Forschung . Begleitung . Entwicklung - Deutsches Institut für ...
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Meine kritischen Bemerkungen zu diesen Indikatoren:<br />
Das dichotomische Begriffspaar ‚depressiv‘ und ‚explorativ‘ ist nicht gleichrangig.<br />
Der Gesichtspunkt ‚depressiv‘ ist einem Krankheitsbild zuzuordnen, der Depression,<br />
der seelischen Störung. Da Saup diesen Indikator in einer Studie über<br />
ältere Frauen verwendet, ist Mißtrauen doppelt berechtigt. Der älteren Frau – ihre<br />
rückläufige ‚Konjunktur‘ bei Männern ist bekannt – wurden immer schon depressive<br />
Verhaltensweisen zugeordnet. Der Begriff ist in mehrfacher Hinsicht stigmatisierend:<br />
Die Antriebsschwäche ist gesellschaftlich geächtet, ein Krankheitsbegriff<br />
ist herabsetzend in der Krankheiten ausgrenzenden Kultur, das traditionelle<br />
Bild von der mißmutigen alten Frau fällt zumindest derjenigen ein, die die Andeutungen<br />
lesen kann.<br />
Im Begriff ‚explorativ‘ hingegen versammeln sich die positiven Attribute einer<br />
postmodernen Industriegesellschaft, der Lernen und Forschen zugrunde liegt.<br />
‚Explorativ‘ ist also der funktionale Begriff, ‚depressiv‘ der nichtfunktionale. Kommt<br />
man aus dem Bildungsbereich – so die Rezensentin –, besteht erst recht die<br />
Neigung, Neugier und Aufgeschlossenheit, Lerntrieb und tätiges Denken als das<br />
Höchste anzusehen.<br />
Die anfangs aufkommenden Bedenken werden bestätigt, wenn man sich den<br />
Screening-Test (Tab. 13) anschaut. Die Untersuchungs-Teilnehmerinnen beschreiben<br />
ihre <strong>für</strong> sie bemerkbaren Verhaltensveränderungen schriftlich selbst.<br />
So wird am gegebenen Beispiel (S. 159) deutlich, daß Unternehmungs- und<br />
Reiselust als explorative Verhaltensweisen gelten. Es fehlt mir die innere, eher<br />
kontemplative Seite, die explorierendes Verhalten auch enthält. Ist diese Seite<br />
des Explorativen ausgelassen worden, um besser die Gegensätze zeigen zu<br />
können, oder wird sie von den Befragten zu wenig genannt? Immerhin ist ein<br />
Textbeispiel von einer als depressiv kategorisierten Frau eher abwägend, fragend,<br />
vergleichend und enthält damit ganz gewiß auch explorative Elemente.<br />
In seiner Begründung <strong>für</strong> die Wahl des Indikators ‚explorativ‘ erwähnt Saup die<br />
„Chance zu fremdzweckfreien Tätigkeiten“. Er wiederholt die fragwürdige These:<br />
„Wenn sozial anerkannte Rollen und Tätigkeiten im Alter irrelevanter werden, …<br />
dann ergibt sich <strong>für</strong> den älter werdenden Menschen zunehmend mehr die Möglichkeit,<br />
Tätigkeiten um ihrer selbst willen auszuführen“ (S. 109). Es ist die<br />
Kondition in dieser These, die stört. Wer sagt denn, daß sozial anerkannte Rollen<br />
auch <strong>für</strong> die Älteren irrelevant werden? Lediglich notgedrungen müssen sie sich<br />
damit arrangieren! Es scheint doch gerade ein Elend des Alters zu sein, <strong>für</strong> die<br />
Gesellschaft irrelevant und nur ein Kosten-, Pflege- und sonstiger Faktor zu<br />
werden, keine Rollen übernehmen zu können, die Anerkennung verschaffen. Die<br />
Hinwendung zur intrinsischen Motivation bei Älteren wird gerühmt und gilt „potentiell<br />
als Quelle der Freude“. Aber ist die intrinsische Motivation ein Perpetuum<br />
mobile? Motiviert sie wirklich immer, ist die Kraft dazu vorhanden? Oder treibt sie<br />
nicht gerade in die Ebene der depressiven Veränderung mit „zunehmendem<br />
Interessenverlust und Antriebslosigkeit“ (S. 111)?<br />
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