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Friedrich Heinrich von Kittlitz Denkwürdigkeiten einer Reise nach ...

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jeder Ortschaft derselben beigelegt ward. — In dem neuen Awatscha besteht noch<br />

jetzt ein beträchtlicher Teil der Einwohner aus wirklichen Verbannten, die aber, wie<br />

es scheint, mehr noch aus Sibirien als aus Russland selbst hierher verschickt worden<br />

sind. — Wir trafen hier einen ehemaligen Postmeister <strong>von</strong> Jakuzk, der wegen<br />

Unterschlagung verurteilt war, und einen Grenadier vom Semenowschen Garderegiment,<br />

der zu den in ein militärisches Komplot Verwickelten gehörte, <strong>von</strong> deren<br />

Verbannung wir auch in Deutschland, ungefähr um das Jahr 1824, in den Zeitungen<br />

gelesen hatten. Diese Leute leben ganz wie die übrigen Einwohner des Orts, auch<br />

gilt hier durchweg die schon längst <strong>von</strong> den meisten <strong>Reise</strong>nden in Sibirien gemachte<br />

Bemerkung, dass man im Lande diesen Verbannten keineswegs mit Missachtung<br />

oder Mißtrauen, sondern mit entschiedener Teilnahme, mit tätigem Mitleid entgegenkommt,<br />

wie denn auch keine weitere Benennung für sie gebräuchlich ist als:<br />

Netschastii, [231] Unglückliche. — Diese gewohnheitsmäßige Sympathie mag ihren<br />

vornehmsten Grund wohl darin haben, dass im vorigen Jahrhunderte, zumal unter<br />

den langen Regierungen der Kaiserinnen, das Los der Verbannung nur zu oft statt<br />

wirklicher Übeltäter die edelsten Leute traf, die eben ihrer ausgezeichneten Eigenschaften<br />

wegen Opfer feindseliger Intrigen geworden waren. Wie man nun einem<br />

jeden der <strong>von</strong> so weit her kommenden Verbannten die besondere Veranlassung seines<br />

Unsterns unmöglich ansehen konnte, so kam mit der Zeit ein günstiges Vorurteil<br />

auch dem wirklichen Verbrecher zustatten und der Titel eines Verbannten verlor<br />

im Lande der Verbannung selbst den Verachtung erweckenden Charakter. So lebte<br />

zu unsrer Zeit im Peter-Pauls-Hafen ein dort sehr geachteter Mann, geborener Engländer,<br />

der gleichwohl, wenn auch bereits vor <strong>einer</strong> Reihe <strong>von</strong> Jahren, in Petersburg<br />

wegen Wechselfälschung gebrandmarkt und verwiesen worden war. Nur ein Paar<br />

Engländer und Amerikaner wichen darin auffallend <strong>von</strong> den übrigen Bewohnern des<br />

Hafens ab, dass sie diesen Mann geflissentlich vermieden, weil er, wie sie sagten, <strong>nach</strong><br />

englischen Gesetzen unfehlbar des Todes schuldig gewesen sei, sie ihm daher das<br />

Recht, mit Lebenden zu verkehren, nicht förmlich zugestehen mochten. Schwerlich<br />

würden Franzosen oder Deutsche mit solcher Strenge den Maßstab der Gesetze des<br />

Geburtslandes an einen längst Ausgewanderten gelegt haben.<br />

[232]<br />

Siebzehnter Abschnitt<br />

Am Morgen des 8. Juli war ich schon vor Sonnenaufgang im Freien, wo die den größten<br />

Teil des Horizonts umgebenden fernen Berge wie in magischer Beleuchtung erschienen.<br />

— Dieses Panorama wäre ein Gegenstand für den Pinsel eines großen Landschaftsmalers.<br />

Den Hauptteil desselben bildet hier die schroffeckige, vielfach mit ewigem<br />

Schnee gezierte Bergkette <strong>von</strong> Paratunka, der sich in ununterbrochener Folge gegen<br />

Süden hin die Höhen bis zur Wuylutschinskaja Sopka, gegen Norden die Gebirge des<br />

Innern der Halbinsel bis zu den hohen vulkanischen Kegelbergen der Nachbarschaft

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