vsao Journal Nr. 3 - Juni 2023

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Weiterbildung / Arbeitsbedingungen «Von Patientinnen und Patienten erhalte ich nur positive Rückmeldungen» Ärztinnen und Ärzte legen zunehmend Wert auf die Vereinbarkeit ihrer medizinischen Tätigkeit mit ihrem Privatleben. Wie kann diese gelingen? Dr. Franz Martig schildert seine Erfahrungen mit einem Teilzeitpensum. Julia Frey, Arbeitspsychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule für Angewandte Psychologie, FHNW Brigitte Liebig, Professorin für Angewandte Psychologie, Hochschule für Angewandte Psychologie, FHNW, Privatdozentin an der Universität Basel Dr. med. Franz Martig (Bildquelle: Fotograf Caspar Martig) Bild: zvg 12 3/23 vsao /asmac Journal
Weiterbildung / Arbeitsbedingungen Franz Martig ist Allgemein- und Viszeralchirurg am Stadtspital Tiefenau in Bern. Er arbeitet als Leitender Arzt in einem Pensum von 60 Prozent, was insbesondere in der Chirurgie noch Seltenheitswert hat. Sein Beispiel zeigt, wie der Arbeitsalltag mit einem reduzierten Pensum aussehen kann und was es dabei zu berücksichtigen gilt. Als Verantwortlicher für das interne Weiterbildungsprogramm besteht die Tätigkeit von Franz Martig aus einer guten Mischung von direkter Patientenbetreuung, administrativen Tätigkeiten und Lehre. Um diese Aufgaben im Teilzeitpensum unter einen Hut zu bringen, bedarf es einiges an Planung. Zentral ist dabei auch die Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten: «Sie gehen davon aus, dass ein Arzt 24/7 verfügbar ist. Wenn ich ihnen aber meine Situation schildere, habe ich bisher immer positive Rückmeldungen erhalten.» Der Grund für das reduzierte Arbeitspensum: Martig ist aktiver Vater dreier Kinder. «Ehemalige Vorgesetzte aus der früheren Chirurgen-Generation sagten mir Folgendes: Wenn ich in meinem Leben etwas anders machen könnte, wäre es, meine Kinder aufwachsen zu sehen.» Folglich ist es dem Chirurgen wichtig, neben dem Beruf auch als Vater für seine Kinder anwesend zu sein. Erfüllende Tätigkeit im Teilzeitpensum Seine aktuelle Situation im Teilzeitpensum bewertet Martig sehr positiv. Dies war nicht immer der Fall. Als er – noch vor seiner Arbeit im Spital Tiefenau – in der stationären Versorgung als Oberarzt tätig war, arbeitete er in einem 80%-Pensum, hörte jedoch regelmässig, er sei nie da – obwohl er meist mehr als 40 Stunden in der Woche vor Ort war. Zugleich erlebte ihn seine Familie als ständig abwesend. Ein klassisches Problem der Vereinbarkeit: Mit viel Anstrengung wird versucht, den Anforderungen von Familie und Beruf gleichzeitig gerecht zu werden. Dass Martig die Arbeitsbedingungen nun bedeutend besser erlebt, liegt an verschiedenen Faktoren: Einerseits ist das 60%-Pensum für alle ein klares Signal, dass er als Person nicht immer verfügbar ist. Andererseits erfährt seine Teilzeitarbeit auch in der Abteilung für Allgemeinund Viszeralchirurgie des Stadtspitals Tiefenau rundum Akzeptanz. So bildet für den engagierten Arzt neben der nun möglichen Balance zwischen Beruf und Privatleben auch das positive Arbeitsklima eine wichtige Energiequelle. Teilzeit gelingt, wenn … Allmählich beginnen auch Kolleginnen und Kollegen in der Chirurgie Teilzeit zu arbeiten. Diesen Trend unterstützt Franz Martig: «Ich habe für die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten, gekämpft und repräsentiere dies mit meinem aktuellen Pensum, soweit ich weiss, als einziger Mann in leitender Funktion.» Dabei ist es für ihn sehr wichtig, dass ein Teilzeitpensum nicht auf Kosten von Arbeitskolleginnen und -kollegen geht und sowohl die Qualität der Versorgung wie die Effizienz der Zusammenarbeit gewährleistet bleiben. «Ich muss wissen, was bis zur Übergabe noch erledigt werden soll, was ich persönlich abschliessen muss und was ich an Kolleginnen und Kollegen weitergeben kann.» Dazu bedarf es der Fähigkeit zu delegieren und Verantwortung abzugeben. Unterstützt durch eine gute Arbeitsatmosphäre und Kollegialität im Team ist somit auch in der Chirurgie Teilzeitarbeit möglich. Kultureller Wandel als Schlüssel Dass Teilzeitarbeit insbesondere in der Chirurgie gefördert werden muss, ist aus Sicht des Arztes eine absolute Notwendigkeit: «Ärztinnen und Ärzte am Anfang ihrer Laufbahn signalisieren deutlich, dass ein Wertewandel hinsichtlich einer ausgewogeneren Work-Life-Balance stattfindet. Wenn wir dem nicht nachkommen, haben wir bald ein ernstzunehmendes Nachwuchsproblem.» Aus eigener Erfahrung betrachtet es Franz Martig als zentralen Schritt, dass sich die Grundhaltung zur Teilzeitarbeit im Spital ändert. In den vergangenen Jahren hat bereits ein gewisses Umdenken stattgefunden, doch es gibt noch Luft nach oben. «Es braucht Vorbilder, die zeigen, dass Teilzeitarbeit in der Chirurgie geht und funktioniert.» Dieses Porträt entstand im Rahmen eines Projekts der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben im Spital (www.fhnw.ch/vereinbarkeit-im-spital). Die 2023 publizierte Wegleitung zur «Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Spitalärztinnen und -ärzte» ist unter fhnw.ch/ vereinbarkeit-im-spital-wegleitung-de abrufbar. Sie bietet Personalverantwortlichen, Spital- und Klinikleitungen, Berufsverbänden, der Gesundheitspolitik sowie Ärztinnen und Ärzten im stationären Gesundheitswesen zahlreiche Anregungen und Ideen zur Verwirklichung eines vereinbarkeitsfreundlichen Arbeitsumfeldes. Kern der Wegleitung bildet ein Katalog von Massnahmen und Instrumenten, mit denen die Arbeitsbedingungen für Spitalärztinnen und -ärzte im Sinne einer besseren Balance zwischen ärztlicher Tätigkeit und Privatleben gestaltet werden können. Eine Roadmap zeigt überdies auf, wie im Rahmen der Organisationsentwicklung wichtigste Handlungsfelder für Massnahmen identifiziert und diese Schritt für Schritt im Spital- bzw. Klinikkontext umgesetzt werden können. Porträts von Ärztinnen und Ärzten sowie Spitälern und Kliniken zeigen auf, wie Vereinbarkeit im spitalärztlichen Beruf bereits gelingt. Das Eidg. Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann unterstützte das Projekt mit Finanzhilfen. Der vsao war bei der Erarbeitung der Wegleitung in beratender Funktion involviert. Gemeinsam mit der FHNW, dem SIWF und der Vereinigung Personalmanager:innen Schweizerischer Gesundheitsinstitute (VPSG) führte der vsao am 6. Juni 2023 in Olten einen Anlass zum Thema Vereinbarkeit durch, an dem der Leitfaden und das Projekt ebenfalls vorgestellt wurden. Mit über 50 Teilnehmenden – die meisten davon HR-Verantwortliche in Spitälern oder Weiterbildungsstättenleitende – stiess der Anlass auf grossen Anklang. QR-Code zur Wegleitung: vsao /asmac Journal 3/23 13
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