oder die Gestaltung des<br />
Gartens einbringen möchten – <strong>Info</strong>rmationen bekommen Sie bei Martina Frei<br />
im Sozialmedizinischen Zentrum <strong>Liebenau</strong> unter der Telefonnummer:<br />
Tel: +43 (0)699 18 08 43 75 E-Mail: frei@smz.at<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
35
STADTTEILARBEIT<br />
BARRIEREFREIE STADTTEILARBEIT?<br />
VON MARTINA FREI<br />
36<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Auf der Suche nach einem Stadtteilzentrum im<br />
Bezirk Jakomini stoßen die MitarbeiterInnen des<br />
<strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> auf ein unerwartet hohes Hindernis:<br />
Das anzumietende Objekt muss barrierefrei<br />
begehbar sein. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen<br />
heißt das, dass die meisten<br />
in Frage kommenden Geschäftsflächen diese<br />
Eigenschaft nicht mit sich bringen, auch wenn<br />
sie im Erdgeschoss liegen. Die Räumlichkeiten<br />
unserer Praxisgemeinschaft in der <strong>Liebenau</strong>er<br />
Hauptstrasse sind barrierefrei, obwohl im ersten<br />
Stock gelegen.<br />
Ab 1.1.2016 tritt das Gleichstellungsgesetz in<br />
Kraft, das besagt, dass alle öffentlich zugänglichen<br />
Gebäude barrierefrei sein müssen. Dieses<br />
Gesetz wurde bereits 2006 beschlossen, ließ<br />
aber einen Übergangszeitraum von zehn Jahren<br />
für Umbauten zu.<br />
Bereits im Jahr 1985 hat die Stadt Graz mit dem<br />
„Referat für Barrierefreies Bauen“ im Magistrat<br />
Graz als erste Stadt in Österreich eine öffentliche<br />
Ansprechstelle für Menschen, die sich zum<br />
Thema „Barrierefrei Bauen“ informieren und beraten<br />
lassen möchten, eingerichtet.<br />
1993 wurde die ÖNORM B 1600, eine Planungsgrundlage<br />
für barrierefreies Bauen,<br />
beschlossen.<br />
Mit dem Beschluss der „Barcelona-Erklärung“,<br />
der „Salamanca-Erklärung“ und der „Erklärung<br />
von Graz“ versuchte die Stadt Graz, das Recht<br />
auf Selbstbestimmung und Gleichberechtigung<br />
für Menschen mit Behinderungen anzuerkennen.<br />
Mit der Unterzeichnung der UN-Konvention<br />
über die „Rechte von Menschen mit Behinderung“<br />
im Jahr 2008 wurde ein weiterer wichtiger<br />
Schritt getan und Bund, Länder und Gemeinden<br />
dazu verpflichtet, die Grundsätze dieser Konvention<br />
umzusetzen. In der Konvention werden<br />
Menschen mit Behinderung als „Menschen, die<br />
langfristige körperliche, seelische, geistige oder<br />
Sinnes-Beeinträchtigungen haben, welche sie<br />
in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren<br />
an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten<br />
Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“<br />
(Kommunaler Aktionsplan der Stadt Graz<br />
<strong>2015</strong>:135) definiert.<br />
DIE GRUNDSÄTZE DER UN-KONVENTION …<br />
■■<br />
Menschen mit Behinderung müssen die gleichen<br />
Rechte haben wie Alle.<br />
■■<br />
Jeder Mensch ist ein besonderer Mensch und<br />
hat das Recht, in Würde zu leben.<br />
■■<br />
Niemand darf schlechter behandelt werden,<br />
weil er oder sie eine Behinderung hat.<br />
■■<br />
Jeder Mensch soll in der Gesellschaft die gleichen<br />
Chancen haben.<br />
■■<br />
Jeder Mensch soll an der Gesellschaft gleich<br />
teilhaben können.<br />
■■<br />
Jeder Mensch darf für sich selbst entscheiden.<br />
… UND DIE SCHWIERIGKEITEN,<br />
SIE ZU REALISIEREN<br />
Seit Monaten besichtigten wir zahlreiche Objekte<br />
und legten unsere Ansprüche dar. Die potentiellen<br />
VermieterInnen waren durchgehend interessiert<br />
an unseren Tätigkeiten. Als es jedoch<br />
in weiteren Verhandlungen zum Thema Barrierefreiheit<br />
ging, stießen wir schnell auf Grenzen.<br />
Keines der Objekte, darunter auch ehemalige<br />
Geschäfts- und Büroflächen oder Lokale wäre<br />
sofort barrierefrei einsetzbar gewesen. Es hätte<br />
den Umbau des Eingangs, zum Beispiel in<br />
Form einer betonierten Rampe oder eines Hebelifts<br />
sowie ein barrierefreies WC, benötigt.<br />
Unser erstes Wunschobjekt wurde lieber zu<br />
zwei kleinen Wohnungen umgebaut, beim<br />
Zweiten forderte man sogar, dass das <strong>SMZ</strong> auf
BARRIEREFREIE STADTTEILARBEIT<br />
DEFINITION „MENSCH MIT BEHINDERUNG:<br />
LANGFRISTIGE KÖRPERLICHE, SEELISCHE,<br />
GEISTIGE ODER SINNESBEEINTRÄCHTIGUNGEN,<br />
IN WECHSELWIRKUNG MIT VERSCHIEDENEN BARRIEREN<br />
AN DER VOLLEN, WIRKSAMEN UND GLEICHBERECHTIGTEN<br />
TEILHABE AN DER GESELLSCHAFT<br />
eigene Kosten ein barrierefreies WC einbauen<br />
und beim Auszug auch wieder in den Originalzustand<br />
rückbauen sollte, da man keinen Nutzen<br />
in einer adaptierten WC-Anlage sah.<br />
Auch die weiteren VermieterInnen zierten sich<br />
vor den Kosten eines Umbaus und lehnten das<br />
<strong>SMZ</strong> als Mieter aus wirtschaftlichen Gründen<br />
ab oder schlugen uns das Ausnutzen widriger<br />
Gesetzesschlupflöcher vor, woraufhin wir eine<br />
Absage erteilen mussten.<br />
Am Ende einer 10jährigen gesetzlichen Übergangsfrist,<br />
so dachten wir, müsste nicht mehr<br />
über Barrierefreiheit diskutiert werden oder darüber,<br />
ob nicht die Verantwortung – falls überhaupt<br />
jemand kommt und Beschwerde einreicht – über<br />
den Vermieter abgewendet werden könne. Wir<br />
waren bei unserer Suche nach geeigneten<br />
Räumlichkeiten auch immer bereit, ein unternehmerisches<br />
Risiko mitzutragen und einen längeren<br />
Kündigungsverzicht einzugehen.<br />
BARRIEREFREIE STADTTEILARBEIT<br />
Um die Regeln der bereits erwähnten UN-Konvention<br />
umzusetzen, müssen sie von den einzelnen<br />
Ländern angepasst und festgehalten<br />
werden. In Österreich wurde dafür 2012 der „Nationale<br />
Aktionsplan Behinderung 2012 – 2<strong>02</strong>0“<br />
beschlossen, der einen Weg festlegt, wie die<br />
Situation für Menschen mit Behinderung verbessert<br />
werden kann. Im österreichischen Aktionsplan<br />
sind acht Handlungsfelder festgelegt, von<br />
denen zwei eine besondere Rolle im Bezug auf<br />
Stadtteilarbeit spielen:<br />
HANDLUNGSFELD 2 DES AKTIONSPLANS:<br />
BAULICHE BARRIERE-FREIHEIT<br />
In der UN-Konvention wird gefordert, dass es für<br />
Menschen mit Behinderung keine Hindernisse<br />
geben soll und alles so gestaltet sein soll, dass<br />
Menschen mit Behinderung alles ohne Hilfe gut<br />
nützen können, selbstständig leben und überall<br />
dabei sein können. Hier gestaltet sich als Hauptproblem<br />
der Stadt Graz, dass zum Beispiel privaten<br />
Geschäften und Lokalen Barrierefreiheit<br />
nicht vorgeschrieben werden kann.<br />
HANDLUNGSFELD 5 DES AKTIONSPLANS:<br />
IN DER GESELLSCHAFT LEBEN/ KULTUR, FREIZEIT,<br />
WOHNEN:<br />
In der UN-Konvention wird weiters gefordert,<br />
dass Menschen mit Behinderung das Recht haben,<br />
mit anderen Menschen etwas gemeinsam<br />
zu unternehmen. Angebote der Stadt müssen<br />
für alle, also auch für Menschen mit Behinderung,<br />
zugänglich sein. Ihr Umfeld muss so gestaltet<br />
sein, dass sie es einfach benutzen können.<br />
Obwohl im Zuge der Kulturhauptstadt Graz<br />
2003 viele Kulturangebote der Stadt barrierefrei<br />
zugänglich gemacht wurden, fehlt es immer<br />
noch an Freizeitangeboten für Menschen mit<br />
Behinderung.<br />
Für das <strong>SMZ</strong> gestaltet sich die Suche nach einem<br />
Stadtteilzentrum weiterhin als schwierig.<br />
Bezüglich Handlungsfeld 2 des Aktionsplans<br />
ist eines der größten Probleme unserer Suche,<br />
dass sich private VermieterInnen nicht an den<br />
Wunsch der Stadt Graz, eine barrierefrei Stadt<br />
aufzubauen, zu halten haben und nur sehr langsam<br />
beginnen, „auf den Zug aufzuspringen.“<br />
Quellen:<br />
Kommunaler Aktionsplan der Stadt Graz zur Umsetzung der<br />
UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen<br />
(<strong>2015</strong>) Verfügbar unter: http://www.graz.at/cms/dokumente/10<strong>02</strong>5713/70775c47/Kommunaler%20Aktionsplan%20<br />
der%20Stadt%20Graz.pdf<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
37
STADTTEILARBEIT<br />
STARKE NACHBARSCHAFTEN –<br />
GESUNDE STADT, EIN NEUES <strong>SMZ</strong> PROJEKT<br />
VON ALENA STRAUSS<br />
Von 2008 bis 2011 führte das <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> das<br />
Gesundheitsförderungsprojekt „Sta.ges – Stadtteil-Gesundheit<br />
für alle“ durch, das vom Fonds<br />
Gesundes Österreich und dem Gesundheitsressort<br />
des Landes Steiermark gefördert wurde.<br />
Hauptziel war es, den Menschen in <strong>Liebenau</strong><br />
und Jakomini die Möglichkeit zu geben, gesundheitlich<br />
aktiv zu werden und soziale Netzwerke<br />
aufzubauen.<br />
Mittlerweile ist es in Kooperation mit Michaela<br />
Strapatsas von „Diversity Consult“ gelungen,<br />
ein Nachfolgeprojekt ins Leben zu rufen, das an<br />
die Ergebnisse, sowohl von „Sta.ges“, als auch<br />
an die Erfahrungen der Stadtteilarbeit des <strong>SMZ</strong><br />
und an die Arbeit der Stadt Graz im Rahmen des<br />
„Gesunde Städte“-Netzwerks anknüpft: Seit Juli<br />
<strong>2015</strong> bis Juni 2017 arbeiten wir im Projekt „Starke<br />
Nachbarschaften – Gesunde Stadt“ daran,<br />
die Gesundheit jener Menschen zu fördern, die<br />
im Schönauviertel wohnen.<br />
Besuchen Sie unser dazu passendes<br />
Forum für sozialmedizinische Praxis<br />
am 23. November <strong>2015</strong>, zu dem wir<br />
Grete Melzer, eine Pionierin ambulanter<br />
Kinderpflege aus Korneuburg,<br />
ins Museum der Wahrnehmung<br />
eingeladen haben (18.00 Uhr,<br />
Museum der Wahrnehmung).<br />
38<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Das Projekt zielt darauf ab, die Gesundheitskompetenz<br />
und die Bildungschancen sozial schwächer<br />
gestellter Menschen zu erhöhen. Zusätzlich<br />
zur Stadtteilarbeit werden deshalb Schwangere<br />
und Eltern von Babys und Kleinkindern zwischen<br />
null und drei Jahren angesprochen, ebenso alleinerziehende<br />
Mütter. Als Projektmitarbeiterin<br />
ist es mir wichtig, in den Siedlungen soziale<br />
Treffpunkte und Angebote für Mütter mit Kindern<br />
zu schaffen, damit sie einander durch eine ganz<br />
spezielle Lebensphase hindurch unterstützen<br />
und begleiten können. Ebenso brauchen alleinerziehende<br />
Mütter in vielen Situationen Ansprechpartner<br />
bei der Organisation des Alltags.<br />
Frauen, die einen beruflichen Wiedereinstieg<br />
planen, werden gezielt darin unterstützt, ihre<br />
eigenen Ressourcen und Kompetenzen wahrzunehmen<br />
und in einem „Kompetenz-Portfolio“<br />
festzuhalten. Damit möglichst viele Mütter an<br />
den Projektaktivitäten teilnehmen können, stellen<br />
wir auch Kinderbetreuung zur Verfügung.<br />
Durch die Etablierung des Projekts, das wiederum<br />
vom Fonds Gesundes Österreich, sowie<br />
aus Mitteln für die Stadtteilarbeit des Amtes für<br />
Wohnungsangelegenheiten finanziert wird, ist es<br />
gelungen, bessere Voraussetzungen für die Förderung<br />
der Gesundheit der BewohnerInnen in<br />
Schönau zu schaffen. Wir werden laufend über<br />
unsere Aktivitäten im Rahmen „starker Nachbarschaften“<br />
berichten.
MUSIKTHERAPIE-STAMMTISCH<br />
ERSTER MUSIKTHERAPIE-STAMMTISCH DER<br />
REGION STEIERMARK/ KÄRNTEN IM <strong>SMZ</strong><br />
VON VICTORIA FUCHS<br />
Aufbruchsstimmung herrschte am 24.9.<strong>2015</strong>,<br />
als sich 13 Musiktherapeutinnen und Musiktherapie-StudentInnen<br />
aus dem Raum Graz und<br />
Umgebung zum ersten Musiktherapiestammtisch<br />
der Region Steiermark/ Kärnten trafen.<br />
Das <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> und ich als Musiktherapeutin<br />
luden den Österreichischen Berufsverband der<br />
MusiktherapeutInnen (ÖBM) mit den Regionalsprecherinnen<br />
Stmk/Ktn. Judith Baumgartner,<br />
Lisa Tomantschger und Claudia Witzel nach <strong>Liebenau</strong><br />
ein.<br />
Im freundlichen Warteraum der Praxisgemeinschaft<br />
wurde gemeinsam gesungen und improvisiert,<br />
dann wurden nach einer netten Vorstellungsrunde<br />
aktuelle Themen wie z.B. über die drei<br />
verschiedenen Ausbildungseinrichtungen – Universität<br />
für Musik und darstellende Kunst Wien,<br />
IMC Fachhochschule Krems und Kunstuniversität<br />
Graz (Gramuth) – über Fort-und Weiterbildungsmaßnahmen<br />
und die Finanzierung musiktherapeutischer<br />
Leistungen gesprochen.<br />
Musiktherapie ist laut dem österreichischen<br />
Musiktherapie-Gesetz im Jahre 2009 „eine kreativitäts-<br />
und ausdrucksorientierte Therapiemethode,<br />
die gezielt musikalische Mittel in einer<br />
therapeutischen Beziehung einsetzt. Ihr Ziel ist<br />
die Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung<br />
seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit“.<br />
Der Blick in der Musiktherapie wird nicht<br />
nur auf die Pathologie von PatientInnen, sondern<br />
auf ihre Möglichkeiten, Bedürfnisse und vorhandenen<br />
Ressourcen gerichtet.<br />
So schrieb z.B. der Musikforscher Hans Günther<br />
Bastian: „Die Chance zur ‚Freude an der<br />
Musik‘ als einer Freude am Leben, zum lustvollen<br />
Umgang beim aktiven Musizieren und beim<br />
Singen als Lebenshilfe, zum Hörgenuss von<br />
Klangsinnlichkeit und Klangsinn als erweiterte<br />
ästhetische Erfahrung, ob in Klassik- oder Rockmusik<br />
[zu nutzen]. Es geht mir – nach Friedrich<br />
Klausmeier – um die Lust, sich musikalisch nach<br />
Belieben auszudrücken.“ Musik, Musizieren und<br />
Musikerziehung können also kognitive, ästhetische,<br />
soziale, emotionale und psychomotorische<br />
Fähigkeiten in ein und demselben Lernprozess<br />
fördern.<br />
In Österreich wird derzeit keine Finanzierung<br />
oder Unterstützung durch Krankenkassen zur<br />
Verfügung gestellt. Die PatientInnen müssen<br />
die Therapiekosten selber tragen. Das <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong><br />
ermöglicht jedoch durch einen geringen<br />
Unkostenbeitrag, dass finanziell benachteilige<br />
Personen die Therapie in Anspruch nehmen<br />
können.<br />
Insgesamt gibt es 340 MusiktherapeutInnen in<br />
Österreich, die in der Musiktherapie-Liste des<br />
Bundesministeriums für Gesundheit (28 in der<br />
Steiermark, 4 in Kärnten) eingetragen sind.<br />
Gemeinsam wurden mit dem Team des ÖBM (Österreichischer<br />
Berufsverband der MusiktherapeutInnen)-<br />
Regionalsprecherinnen Stmk/Ktn. Ideen<br />
geschmiedet, wie das junge Berufsfeld in der Öffentlichkeit<br />
mehr Präsenz erlangen kann und welche<br />
Art der Zusammenarbeit mit BerufskollegInnen<br />
hierfür erforderlich ist. In den Bundesländern<br />
sei noch sehr viel Aufklärungs- und Pionierarbeit<br />
zu leisten! Der von nun an regelmäßig stattfindende<br />
Stammtisch soll Plattform für mehr Austausch<br />
und Zusammenarbeit sein, um die Musiktherapielandschaft<br />
in der Region zu beleben.<br />
Im Rahmen des Stammtisches sollte auch die<br />
Möglichkeit bestehen, Arbeitsgruppen zu spezifischen<br />
Bereichen zu gründen, Fortbildungsveranstaltungen<br />
im Süden Österreichs zu etablieren,<br />
Finanzierungsfragen zu diskutieren und Präsenz<br />
in berufsrelevanten Bereichen zu erlangen.<br />
Mag. Judith Baumgartner betonte beim Stammtisch:<br />
„Gemeinsam wollen wir uns über Aktuelles<br />
austauschen und uns weiter vernetzen!“<br />
Weitere TeilnehmerInnen meinten:<br />
„Ein spannender Abend, organisiert von einem<br />
motivierten, ambitionierten Team, der<br />
hoffentlich Wiederholung findet!“<br />
„Endlich ist es soweit! Es geht los in der Steiermark!“<br />
„Inspirierend! Macht Lust auf weiteres Vernetzen!“<br />
„Aller Anfang ist schwer!“<br />
„Unterschiedliche Interessen und Standpunkte.<br />
Ein ziemlich bunter Haufen in den<br />
Startlöchern.“<br />
„Toll, dass es das jetzt gibt!“<br />
WIR FREUEN UNS ÜBER EINE REGE TEILNAHME<br />
AM MUSIKTHERAPIE-STAMMTISCH STEIERMARK/<br />
KÄRNTEN! INTERESSIERTE WENDEN SICH BITTE AN<br />
musiktherapie.stmk.ktn@gmx.at.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
39
STADTTEILARBEIT<br />
WARUM SICH GESUNDHEIT<br />
NICHT VERORDNEN LÄSST<br />
VON USCHI POSSERT<br />
MENSCHEN HABEN EIN FEINES GESPÜR DAFÜR,<br />
OB IHRE MEINUNG LEDIGLICH GEFRAGT IST<br />
ODER OB SIE AUCH WIRKLICH<br />
MITENTSCHEIDEN DÜRFEN.<br />
40<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
„Mythos Vorbeugung“ ist der Titel des neuen Buches<br />
von Matthias Becker, Medizinjournalist und<br />
Publizist in Berlin, das er persönlich im <strong>SMZ</strong> vorgestellt<br />
hat.<br />
Gesund m u s s man bleiben – mit Fettsteuern,<br />
verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen,<br />
Rauch- und Alkoholverboten, regelmäßigem<br />
Sport, Vorsorgeuntersuchungen, etc. sollen wir<br />
zu einem gesunden Leben angehalten werden,<br />
und vielleicht erhalten wir dafür von den Versicherungen<br />
auch finanzielle Vergünstigungen.<br />
Aber weder Früherkennungsuntersuchungen,<br />
individuelle gesunde Ernährung noch regelmäßige<br />
Bewegung ändern Gesundheitschancen in<br />
der Bevölkerung. Denn den größten Einfluss auf<br />
Krankheit und Gesundheit üben die Lebensverhältnisse<br />
und die gesellschaftliche Ungleichheit<br />
aus, beweist Becker in seinem Buch. Solange<br />
der Fokus auf Ernährungsgewohnheiten und andere<br />
Verhaltensweisen gelegt wird, jedoch ökologische<br />
und soziale Verhältnisse weitgehend<br />
außer Acht bleiben, bleibt auch die Krankheitsvorbeugung<br />
ein Mythos.<br />
„Es ist an der Zeit, die Verhältnisse wieder<br />
gesund zu machen,“<br />
so Matthias Becker in seinem Kurzvortrag. Die<br />
Diskussion mit dem Publikum verläuft sehr angeregt:<br />
■ ■ „Inwiefern lässt sich die Zahl der gesunden<br />
Jahre eines Menschenlebens vergrößern?“<br />
fragt ein Diskussionsteilnehmer.<br />
Becker: Indem unser Gesundheitsbewusstsein<br />
gestärkt wird und wir überhaupt verstehen, was<br />
„gesund“ bedeutet. Wichtig ist, möglichst selbstbestimmt<br />
leben zu können, also Einfluss darauf<br />
zu haben, was und wie wir arbeiten. Machtlosigkeit<br />
– also die Dinge nicht ändern zu können –<br />
macht genauso krank wie Stress, Rauchen oder<br />
ungesunde Ernährung.<br />
■ ■<br />
„Rollt nicht die Präventionsmaschine viel<br />
zu oft über uns drüber?“ fragt ein anderer.<br />
„Werden dabei nicht Gesunde krank gemacht?“<br />
Becker: Ich sehe zwei Antriebe der Prävention:<br />
Erstens das Kapitalinteresse, z.B. bei den Pharmafirmen,<br />
aber auch bei vielen Gesundheitsbetrieben<br />
und zweitens ein bevölkerungspolitisches<br />
Interesse – darunter verstehe ich z. B.<br />
Behandlungskosten vermeiden, in dem wir uns<br />
gesund ernähren, uns mehr bewegen, abnehmen,<br />
etc. Wenn Sie mich fragen, würde ich nicht<br />
so viel Geld in Aufklärungskampagnen stecken.<br />
Wir wissen ja alle, dass Rauchen schädlich ist,<br />
Zucker und zuviel Fett ungesund sind. Und?<br />
Was hilft´s?<br />
Geld gehört dort investiert, wo Krankheiten entstehen!<br />
Gerade Leute aus armen Verhältnissen<br />
brauchen das Geld: Diese Menschen rauchen<br />
mehr und ernähren sich schlecht, schlafen weniger,<br />
weil sie in prekären Jobs oft gar nicht anders<br />
können. Sagen Sie einer übergewichtigen<br />
Person, die Nachtdienste machen und tagsüber<br />
ihre Kinder versorgen muss, sie soll mehr joggen<br />
gehen,...
GRÜNANGER / SCHÖNAU<br />
„Der allerbeste Gesundheitstipp lautet: Sei<br />
nicht arm! Wenn du doch arm bist, versuch<br />
damit aufzuhören!“ (Sozialmediziner Michael<br />
Marmot 2008 in Berlin)<br />
■ ■<br />
„Wohin führt dann die Reise? Die Einkommensschere<br />
zwischen Arm und Reich geht<br />
ja immer weiter auf!“<br />
Becker: Bei uns in Deutschland geht die Reise<br />
immer mehr in Richtung Verhaltensprävention,<br />
leider! „Ich allein bin für mein Wohlergehen verantwortlich.“<br />
Viele Menschen glauben das auch<br />
noch, bestätigt eine Umfrage der deutschen<br />
Krankenversicherungen. Ich kann das auch gut<br />
nachvollziehen, weil gerade in den sozial schwachen<br />
Einkommensschichten die Leute die Erfahrung<br />
machen, dass ihnen ja kaum jemand hilft<br />
und sie für sich selber sorgen müssen.<br />
Aber: Gesundheitsförderung lege artis nimmt die<br />
Leute ernst, unterstützt sie, hilft dabei, Bedingungen<br />
zu schaffen, d a m i t sie weniger rauchen,<br />
weniger trinken, weniger Stress haben.<br />
■ ■ „Hätten alle ein Grundeinkommen von – sagen<br />
wir 2000 € – wären wir dann gesünder?“<br />
lautet die Frage aus dem Publikum.<br />
Becker: Ich denke schon!<br />
■ ■<br />
„Allein innerhalb von London ändert sich<br />
die Lebenserwartung der Bewohner pro<br />
U-Bahnstation um ein ganzes Lebensjahr!<br />
Das schreiben Sie ja auch in Ihrem Buch.“<br />
Becker: Wir sprechen dabei vom „sozialen<br />
Gradienten.“ Nehmen wir das Londoner Viertel<br />
Tottenham Green im Nordosten. Das Viertel ist<br />
verwahrlost und geprägt von Arbeitslosigkeit.<br />
Etwa ein Drittel der Bewohner ist schwarz. Die<br />
Lebenserwartung in Tottenham Green liegt mit<br />
71,3 Jahren fast ! sieben ! Jahre unter dem britischen<br />
Durchschnitt. Im noblen Kensington, südlich<br />
des Hyde Parks, werden Männer im Schnitt<br />
88 Jahre alt. Soziale Ungleichheit macht also<br />
krank: Einsamkeit, Isolation, Abwertung oder<br />
psychosozialer Stress sind ernstzunehmende<br />
Gesundheitsrisiken! Das heißt also: Prävention<br />
kann nur gesellschaftspolitisch wirken und nicht<br />
individuell. Wichtig ist – gerade in der Gesundheitsförderung<br />
– die Leute ernst zu nehmen und<br />
ihnen zu zeigen, wie wir gemeinsam aktiv werden<br />
können. Man muss ihnen vor Augen führen<br />
„Du bist nicht allein!“<br />
■ ■<br />
„Sollten wir nicht auch den persönlichen<br />
Schuldaspekt in Bezug auf Krankheit herausnehmen?<br />
Prävention und Vorbeugung<br />
helfen nicht zwangsläufig. Wenn eine<br />
Krankheit auftritt, bist du ja nicht persönlich<br />
schuld daran!“<br />
Becker: In Deutschland z.B. wird derzeit die betriebliche<br />
Gesundheitsförderung gestärkt. Das<br />
finde ich positiv: Arbeiter, Vorarbeiter, Angestellte,<br />
Chefs kommen an einem Tisch zusammen,<br />
um den betrieblichen Alltag möglichst gesund zu<br />
gestalten – sei es in Richtung Unfallverhütung,<br />
Arbeitstempo, Stress, etc.<br />
Beckers Conclusio: Menschen haben ein feines<br />
Gespür dafür, ob ihre Meinung lediglich gefragt ist<br />
oder ob sie auch wirklich mitentscheiden dürfen.<br />
Bloße Rituale werden den sozialen Gradienten<br />
ebenso wenig ändern wie die Versuche, mit einer<br />
gesunden Lebensweise unter ungesunden<br />
Lebensverhältnissen Krankheiten zu verhindern!<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
41
AUFGESCHNAPPT<br />
AUFGESCHNAPPT.<br />
VON GUSTAV MITTELBACH UND USCHI POSSERT<br />
MULTI-<br />
MEDIKATION<br />
Viele ältere Menschen haben verschiedene<br />
Krankheiten, die oft jahrelang behandelt werden.<br />
Häufig nehmen sie täglich fünf oder mehr Arzneimittel<br />
ein. Der Nachtei dabei: Medikamente<br />
beeinflussen sich manchmal gegenseitig ungünstig.<br />
Daher sollte mindestens einmal im Jahr der Medikamentenplan,<br />
einschließlich frei verkäuflicher<br />
Präparate, mit dem Hausarzt überprüft werden!<br />
Medikamente können sich gegenseitig verstärken<br />
oder abschwächen. Eine eingeschränkte<br />
Nieren- oder Leberfunktion, z.B., kann die Wirkung<br />
von Medikamenten entscheidend beeinflussen.<br />
Oft ist nach einiger Zeit die Einnahme eines<br />
Medikaments gar nicht mehr nötig: So kann ein<br />
Magenschutzpräparat gegen den Stress im Spital<br />
bald wieder abgesetzt werden. Klären Sie<br />
mit Ihrem Arzt des Vertrauens Ihre Medikamenten-Zusammenstellung<br />
und lassen Sie sich auch<br />
regelmäßig eine aktuelle Liste der festgelegten<br />
Medikamente aushändigen.<br />
ZUR PATIENTENINFORMATION:<br />
www.patienten-information.de/mdb/downloads/<br />
kip/aezq-version-kip-multimedikation.pdf<br />
LEITLINIE FÜR ÄRZTINNEN:<br />
www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-0431_S2e_Multimedikation_2014-05.pdf<br />
MUSIK ALS<br />
LEBENSELIXIER<br />
Musik berührt uns in guten und schlechten Zeiten,<br />
beflügelt und tröstet. Aber nicht jeder Musikstil<br />
fasziniert uns in gleicher Weise. Forscher-<br />
Innen der McGill University Montreal haben<br />
mit Hirnscannern ermittelt, wo genau im Hirn<br />
entschieden wird, ob jemand von einem Song<br />
begeistert ist und dafür auch Geld ausgeben<br />
würde – und zwar in einem Hirnareal namens<br />
Nucleus accumbens – einem Teil des so genannten<br />
„Belohnungssystems.“ Es sorgt dafür,<br />
dass wir bestimmte Dinge wie Sex, gutes Essen<br />
oder auch Musik berauschend finden.<br />
Robert Zatorre und seine KollegInnen ermittelten<br />
in ihrer Studie zunächst den Musikgeschmack<br />
der Probanden und suchten dementsprechend<br />
dutzende Titel, die sie den StudienteilnehmerInnen,<br />
im Magnetresonanztomografen (MR) liegend,<br />
jeweils 30 Sekunden lang vorspielten.<br />
Dabei wurde deren Hirnaktivität beim Hören gemessen.<br />
Beim besonderen Genuss eines Liedes<br />
stellten die WissenschafterInnen fest, dass<br />
vor allem der Nucleus accumbens angekurbelt<br />
wurde. Je aktiver die Nervenzellen in dieser<br />
Hirnregion feuerten, desto mehr Geld wollten<br />
die ProbandInnen auch später für den gerade<br />
vorgespielten Titel ausgeben.<br />
Zwar aktiviert Musik auch andere Hirnregionen wie<br />
das Hörzentrum, Regionen für Bewegung, Gefühle<br />
und die Bewertung neuer Eindrücke, doch sagen<br />
diese nur wenig darüber aus, wie sehr ein Mensch<br />
die Musik liebt, die er gerade hört.<br />
(V.N.Salimpoor: Science,340,2013,216-219)<br />
PSEUDO-FEMINISMUS ODER PHARMA-<br />
INDUSTRIE AUF DEM EMANZIPATIONSTRIP<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
Als Viagra für die Frau wird eine neue Pille beworben und gleich eine neue Krankheit dazu erfunden:<br />
„Mangelndes sexuelles Empfinden der Frau“. Dreimal scheiterte Böhringer-Ingelheim an der Zulassung<br />
in den USA. Absurd ist der Vergleich mit Viagra: Hier leiden Männer trotz sexueller Erregung<br />
daran, keine Erektion zu bekommen, und die Tablette wird bei Bedarf eingenommen. Die neue Substanz<br />
für Frauen (deren Zulassung noch völlig offen ist) wirkt aber nicht auf das Genitale, sondern im<br />
Hirn und muss ständig eingenommen werden.<br />
Bei häufigen unerwünschten Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel, Schwäche und Schlaflosigkeit<br />
liegt der positive Effekt bei 0,8 zufriedenstellenden sexuellen Kontakten mehr pro Monat als mit<br />
Placebo. Frauen, die keine Lust auf sexuellen Kontakt haben – aus welchen Gründen auch immer,<br />
wird ja gar nicht mehr hinterfragt – schlucken ab jetzt zum „richtigen Funktionieren“ Tabletten?! Auf<br />
die Reaktion unserer Frauen sind wir gespannt!<br />
(Aus „gute Pillen schlechte Pillen“ der unabhängigen Wartezimmerzeitung; Nr 4 <strong>2015</strong>)<br />
42
AUFGESCHNAPPT<br />
FÜR EINE RE-SOZIALI-<br />
SIERUNG DER MEDIZIN<br />
Buchrezension: Klassenmedizin-Plädoyer für<br />
eine soziale Reformation der Heilkunst<br />
(Bernd Kalvelage, Springer-Verlag- auch als e-book)<br />
Der Mitbegründer des VDÄÄ (Verband demokratischer<br />
Ärztinnen und Ärzte) ist Hausarzt,<br />
Internist und Diabetes-Spezialist in einem benachteiligten<br />
Stadtteil von Hamburg. Er kritisiert,<br />
dass der Medizinbetrieb den sozialen Blick auf<br />
die PatientInnen verloren hat und das ärztliche<br />
Handeln durchökonomisiert worden ist.<br />
Bernd Kalvelage plädiert daher, für sozial benachteiligte<br />
PatientInnen Partei zu ergreifen,<br />
ihnen eine besonders gute, integrierte und<br />
psychosoziale Versorgung anzubieten und beschreibt<br />
dabei viele Erfahrungen aus der eigenen<br />
ärztlichen Praxis mit Spezialgebiet Diabetes<br />
und Migration.<br />
„... Wer sich bisher in seinem Leben als Migrant<br />
oder Einheimischer ... als fremd und ausgegrenzt,<br />
isoliert, getrieben und als Opfer der Verhältnisse<br />
erlebt hat, wird im Krankheitsfall nicht<br />
über Nacht plötzlich zum kompetenten Manager<br />
seiner Erkrankung…“ Mit scharfen Worten und<br />
gut belegt kritisiert er Begriffe wie „Selbstverantwortung“<br />
in puncto Gesundheit und die „Erziehung<br />
der Unterschichten mit der intellektuell<br />
beschlagenen Oberschichtbrille.“<br />
Das Buch fordert zu einem Perspektivwechsel auf:<br />
Erst durch den Wechsel von „von oben herab“ zu<br />
„von unten her“ werden soziale Belastungen und<br />
individuelle Ressourcen sichtbar und relevant.<br />
Insbesonders HausärztInnen, die sich über die<br />
Beziehung zu ihren PatientInnen definieren (und<br />
nicht über Politik, Sozialversicherung, Controller<br />
oder das Prinzip der Einkommensmaximierung),<br />
sind hier gefordert. Ein wesentliches Buch.<br />
EINSAMKEIT ALS<br />
GESUNDHEITSRISIKO<br />
Alte Menschen, die sich einsam und alleine fühlen,<br />
leiden häufiger an Bluthochdruck und Diabetes,<br />
ein dichtes Netz an Freundschaften jedoch,<br />
macht das Alleinleben erträglicher. Einsamkeit<br />
ist ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko –<br />
in seiner Wirkung vergleichbar mit Rauchen und<br />
Übergewicht, konstatiert der Neuropsychologe<br />
John Cacioppo von der Universität Chicago 1 .<br />
Einsamkeit stresst besonders im Alter den Organismus:<br />
Betroffene schlafen schlechter, ihr<br />
Blut enthält mehr Stresshormone, ihre Abwehrkräfte<br />
verringern sich, sie bewegen sich weniger<br />
und sind anfälliger für Depressionen. In fortgeschrittenen<br />
Jahren haben einsame Menschen,<br />
verglichen mit vernetzten Jahrgangsgenossen,<br />
ein eineinhalbfach erhöhtes Risiko für Bluthochdruck<br />
und Diabetes, samt den damit verbundenen<br />
Gefahren wie Schäden an Blutgefäßen,<br />
Herzinfarkt und Schlaganfall, lautet das Ergebnis<br />
der so genannten ESTHER 2 -Studie 2013 von<br />
der Universität Heidelberg, an der rund 3200<br />
Männer und Frauen im Alter von 57 bis 84 Jahren<br />
teilgenommen haben. Sie zeigte auch, dass<br />
34% der einsamen Teilnehmer Psychopharmaka<br />
einnahmen.<br />
Am Beispiel der ESTHER-Studie sehen wir also,<br />
wie wichtig Gesundheitsförderung und Stadtteilarbeit<br />
sind, wie sie das <strong>SMZ</strong> in <strong>Liebenau</strong> und<br />
Jakomini betreibt: Kontakte innerhalb der Siedlungen<br />
zu fördern oder wieder aufzunehmen, Lebensgeschichten<br />
zu erzählen, sich im Gemeinschaftsgarten<br />
oder beim Grünanger-Brunch zu<br />
engagieren, Seniorentreffs wahrzunehmen, in<br />
der Walkinggruppe mitzumarschieren oder gemeinsam<br />
mit Kindern zu musizieren. Einsamkeit<br />
ist kein unabänderliches Schicksal, oft liegt die<br />
Lösung vor Ihrer Haustüre.<br />
1<br />
vgl.:http://news.uchicago.edu/article/2008/09/03/loneliness-undermines-health-well-mental-well-being,<br />
abgerufen am 21.09.<strong>2015</strong><br />
2<br />
ESTHER = Epidemiologische Studie zu Chancen der Verhütung,<br />
Früherkennung und optimierten Therapie chronischer<br />
Erkrankungen in der älteren Bevölkerung<br />
BEWEGUNG SCHÜTZT AM BESTEN VOR DEMENZ<br />
Körperliche Aktivität, so fanden WissenschaftlerInnen der University of Edinburgh in einer Langzeitstudie<br />
mit über 600 älteren Menschen heraus, ist das beste Mittel gegen Gedächtnisschwäche und<br />
Demenz.<br />
(Neurology,79 ,2013, 18<strong>02</strong>-1808)<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
43
38<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong>
DAS <strong>SMZ</strong> STELLT SICH VOR<br />
CHRISTOPH<br />
PAMMER<br />
Ich darf mich – seit Juni dieses Jahres – als neuer<br />
Geschäftsführer im <strong>SMZ</strong> vorstellen. Dabei bin<br />
ich gar nicht so neu im Team des <strong>SMZ</strong>, denn ich<br />
arbeitete bereits zwischen 2000 und 2003 als<br />
Sozialarbeiter und seit 2012 im Vorstand des<br />
<strong>SMZ</strong> mit. So hatte ich damals gute Startbedingungen<br />
für eine Public Health Ausbildung in der<br />
Schweiz, war doch das <strong>SMZ</strong> im gesamten deutschen<br />
Sprachraum als Pionierprojekt für eine soziale<br />
und wohnortnahe Gesundheitsversorgung<br />
bekannt. Zwischen 2004 und 2008 war ich dann<br />
im Team von Prof. Horst Noack an der Medizinischen<br />
Universität Graz tätig und bin seither<br />
Lehrbeauftragter und Consultant im Gesundheitswesen.<br />
An der Arbeit im <strong>SMZ</strong> interessiert mich besonders,<br />
wie eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen<br />
Gesundheitsberufe funktioniert, die schon<br />
einsetzt, bevor Krankheiten auftreten. Wirksame<br />
Gesundheitsförderung besteht in erster Linie<br />
darin, sich mit den <strong>Liebenau</strong>erinnen und <strong>Liebenau</strong>ern<br />
gemeinsam für gesunde Lebensbedingungen<br />
einzusetzen. Da das <strong>SMZ</strong>-Team dabei<br />
auch noch konsequent der Frage nachgeht, wie<br />
Menschen, denen es finanziell nicht so gut geht,<br />
an einer solchen Gesundheitsarbeit beteiligt<br />
werden können, verfolgt es einen sehr bedürfnisgerechten<br />
wie modernen Ansatz.<br />
Nicht zuletzt ist das <strong>SMZ</strong> heute, weil es über den<br />
Zenit seiner Impulskraft für eine Verbesserung<br />
der Gesundheitsversorgung noch nicht hinweg<br />
scheint, jener Ort, an dem ich meine Haltung<br />
weiterverfolgen kann. In besonderem Maße<br />
überzeugt und motiviert mich auch die antifaschistische<br />
Arbeit zum Gedenken an das „Lager<br />
<strong>Liebenau</strong>“.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
45
DAS <strong>SMZ</strong> STELLT SICH VOR<br />
46<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
ALENA STRAUSS DR. MICHAEL SCHLAGER<br />
Es freut mich sehr, mich hier und jetzt kurz<br />
vorstellen zu dürfen. Geboren und aufgewachsen<br />
im schönen Salzburger Land,<br />
brachte mich das Studium in die steirische<br />
Landeshauptstadt. Seit dem Jahr 2003 ist<br />
mein Lebensmittelpunkt Graz. Nach dem<br />
Abschluss des Studiums 2011 war ich als<br />
Turnusarzt unter anderen im Unfallkrankenhaus<br />
Graz, der Kinderchirurgie LKH Graz<br />
und im LKH Hartberg tätig. In dieser Zeit<br />
entschloss ich mich, die Medizin vorerst<br />
ruhen zu lassen und begann mit der Ausbildung<br />
zum Psychotherapeuten, genauer<br />
mit dem Psychotherapeutischen Propädeutikum<br />
an der Uni Graz. Diverse Praktika,<br />
wie im LSF, an der NMS Dr.Karl-Renner<br />
und dem HPZ in Graz zeigten mir genau,<br />
wo meine Zukunft liegt. Aus diesem Grund,<br />
entschied ich mich auch ganz bewusst für<br />
das <strong>SMZ</strong>-<strong>Liebenau</strong> für meinen Wiedereinstieg<br />
und freue mich auf meine Aufgaben.<br />
Privat bin ich glücklich mit meiner Frau Barbara<br />
verheiratet, die als Physiotherapeutin<br />
im LKH Graz arbeitet. In meiner Freizeit bin<br />
ich ehrenamtlich in der Rot Kreuz-Bezirksstelle<br />
Graz-Stadt tätig und versehe seit Jahren<br />
regelmäßig Dienst. Laufen, Schwimmen<br />
und Tennis sind die Sportarten, die ich gerne<br />
und mit großer Regelmäßigkeit ausübe.<br />
DR. KATARINA PUNGERCIC<br />
Hallo! Mein Name ist Alena Strauss, seit Anfang Oktober gehöre<br />
ich zum Team des <strong>SMZ</strong>s im Bereich Gesundheitsförderung<br />
und Gemeinwesenarbeit. Während meines Bachelorstudiums<br />
Gesundheits- und Pflegewissenschaften an der<br />
Medizinischen Universität Graz war ich an der ÖH für den<br />
Bereich „Studieren mit Kindern“ aktiv. Danach habe ich mit<br />
dem Masterstudium „Interdisziplinäre Geschlechterstudien“<br />
und meinem individuellen Masterstudium „Health Relation<br />
Science“, das sich mit Gesundheit jenseits von Disziplinengrenzen<br />
auseinandersetzt, begonnen. Als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin war ich auch bei der Planung des Aktionsplans<br />
Alkoholprävention im Auftrag der Suchtkoordination des Landes<br />
Steiermark tätig.<br />
Meine Freizeit verbringe ich am liebsten gemeinsam mit meiner<br />
Familie auf Reisen. Die ganzheitliche Herangehensweise<br />
an Gesundheit ist für mich das Besondere am <strong>SMZ</strong>. Dieses<br />
Verständnis zeigt sich im Zusammenwirken des multiprofessionellen<br />
Teams, und ich freue mich, ein Teil davon sein zu dürfen.<br />
Ich bin Assistenzärztin für Psychiatrie und<br />
momentan in Karenz mit unserem zweiten<br />
Sohn. Außerdem arbeite ich als Psychotherapeutin<br />
für systemische Familientherapie<br />
in Ausbildung unter Supervision.<br />
In der Familienberatungsstelle des <strong>SMZ</strong><br />
stehe ich Ihnen Donnerstags zwischen 13<br />
und 17 Uhr nach Terminvereinbarung zur<br />
Verfügung. In meiner Freizeit lese ich sehr<br />
gerne und interessiere mich für Filme und<br />
Musik.<br />
Als systemische Familientherapeutin verstehe<br />
ich Menschen und ihre Probleme<br />
bezogen auf ihr Lebensumfeld und ihre<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen. Als<br />
Psychiaterin ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />
mit anderen helfenden Berufsgruppen,<br />
wie sie im <strong>SMZ</strong> geboten wird,<br />
eine Selbstverständlichkeit. Das Spezielle<br />
und Interessante am <strong>SMZ</strong> <strong>Liebenau</strong> ist für<br />
mich die politische Arbeit, die ich in dieser<br />
Form für einzigartig halte.
GRATULATION!<br />
HERZLICH<br />
WILLKOMMEN,<br />
BEN!<br />
Vor 6 Monaten begrüßten wir ein neues <strong>SMZ</strong>-<br />
Baby. Unsere Kerstin brachte am 15.4.<strong>2015</strong> den<br />
kleinen Ben zu Welt. Mutter und Sohn haben alles<br />
gut im Griff und genießen die gemeinsame<br />
Zeit. Wir wünschen Kerstin eine schöne Karenzzeit<br />
und freuen uns auf ihren Wiedereinstieg.<br />
PRAKTIKUM –<br />
TEILZEIT –<br />
VOLLZEIT –<br />
AUFBRUCH!<br />
VON CHRISTOPHER FRÖCH<br />
Mehr als 3 Jahre ist es nun her, dass sich die<br />
Türen des <strong>SMZ</strong> für mich als Praktikanten geöffnet<br />
haben. Kurz darauf wurde ich für eine<br />
Teilzeitstelle übernommen. Später erfüllte sich<br />
mein Wunsch als fast fertiger Gesundheits-und<br />
Pflegewissenschaftsstudent: Ich wurde vollzeitbeschäftigt,<br />
in einer interessanten Gesundheitseinrichtung<br />
mit für mich persönlich wichtigen<br />
Idealen.<br />
In diesen Jahren konnte ich nicht nur viel lernen,<br />
sondern auch mitwirken und mitgestalten: Ich arbeitete<br />
beim Aufbau der Gemeinwesenarbeit im<br />
Bezirk Jakomini und bei der Gestaltung dieser<br />
am Grünanger mit. Ich war in die Planung, Entwicklung<br />
und Durchführung von Projekten und<br />
Veranstaltungen in der Gesundheitsförderung involviert.<br />
Zuletzt konnte ich an der Planung eines<br />
2-jährigen FGÖ-Projektes mitwirken. Ebenfalls<br />
Teil dieser Zeit war der Kampf gegen das Vergessen<br />
der Verbrechen des Nationalsozialismus<br />
am Grünanger.<br />
Im Laufe der Zeit konnte ich mich durch meine<br />
Aufgaben, sowohl beruflich, als auch menschlich,<br />
weiterentwickeln. Nicht nur meinen KollegeInnen<br />
und dem Verein möchte ich meinen<br />
herzlichen Dank aussprechen, sondern auch<br />
den vielen Personen, die ich als BewohnerInnen,<br />
Freundinnen und Freunde des <strong>SMZ</strong> und KooperationspartnerInnen<br />
kennenlernen durfte.<br />
Ich hoffe, auch in Zukunft den Kontakt wahren<br />
zu können, um unser gemeinsames Ziel zu erreichen:<br />
Sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher<br />
Ohnmacht bestimmt entgegenzutreten.<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
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(K)EIN RUHESTAND – KEIN NACHRUF!<br />
(K)EIN RUHESTAND – KEIN NACHRUF!<br />
48<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
RAINER POSSERT LEGT SEINE KRANKENKASSEN-<br />
VERTRÄGE ZURÜCK.<br />
„Der Possert is nimmer da?“ Eine häufige Frage<br />
in den letzten Wochen. „Er ist schon 65?“ Beides<br />
stimmt und stimmt auch wieder nicht:<br />
Ja, er geht als Kassenarzt in Pension, aber die<br />
lapidare Botschaft unterschätzt die vielen Rollen<br />
und Funktionen, die Rainer seit 1982 in Graz ausgefüllt<br />
hat und auch in Zukunft noch erfüllen will.<br />
Eines gleich vorweg für die vielen, die ihn weit<br />
über die <strong>Liebenau</strong>er Grenzen als unbestechlichen<br />
kritischen Grazer Arzt, Verfechter von PatientInnen-Interessen<br />
und Gegner des medizinisch-industriellen<br />
Komplexes, als Hausarzt und politischen<br />
Kopf schätzen:<br />
Er arbeitet weiter in seiner Praxis als Wahlarzt<br />
und Psychotherapeut, betreut weiter eine Reihe<br />
von SubstitutionspatientInnen, arbeitet als Berater<br />
in unserer Familienberatungsstelle und ist vor<br />
allem als Obmann des <strong>SMZ</strong> weiter bei den vielen<br />
Projekten, dem Aufbau von Stadtteilzentren<br />
in <strong>Liebenau</strong> und Jakomini und beim bürokratisch<br />
mühsamen Umstieg der alten Praxisgemeinschaft/<strong>SMZ</strong><br />
in ein zukünftiges „primäres Gesundheitszentrum“<br />
federführend.<br />
Seine umsichtige Vereinsführung als geschäftsführender<br />
Obmann kann man an den immer erfolgreichen<br />
Finanzierungverhandlungen mit Stadt,<br />
Land und Bund erkennen. Das Geschick, bei allen<br />
Parteien (von den wechselnden LandesrätInnen<br />
für Gesundheit der SPÖ und ÖVP, zu Politikern<br />
der FPÖ bis KPÖ) Zustimmung zu unseren Projekten<br />
zu bekommen, gilt schon lange auch bei<br />
vielen Mitbewerbern als strategische Meisterleistung.<br />
Eine kritische und weitsichtige Personalauswahl,<br />
eine verantwortungsvolle Personalführung<br />
und die zukunftsträchtige Installierung des neuen<br />
Geschäftsführers Christoph Pammer sorgt für<br />
konstant hohe Qualität unserer Arbeit.<br />
Quer zu denken, die als üblich geltenden Regeln<br />
und Grenzen des ärztlichen Berufs lustvoll<br />
zu überschreiten, die soziale und politische Verantwortung<br />
von ÄrztInnen (im Kampf für soziale<br />
Gerechtigkeit und Gesundheit und für das „Empowerment“<br />
von besonders benachteiligten BürgerInnen)<br />
durch praktisches Handeln sichtbar zu<br />
machen, ist bis heute seine Devise:<br />
■■<br />
Flugblatt-Verteilen vor den Fabrikstoren des<br />
■■<br />
■■<br />
Puchwerks um 6Uhr morgens<br />
Gründung der Bürgerinitiative zur Rettung<br />
des Puch-2-Rad-Werkes und Organisieren<br />
einer Arbeiterdemonstration vor dem damaligen<br />
Fabrikseigner CA-Bank („gegen die<br />
Nadelstreif-Sanierer“ wie eine Tageszeitung<br />
schrieb) als Konsequenz aus dem ärztlichen<br />
Umgang in der Praxis mit Ängsten und<br />
Krankheiten der von Arbeitslosigkeit bedrohten<br />
ArbeiterInnen<br />
zahlreiche Veranstaltungen zu gesundheitsund<br />
umweltpolitischen Themen (oft war das<br />
■■<br />
■■<br />
■■<br />
<strong>SMZ</strong> der einzige Veranstalter dazu in Graz),<br />
internationale Kontakte nach Slowenien (kooperative<br />
Gesundheitsmodelle nach Prof.<br />
Andrija Stampar, dem 1. Präsidenten der<br />
WHO 1948), in die Schweiz (zur „Sozialen<br />
Medizin“) und nach Deutschland (zum Verein<br />
demokratischer ÄrztInnen VDÄÄ)<br />
Moderation und Förderung des öffentlichen<br />
Auftretens von BürgerInnen-Interessen (von<br />
den zahlreichen <strong>Liebenau</strong>er Bürgerinitiativen<br />
bis zu „Rettet die Mur“) als Konsequenz<br />
der Arbeit unserer Gesundheitsplattform<br />
und nicht zuletzt der unermüdliche Kampf<br />
gegen die Verdrängung eines der letzten<br />
Endphase-Nazi-Verbrechens gegen meist<br />
jüdische MitbürgerInnen in Graz im so genannten<br />
„Lager <strong>Liebenau</strong>,“ sowie der Aufbau<br />
einer würdigen Gedenkkultur – gegen<br />
vielseitigen Widerstand – sind nur wenige<br />
Beispiele dieser Haltung.<br />
Als praktischer Arzt waren und sind ihm wichtig:<br />
die konsequente Parteinahme für die einzelnen<br />
PatientInnen, deren Schutz vor unkritischer Medikation<br />
(und den überbordenden Interessen einer<br />
profitorientierten Pharmaindustrie), klare wissenschaftliche<br />
Diagnosen und Therapien ohne Rücksichtnahme<br />
auf Eminenzen und ökonomische<br />
Interessensgruppen, eine uneingeschränkte gesprächsmedizinische<br />
Orientierung und die Kooperation<br />
mit anderen Berufsgruppen.<br />
Ein vollständiger Rückblick auf 33 Jahre Arbeit für<br />
<strong>Liebenau</strong> und Graz ist natürlich unmöglich.<br />
Ein Blick in die Visitenkarte des <strong>SMZ</strong>, unsere <strong>Info</strong>-Zeitung,<br />
die von beeindruckenden Fotos geprägt<br />
ist, zeigt Rainers weitere Interessen: er wird<br />
sich künftig doch auch mehr um seine Arbeit als<br />
Photokünstler und um sein Atelier in der Mondscheingasse<br />
kümmern. Es könnte auch sein,<br />
dass Sie ihn öfter an der kroatischen Küste Istriens<br />
antreffen. Vielleicht sprechen Sie ihn dann auf<br />
seine Ambitionen mit Cello und Akkordeon an.<br />
Persönliches zum Schluss:<br />
Als alter Mitstreiter von Anfang an, kann ich nur<br />
herzlichen Dank für die jahrzehntelange gemeinsame<br />
Arbeit sagen, ohne Dich wären wir nie so<br />
weit gekommen! Der gemeinsame Aufbau des<br />
<strong>SMZ</strong> in der heutigen Form wäre ohne Deinen Weitblick,<br />
Deine Konsequenz, das Letzte aus Deinen<br />
MitarbeiterInnen herauszuholen, Deine politische<br />
Phantasie und Deine „Sturheit“ nicht möglich. Deine<br />
oftmalige Verzweiflung, dass irgendjemand im<br />
Team schon wieder nicht die weitreichenden Konsequenzen<br />
eines Planes durchschaut hat, was für<br />
Dich längst selbstverständlich war, hast Du als eigentlich<br />
Ungeduldiger sehr geduldig ausgehalten.<br />
Also: Alles Gute für Deine Gesundheit und<br />
Deine Zukunft und auf eine gute weitere erfolgreiche<br />
Zusammenarbeit!<br />
Gustav Mittelbach
ALLGEMEIN-MEDIZINISCHE PRAXISGEMEINSCHAFT<br />
Dr. Gustav Mittelbach, Dr. Rainer Possert (alle Kassen / Wahlarzt)<br />
Hausbesuche, Gesundenuntersuchungen, ärztliche Psychotherapie und Beratung, Behandlung<br />
von Suchterkrankungen, Akupunktur, Sozial-, Arbeits- und Umweltmedizin. Terminvereinbarung<br />
unter 46 23 40.<br />
FAMILIENBERATUNG & RECHTSBERATUNG<br />
Anonyme und kostenlose Beratung durch Ärzte, PsychotherapeutInnen, SozialarbeiterInnen<br />
und JuristInnen. Donnerstag von 18.00 bis 20.00 Uhr im <strong>SMZ</strong>, Tel. Anmeldung unter 46 23 40,<br />
oder 0699 180 84 375.<br />
PSYCHOTHERAPIE<br />
Gestalt- und Familientherapie, NLP, Systemische Therapie, Einzel- und Gruppentherapie sowie<br />
Kinderpsychotherapie. Teilkostenersatz durch die Krankenkassen. Tel. Anmeldung unter 46 23 40.<br />
SOZIALE ARBEIT<br />
Beratung in sozialrechtlichen Fragen, Hilfe bei Kontakten zu Behörden, Hilfestellung bei<br />
Wohnungsproblemen, Arbeitslosigkeit, ... Telefonische Kontaktaufnahme unter 42 81 61,<br />
E-Mail: sharifgerami@smz.at.<br />
GESUNDHEITSFÖRDERUNG<br />
Sozialmedizinische und gesundheitsförderliche Veranstaltungen; Durchführung von Projekten<br />
im Bereich Gesundheitsförderung. Kooperationen im Bezirk und mit anderen Organisationen.<br />
Kontakt unter 0699 180 84 375 / e-mail: smz@smz.at.<br />
MUSIKTHERAPIE<br />
Musiktherapie ist eine kreativitäts- und ausdrucksorientierte Therapiemethode, die gezielt musikalische<br />
Mittel in einer therapeutischen Beziehung einsetzt. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung,<br />
Erhaltung und Förderung seelischer, körperlicher und geistiger Gesundheit.<br />
Kontakt: 0664/ 947 3048<br />
SEXUALBERATUNG<br />
<strong>Info</strong>rmation, Beratung, Psychotherapie zu folgenden Bereichen: Beziehungskonflikte, Sexualprobleme,<br />
Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Homosexualität, Verhütungsfragen, Sexualaufklärung,<br />
Schwangerschaftskonflikten usw. Tel. Anmeldung (auch anonym) unter 46 23 40.<br />
WALKEN SIE MIT UNS<br />
WALKEN an der Mur – jeden Montag von 15.30 bis 16.30 Uhr, Treffpunkt: Andersengasse 34;<br />
WALKEN IM PARK – jeden Dienstag von 15.00 bis 16.00 Uhr, Treffpunkt im Park; Stöcke zum<br />
Probieren können ausgeborgt werden! Ein Arzt und Teammitglied des <strong>SMZ</strong> begleiten Sie.<br />
<strong>Info</strong>rmationen unter 0699 180 84 375.<br />
STADTTEILZENTREN GRÜNANGER + SCHÖNAU<br />
<strong>Info</strong>rmationen: DSA Christoph Pammer, MPH, MA, E-Mail: pammer@smz.at Tel: 0699 103 41 86 9.<br />
<strong>SMZ</strong>@<strong>SMZ</strong>.AT WWW.<strong>SMZ</strong>.AT<br />
<strong>SMZ</strong> INFO DEZEMBER <strong>2015</strong><br />
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