Zwischen Memphis und Theben: Die Gräber politischer Drahtzieher
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..... MEDIÄVISTIK<br />
Dynamische Räume des Wissens<br />
Von Mechthild Dreyer <strong>und</strong> Kerstin Rüther<br />
<strong>Die</strong> Interaktion zwischen<br />
der Stadt <strong>und</strong> ihren Wissensräumen<br />
im Spätmittelalter<br />
<strong>und</strong> in der Frühen Neuzeit.<br />
18<br />
Mehr als jede andere Epoche tendiert das Mittelalter<br />
dazu, selbst abstrakteste Vorstellungen in Bilder zu<br />
fassen. Solche allegorischen Darstellungen bieten<br />
deshalb einen privilegierten Zugang zur mittelalterlichen<br />
Gedankenwelt. Wissen <strong>und</strong> Wissenschaft, um<br />
die es im folgenden Beitrag gehen soll, werden als<br />
ein Gesamt von hierarchisch geordneten Disziplinen<br />
verstanden. <strong>Die</strong>se erscheinen, dem grammatischen<br />
Geschlecht ihrer lateinischen Namen (grammatica,<br />
rhetorica etc.) <strong>und</strong> ihres Gattungsbegriffs (ars, scientia)<br />
entsprechend, seit Martianus Capella als Frauengestalten.<br />
Ein frühneuzeitlicher Holzschnitt (siehe<br />
Abb.) entwirft auf dieser Bildtradition aufbauend<br />
eine komplexe Inszenierung des Systems der Wissenschaften,<br />
wobei er unterschiedliche Wissenschaftsvorstellungen<br />
der Spätantike <strong>und</strong> des Mittelalters<br />
miteinander vermischt. Im Zentrum der Darstellung<br />
steht – charakterisiert durch eine Schreibtafel – in<br />
zeitgenössischem Gewand die Grammatik. Mithilfe<br />
eines Schlüssels (er ist Sinnbild der Kongruenz, der<br />
Gr<strong>und</strong>lage jeder grammatischen Theorie) öffnet sie<br />
einem Schüler den Eingang zu einem reich verzierten<br />
Gebäude, das in sich die Gesamtheit der mittelalterlichen<br />
Künste <strong>und</strong> Wissenschaften beherbergt, repräsentiert<br />
durch ihre jeweils prominentesten Vertreter.<br />
Dort erwartet den Lernbegierigen ein umfassendes<br />
Bildungsprogramm. Zunächst wird er sich im Erdgeschoss<br />
den klassischen Lehrbüchern der Grammatik<br />
(Donat <strong>und</strong> Priscian) widmen <strong>und</strong> so die lateinische<br />
Sprache erlernen. Hat er diese strenge Schule über<br />
sich ergehen lassen – die auf dem Bild zum Einsatz<br />
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Dr. Kohl<br />
An der Universität<br />
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kommende Rute des Lehrmeisters ist auch sonst ein<br />
Attribut der Grammatik –, kann er im darüber liegenden<br />
Geschoss Rhetorik <strong>und</strong> Logik (Dialektik) studieren.<br />
Nun hat er das Trivium durchlaufen, die gr<strong>und</strong>legende,<br />
auf Sprache ausgerichtete Lerneinheit, an die<br />
heute noch der Ausdruck „trivial“ erinnert. Sie ist<br />
Voraussetzung für das Studium des Quadriviums,<br />
dem die Fächer Arithmetik, Musik, Geometrie <strong>und</strong><br />
Astronomie zugerechnet werden, die allesamt mit<br />
Zahlenverhältnissen arbeiten. Hat er auch dieses absolviert,<br />
kann er sich Meister der sieben freien Künste<br />
(septem artes liberales) nennen <strong>und</strong> sich den hier<br />
auch im Wortsinne höheren Wissenschaften widmen:<br />
Es sind dies die Physik, die Ethik <strong>und</strong> schließlich die<br />
Metaphysik, die – als Theologie verstanden – auf<br />
dem Gipfel des Turmes alles andere überragt. Repräsentiert<br />
wird sie durch Petrus Lombardus, jenen<br />
Theologen des 12. Jahrh<strong>und</strong>erts, dessen Sentenzensammlung<br />
bis zu Luther das verpflichtende Lehrbuch<br />
der systematischen Theologie blieb.<br />
Solche konkret-gegenständlichen Versinnbildlichungen<br />
geistiger Inhalte gehen auf die aus der Antike<br />
stammende ars memorativa oder Gedächtniskunst<br />
zurück, derzufolge Gedanken, die in eine räumliche<br />
Ordnung gebracht worden sind, dem Verstand leichter<br />
zugänglich sind. So wird hier die traditionelle Hierarchie<br />
der Disziplinen in der architektonischen Vergegenwärtigung<br />
greifbar. Doch geht die Wahl des<br />
Bildmotivs nicht in seiner didaktischen Funktion auf,<br />
denn es lag mehr als nahe, sich Universität <strong>und</strong> Wissenschaft<br />
als einen architektonischen Raum vorzustellen.<br />
Das verraten auch die realistischen Elemente,<br />
die sich in diese allegorische Landschaft eingeschlichen<br />
haben, wie die Darstellung des Elementarunterrichtes<br />
im „grammatischen“ Untergeschoss oder die<br />
den Bildhintergr<strong>und</strong> belebende städtische Szenerie.<br />
In dieser Perspektive werden aus den allegorischen<br />
Mauern reale Mauern, denn Wissenschaft braucht<br />
Räume, um sich in der Abgeschiedenheit von lebensweltlichen<br />
Zwängen entfalten zu können. Stellten im<br />
frühen Mittelalter vor allem die Klöster derartige<br />
Schutzräume geistiger Betätigung zur Verfügung, so<br />
verlagerten sie sich mit der Gründung der ersten Universitäten<br />
in Paris <strong>und</strong> Bologna zunehmend in ein<br />
städtisches Umfeld. Plötzlich sah sich die Wissenschaft<br />
hineinversetzt in praktische Lebenszusammenhänge,<br />
musste ihre Beziehungen zu diesem<br />
Außerhalb neu definieren. Deutlich illustriert der<br />
Holzschnitt das Spannungsfeld von Nähe <strong>und</strong> Distanz,<br />
in dem Stadt <strong>und</strong> Universität zueinander standen.<br />
Zwar fügt sich der Turm ins Weichbild der Stadt<br />
ein, allgemein zugänglich ist er jedoch nicht. Nur wer<br />
die Kunst der Grammatik <strong>und</strong> damit die lateinische<br />
Sprache erlernt – so die Botschaft des Bildes –, dem