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Zwischen Memphis und Theben: Die Gräber politischer Drahtzieher

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Art. 1 Abs. 1 des Gr<strong>und</strong>gesetzes bestimmt: „<strong>Die</strong> Würde<br />

des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten <strong>und</strong><br />

zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“<br />

In der Auseinandersetzung um die rechtlichen<br />

<strong>und</strong> ethischen Grenzen der Embryonenforschung<br />

spielt dieser Satz derzeit wieder eine Schlüsselrolle.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> soll im Folgenden ein Überblick<br />

über die Wirkungsgeschichte der Menschenwürdegarantie<br />

gegeben werden. Was bedeutete die<br />

Menschenwürde für diese Gesellschaft – <strong>und</strong> welche<br />

Funktion kommt ihr heute zu?<br />

I.<br />

Das Bekenntnis des Gr<strong>und</strong>gesetzes zur Menschenwürde<br />

gehört zum Gründungsmythos der B<strong>und</strong>esrepublik:<br />

Mit ihm setzte sie sich ab von der noch nahen<br />

Vergangenheit <strong>und</strong> präsentierte sich ihr gegenüber<br />

als das ganz Andere. Nach dem Zivilisationsbruch<br />

<strong>und</strong> der moralischen Erschütterung durch den Nationalsozialismus<br />

war die Menschenwürde nun das Signal<br />

des Aufbruchs <strong>und</strong> des Neubeginns. Offen <strong>und</strong> in<br />

der Theologie wie in der Philosophie nach vielen Seiten<br />

hin anschlussfähig, floss in ihrer Proklamierung<br />

schon früh all das zusammen, was für den Bruch mit<br />

dem Vergangenen erforderlich <strong>und</strong> die ganze Bürde<br />

des Anfangs zu tragen imstande schien. In diesem<br />

Sinne lag in ihr nicht mehr <strong>und</strong> nicht weniger<br />

beschlossen als der geheime Gr<strong>und</strong>konsens der<br />

Gesellschaft: das, was an sich niemand laut hätte<br />

aussprechen müssen, weil es jeder wusste <strong>und</strong> innerlich<br />

empfand. Dem entsprach es, dass man den<br />

Begriff selbst zunächst einer Definition für überflüssig<br />

befand, er war gefühlsmäßig, aus sich heraus verständlich,<br />

ohne dass es einer juristischen Übersetzung<br />

bedurfte. Von einer „nicht interpretierten These“<br />

sprach Theodor Heuss im Parlamentarischen Rat,<br />

<strong>und</strong> im „Handbuch der Gr<strong>und</strong>rechte“, einem der großen<br />

Pflöcke in der Suchbewegung des Verfassungsrechts<br />

nach seinem neuen Gr<strong>und</strong>, erklärte Hans-Carl<br />

Nipperdey, die Menschenwürde stehe einfach nur für<br />

den „Eigenwert <strong>und</strong> die Eigenständigkeit, die Wesenheit,<br />

die Natur des Menschen schlechthin“.<br />

So verkörpert sie den durch keine gegenläufige<br />

Erfahrung zu erschütternden Glauben an ein unverlierbares<br />

Humanum, an das Bessere <strong>und</strong> Höhere im<br />

Menschen, eine ihm eingeschriebene Ziel- <strong>und</strong><br />

Daseinsbestimmung, die, seiner physisch-materiellen<br />

Existenz vorausliegend, seinem Handeln allererst<br />

Richtung <strong>und</strong> Sinn gibt. Vielleicht war die Menschenwürde<br />

so die symbolische Leitformel für die junge<br />

B<strong>und</strong>esrepublik überhaupt: eine einheitsstiftende<br />

Idee, aus der sie ihre moralische Identität bezog –<br />

wie kurze Zeit später aus dem Wirtschaftsw<strong>und</strong>er<br />

ihre ökonomische <strong>und</strong> aus dem W<strong>und</strong>er von Bern<br />

eine neuartige nationale.<br />

II.<br />

Es fällt schwer, den genauen Zeitpunkt anzugeben,<br />

von dem an die Menschenwürde diese Funktion<br />

nicht mehr erfüllte. In der Rückschau ist man geneigt,<br />

den Begriff <strong>und</strong> alles, was in ihm versammelt sein<br />

sollte, in den fünfziger <strong>und</strong> sechziger Jahren noch als<br />

weitgehend heil <strong>und</strong> intakt anzusehen, ohne dass<br />

sich dies sicher belegen oder der Verdacht entkräften<br />

lässt, man habe sich vielleicht selbst nur vom Mythos<br />

des Anfangs blenden lassen. Ein Bemühen um stärkere<br />

Konturierung ist immerhin zu erkennen, das<br />

schließlich in die allseits akzeptierte Formel Günter<br />

Dürigs mündet, Menschenwürde bedeute, dass der<br />

Mensch niemals wieder zum bloßen Objekt herabgewürdigt<br />

werden dürfe. Aber all dies geschieht weitgehend<br />

noch unhinterfragt, ist geprägt von tief empf<strong>und</strong>enem<br />

Respekt. Erst mit Niklas Luhmann, der<br />

Mitte der sechziger Jahre die Menschenwürde mit<br />

dem kühlen Blick des Soziologen analysiert, kommen<br />

ein funktionaler Zugriff <strong>und</strong> ein Ton ins Spiel, die vorher<br />

nicht da waren. Hält man etwa das spezifisch<br />

verfassungsrechtliche Schrifttum jener Jahre dagegen,<br />

so könnte der Kontrast jedenfalls kaum größer<br />

sein. Es sind häufig Texte, die, liest man sie heute, in<br />

Wortwahl <strong>und</strong> Satzmelodie eher Predigten ähneln als<br />

juristischen Stellungnahmen; sie sind getragen von<br />

einem Pathos <strong>und</strong> einem Beben in der Stimme, das<br />

der Rechtssprache seit jeher fremd war <strong>und</strong> von dem<br />

sich heute auch die Sprache der Moral weit entfernt<br />

hat.<br />

Man kann in diesem hohen Ton durchaus den Ausweis<br />

der nach- <strong>und</strong> fortwirkenden Präsenz des Gründungskonsenses<br />

sehen, gegenüber dessen Autorität<br />

sich jede kritische Nachfrage von selbst verbot. Es ist<br />

deshalb auch nur eine scheinbare Ironie, wenn man<br />

zugleich beobachten kann, dass die unmittelbare<br />

juristische Relevanz der Menschenwürdegarantie<br />

vorerst eigenartig schmal bleibt. <strong>Die</strong> Anwendungsfälle<br />

sind begrenzt <strong>und</strong> werden offenbar bewusst auf<br />

kleiner Flamme gehalten. Im Fürsorge- <strong>und</strong> Sozialhilferecht<br />

etwa wird die Menschenwürdegarantie mit<br />

dem Sozialstaatsprinzip zusammengebracht <strong>und</strong><br />

daraus die staatliche Garantie des Existenzminimums<br />

abgeleitet. In den Parteiverbotsverfahren der<br />

fünfziger Jahre, gegen die SRP <strong>und</strong> die KPD, taucht<br />

sie als Beschwörungsformel am Rande auf. Als aber<br />

im eigentlichen Sinne juristischer Begriff, in seiner<br />

Rolle als Hebel für die Lösung einzelner Rechtsfälle,<br />

blieb die Menschenwürde zunächst eher bedeutungslos;<br />

wo von ihr hier die Rede ist, dient sie eher<br />

RECHTSWISSENSCHAFT......<br />

<strong>Die</strong> Menschenwürdegarantie des Gr<strong>und</strong>gesetzes – damals <strong>und</strong> heute<br />

Von Uwe Volkmann<br />

<strong>Die</strong> Menschenwürde ist im<br />

Gr<strong>und</strong>gesetz verankert. Ihre<br />

Funktion <strong>und</strong> Bedeutung ist<br />

jedoch heute schwieriger<br />

denn je zu erfassen.<br />

FORSCHUNGSMAGAZIN ■ 2004<br />

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