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Friedrich Heinrich von Kittlitz Denkwürdigkeiten einer Reise nach ...

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<strong>von</strong> denen Steller einige der bedeutendsten mitteilt, hier noch immer im Munde<br />

des Volks fortleben und nicht, wie man etwa vermuten dürfte, seit der vollständigen<br />

Einführung des Christentums in Vergessenheit gefallen sind. — Allerdings enthalten<br />

sie nichts zum Lobe, zur Verherrlichung des heidnischen Gottes, der vielmehr<br />

als eine Personifikation der menschlichen Sinnlichkeit in diesen Sagen das Ziel der<br />

schonungslosesten Satire wird. Auch tragen sie durchaus nicht den Charakter <strong>einer</strong><br />

Theosophie, deren Bedeutung sich an gewisse vergängliche Vorstellungen knüpft;<br />

— sie durften daher wohl auf den natürlichen Lohn guter Gedichte, die Unsterblichkeit,<br />

Anspruch machen. Was sie für manchen europäischen Leser und Zuhörer<br />

vielleicht auf einen Augenblick anstößig macht, kann für sie kein wirklicher Vorwurf<br />

sein. Denn das Widerliche wird in ihnen ja keineswegs ungebührlich angepriesen,<br />

die menschliche Verkehrtheit, welche dasselbe für etwas Edles und Vortreffliches<br />

nimmt, wird nur in sehr ergreifender Weise verspottet. Das geschieht namentlich<br />

in der Sage <strong>von</strong> Kutchas Aufenthalt am Flusse Tigil und der ihm dort zur Winterzeit<br />

gewordenen unerhörten Verblendung. — Wer dieser unendlich satirischen Fabel<br />

hohen poetischen Wert absprechen wollte, könnte nur ein oberflächlicher Beurteiler<br />

sein; denn wir finden die höchst erhabene Moral derselben, sogar mit buchstäblicher<br />

Anwendung der nämlichen Bilder, in einem der edelsten Meisterwerke Shakespeares<br />

wieder (Antonius und Kleopatra, 3. Akt, 11. Szene):<br />

„Doch sind in unsrer Sünde wir verhärtet,<br />

O Elend! dann verschließen uns das Auge<br />

Die weisen Götter, trüben unser Urteil<br />

Im eignen Schmutz, so dass wir unsern Irrtum<br />

Verehren, lachen der Verwirrung, wenn<br />

Wir stolzen Gangs uns brüsten.“ —<br />

Die Fabel <strong>von</strong> Kutchas Aufenthalt an der Mündung des Kamtschatka-Flusses (das<br />

Abenteuer mit den Mäusen) erzählte Roman Iwanowitsch etwas abweichend <strong>von</strong> Steller,<br />

nämlich so, dass es [327] nicht Mäuse, sondern junge Weiber gewesen, welche dem<br />

Kutcha so mitgespielt haben. Der Sinn der Erzählung bleibt dadurch unverändert,<br />

aber das allegorische Gewand, der eigentliche Charakter der Fabel, fehlt; auch die<br />

sinnreiche Beziehung am Schluss, die Erklärung der schonungslosen Verfolgungen<br />

der Mäuse durch die Menschen, die Nachkommen Kutchas, geht so gänzlich verloren.<br />

Wir hörten hier auch Erzählungen <strong>von</strong> Kutcha, die sich bei Steller nicht finden.<br />

— So soll jener einmal, als er <strong>von</strong> <strong>einer</strong> <strong>Reise</strong> zurückkehrte, s<strong>einer</strong> Gemahlin Chachi<br />

denselben unsauberen Gegenstand, der in seinen Abenteuern so oft eine beträchtliche<br />

Rolle spielt, als dreifaches Geschenk mitgebracht haben, nämlich in die Blätter dreier<br />

verschiedener Pflanzen eingewickelt. Vielleicht ist dieses nur ein Bruchstück <strong>einer</strong><br />

größeren Erzählung, doch fehlt ihm immer noch der satirische Charakter nicht. —<br />

Es ist aber wohl sehr natürlich, dass die beliebten zahlreichen Erzählungen der Art<br />

nicht alle <strong>von</strong> gleichem Werte sein können, da sich um Kutcha sowohl als seine Hausfrau<br />

Chachi gewiss ein großer, lange kultivierter Sagenkreis dreht.

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