vsao Journal Nr. 3 - Juni 2023

Fokus: Digital
genutzt. Jeder Entwicklungsfortschritt
ist letztlich ein Import von professio nellem
Behandlungswissen in die industriellkom
merziell erschaffenen Arbeitsinstrumente.
Wird jedes Mehr- Wissen der
Software zum relativ gesehenen Weniger-
Wissen-Müssen auf ärztlicher Seite?
Aus der erweiterten Perspektive über
das Spital hinaus betrachtet, bewirkt der
digitaltechnologische Fortschritt voraussichtlich
Veränderungen der beruflichen
Funktionsrolle von Ärzten im Gesundheitssektor.
Die zukünftige Bedeutung der
ärztlichen Profession könnte sich teilweise
anpassen an das ökonomisch-industrielle
Paradigma einer technisch effizienten
Bereitstellung von Gesundheitsleitungen
mittels geeigneter Gesundheitstechnologien.
Die riesigen Investitionen in diese
Gesundheitstechnologien werden zukünftig
ihre kaufmännischen Renditen einfordern.
Damit ist beispielsweise eine
Clinical-Decision-Support-Software immer
auch ein «Business Case». Und für ihre
kommerziellen Hersteller eine unternehmerische
Möglichkeit, Umsätze und Gewinne
zu generieren. Wem nützt es, wenn
durch immer «schlauere» Produkte die
tradierten Aufgaben der Ärzteschaft eingegrenzt
oder sogar eingeschränkt werden?
Analysen der digitaltechnologischen
Geschäftsmodelle im Gesundheitssektor
deu ten darauf hin: Im neuen Zeitalter
der branchenübergreifenden Technologiekonvergenz
verschiebt sich die Wissens-,
Entscheidungs- und Gestaltungsmacht
deutlich hin zugunsten kommerzieller
privatwirtschaftlicher Technologie-
Hyperscaler und ihrer Konglomerate.
Regulatorische Rahmensetzungen und
ethischer Diskurs gewinnen hoffentlich in
gleicher Weise an Bedeutung.
Bisher hatte die Ärzteschaft überwiegend
die versorgungsethischen Folgen
der Ökonomisierung im Blick. Zukünftig
gilt es auch, die Rechtfertigungsversuche
für eine fortschreitende Ökonomisierung
der Gesundheitsversorgung und deren
strukturelle Verfestigung durch digitale
Industrialisierungsprozesse kritisch zu
reflektieren. Der Einsatz innovativer Digitaltechnologien
bei der Behandlung erkrankter
Menschen sollte immer eine
nachweisbare Qualitätsverbesserung der
Versorgungsprozesse bewirken. Rechtzeitiges
Nachdenken der angestammten
medizinischen Fachleute hierüber könnte
der Ärzteschaft zukünftigen moralischen
Stress ersparen. Oder wie es der Arzt und
Nobelpreisträger Albert Schweitzer einmal
formulierte: «Das Glück trifft nur den vorbereiteten
Geist.»
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