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vsao Journal Nr. 3 - Juni 2023

Digital - Von Maschinen und Menschen Politik - Die Umfrage zeigt Bedenkliches Reisemedizin - Vor- und Nachsorge Tendinopathien - «Handfeste» Schmerzen

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Fokus: Digital<br />

KI und die damit verbundenen<br />

Entwicklungen stellen auch<br />

uns in der Ethik vor neue Herausforderungen.<br />

Schliesslich<br />

reden wir hier über Themen, über die –<br />

ausser in Science-Fiction-Filmen – noch<br />

nie eine Generation ernsthaft nachdenken<br />

musste. In vielerlei Hinsicht müssen<br />

wir nicht zuletzt die ethische Bewertung<br />

der künstlichen Intelligenz neu erlernen.<br />

Vieles, was uns bislang klar schien, kann<br />

jetzt in Frage gestellt werden. Allein wenn<br />

ich z. B. zum Telefon greife, um im Restaurant<br />

eine Tischreservierung vorzunehmen,<br />

ist heute nicht mehr klar, ob ich mit<br />

einem echten Menschen oder mit einem<br />

Chatbot spreche. Das muss in diesem Fall<br />

kein grosses Problem sein, vielleicht ist<br />

der Chatbot freundlicher als der echte<br />

Mensch, aber es illustriert, wie sehr sich<br />

unsere Realität bald ändern könnte, auch<br />

im Gesundheitswesen.<br />

Fakt ist, sowohl die Digitalisierung<br />

wie auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz<br />

könnten die Medizin optimieren<br />

und effizienter machen. Gewisse Bedenken<br />

werden schnell laut: «Wir wollen keinesfalls,<br />

dass irgendwann Computer für<br />

uns entscheiden!» Darüber scheinen sich<br />

eigentlich alle Ärzte und Ärztinnen im<br />

Moment einig zu sein. Man will grundsätzlich<br />

ebenso wenig, dass Computer irgendwann<br />

Arbeitskräfte ersetzen, obwohl wir<br />

das wohl kaum vermeiden werden können.<br />

Eine verbreitete Angst ist im Weiteren,<br />

dass es würdelos sein könnte, wenn<br />

ein intelligenter Pflegeroboter irgendwann<br />

eine demente, alte Patientin pflegt,<br />

und die Dame vielleicht gar nicht versteht,<br />

dass der Pflegende kein Mensch ist.<br />

Was ist eine Entscheidung?<br />

Beschränken wir uns kurz auf die Themen<br />

Entscheidungen und Würde – sie beide haben<br />

direkte Auswirkungen auf die neuen<br />

Partnerschaften, die wir mit intelligenten<br />

Maschinen eingehen werden. Beide Themen<br />

werden oft genannt. Gerade weil uns<br />

KI bei Entscheidungen helfen soll und weil<br />

wir Angst haben, dass Maschinen vielleicht<br />

würdeloser mit uns umgehen werden als<br />

Menschen. Es fragt sich aber in unserer<br />

ethischen Neubewertung dieser Zusammenhänge,<br />

ob wir uns nicht sowieso schon<br />

jeden Tag bei Entscheidungen helfen lassen,<br />

und ob wir nicht – Achtung, Kehrtwende<br />

– irgendwann vielleicht würdelos mit<br />

den intelligenten Maschinen umgehen.<br />

Was bedeutet Entscheidung? Wenn<br />

mein Navigationsgerät im Auto in einer<br />

fremden Stadt eine Tankstelle in meiner<br />

Nähe raussucht und mich dorthin führt,<br />

trifft dann das Navigationssystem nicht<br />

bereits eine Entscheidung für mich? Wenn<br />

mir mein Musik-Streaming-Anbieter Spotify<br />

ein Lied, basierend auf meinem Hörverhalten<br />

der letzten Monate, vorschlägt,<br />

trifft dann das algorithmische System<br />

nicht bereits eine Entscheidung für mich?<br />

Nein, werden Sie jetzt vermutlich denken.<br />

Das seien keine wirklichen Entscheidungen,<br />

das seien lediglich Vorschläge. Ich bin<br />

mir da nicht mehr so sicher. Ich glaube,<br />

das könnten tatsächlich schon Entscheidungen<br />

sein, es hängt davon ab, wie man<br />

Entscheidungen definiert. Und darüber<br />

redet in der aktuellen Diskussion leider<br />

fast niemand. Wir alle glauben zu wissen,<br />

was eine Entscheidung ist. Aber ist das Ergebnis<br />

einer komplexen Rechenleistung<br />

nicht vielleicht doch schon eine Entscheidung?<br />

Insbesondere dann, wenn die Rechenleistung<br />

des Deep-Learning-Systems<br />

so komplex ist, dass ich sie weder verstehen,<br />

noch nachvollziehen, noch selbstständig<br />

interpretieren kann? Oder ist eine<br />

Entscheidung erst dann eine Entscheidung,<br />

wenn ein Mensch sie emotional eingeordnet<br />

hat? (Zum Beispiel: «Oh nein,<br />

dieses vorgeschlagene Lied gefällt mir<br />

nicht, es erinnert mich an meine erste unglückliche<br />

Liebe.»)<br />

Wer oder was verdient Würde?<br />

Jetzt noch ein kurzer Blick auf die Würde:<br />

Irgendwie sind wir uns alle einig, dass einem<br />

System mit künstlicher Intelligenz<br />

wohl nie die Würde zukommen kann, die<br />

wir uns als Menschen gegenseitig per se<br />

zusprechen, richtig? Auch hierüber bin<br />

mir nicht mehr so sicher, verwischt doch<br />

die Trennlinie zwischen «künstlich» und<br />

«natürlich» zunehmend stärker. Was<br />

macht denn das «Natürliche» besser als<br />

das «Künstliche»? War Dolly ein schlechteres<br />

Schaf als andere, nur weil es durch<br />

Klonen auf die Welt gekommen ist? Hatte<br />

es deswegen weniger Anspruch auf eine<br />

artgerechte Haltung?<br />

Ich ahne schon, Sie denken jetzt, der<br />

Vergleich hinke: Klonen sei doch nicht<br />

dasselbe, wie künstliche Intelligenz zu erzeugen.<br />

Nein, ist es sicher nicht, aber es<br />

trägt dieselbe Handschrift. Beide Techniken<br />

tragen die Handschrift eines möglichen<br />

Dual-Use-Dilemmas. Das heisst: Je<br />

nachdem, wie wir die Errungenschaften<br />

einsetzen, interpretieren und nutzen,<br />

können sie gute oder schlechte Folgen<br />

haben. Natürlich ist das bei jeder Art von<br />

Technik so. Auch ein Messer kann man<br />

verwenden, um ein Brot zu streichen, oder<br />

jemand damit umzubringen – Dual Use.<br />

Aber die Folgen könnten bei der KI weitaus<br />

verheerender sein als bei einem<br />

Messer. Und das ist es, was wir im Auge<br />

behalten müssen. Noch können wir die<br />

Richtung der Anwendung steuern. Aber<br />

diese Aufgabe und die damit einhergehende<br />

Verantwortung müssen wir auch<br />

übernehmen. Wir können sie nicht allein<br />

den Juristinnen und Juristen zuschieben,<br />

sondern müssen anfangen, darüber nachzudenken,<br />

in welche Beziehung wir uns zu<br />

welcher Art von intelligenten Maschinen<br />

setzen wollen.<br />

<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 3/23 29

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