Zwischen Memphis und Theben: Die Gräber politischer Drahtzieher
Zwischen Memphis und Theben: Die Gräber politischer Drahtzieher
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punkte des menschlichen Daseins, von einer festen<br />
Größe zu einer Variablen des medizinischen Fortschritts<br />
geworden zu sein scheinen, verrücken auch<br />
die ethischen Maßstäbe <strong>und</strong> pluralisieren sich. Wenn<br />
sich all dies aber auflöst – was trägt eigentlich dann<br />
noch? <strong>Die</strong> Versuchung lag <strong>und</strong> liegt nahe, die Antwort<br />
auf eine solche Frage noch einmal aus der Menschenwürde<br />
<strong>und</strong> ihrem verfassungskräftigen Ewigkeitsanspruch<br />
zu gewinnen, aus ihr einen Damm<br />
gegen die Verflüssigung des Menschen zum genetisch<br />
formbaren Konstrukt wie gegen seine genetisch-technische<br />
Reproduzierbarkeit überhaupt zu<br />
errichten. Aber die Tendenz ist so einheitlich nicht.<br />
Längst hat auch unter Juristen ein in jedem Sinne<br />
unbefangener <strong>und</strong> von allen historischen Reminiszenzen<br />
freier Umgang mit der Menschenwürdegarantie<br />
eingesetzt, der dann etwa in die These mündet,<br />
Lebens- <strong>und</strong> Würdeschutz seien stärker zu entkoppeln,<br />
der Embryo könne kaum einen Würde-, sondern<br />
allenfalls einen Lebensschutz in Anspruch nehmen,<br />
der darüber hinaus aber abgestuft <strong>und</strong> zudem<br />
abwägungsoffen ausgestaltet werden müsse.<br />
V.<br />
Was bedeutet dies alles für die Funktion der Menschenwürde<br />
in unserer Zeit? Zwei unterschiedliche<br />
Deutungen scheinen möglich. Eine hellere, optimistischere<br />
könnte etwa an die eher gestiegene Präsenz<br />
der Menschenwürdegarantie im öffentlichen Diskurs<br />
anknüpfen: Auch wer gegen sie argumentiert,<br />
bezieht sich ja immerhin auf sie. Vielleicht wäre es<br />
dann gerade ihr Offenes <strong>und</strong> Unbestimmtes, das der<br />
Menschenwürde in einer gewandelten Welt einen<br />
neuen Sinn verliehe. Mit ihm könnte sie nach Art<br />
einer regulativen Idee gleichsam den imaginären<br />
Fluchtpunkt einer Gesellschaft bilden, die auf der<br />
Suche nach ihrer verlorenen Einheit ist, aber sich<br />
immerhin wenigstens in dieser Suche noch einig<br />
weiß. Das wäre dann weit weniger dramatisch, als<br />
neuere Verfallsszenarien es vermuten lassen. Indessen<br />
ist eine solche Deutung nicht zwingend. Wird der<br />
Begriff der Menschenwürde, wie in der Diskussion<br />
um die Biotechnologie zu beobachten, von ganz verschiedenen<br />
Seiten in die Debatte geworfen, die sich<br />
aber beide für ihre Position auf ihn berufen, so könnte<br />
man darin auch nur das vorerst letzte Zeichen<br />
dafür sehen, dass ihm die sachliche Substanz endgültig<br />
abhanden gekommen ist. <strong>Die</strong> Menschenwürde<br />
erschiene dann nur als hohl gewordene Form <strong>und</strong><br />
allenfalls noch rhetorische Klammer zwischen verschiedenen<br />
Wertewelten, die sich aber innerlich<br />
längst voneinander verabschiedet haben: keine Einheits-,<br />
sondern bloß noch eine Kontingenzformel;<br />
eine Sache der Feierst<strong>und</strong>en, aber ohne jede praktische<br />
Relevanz; brauchbar nur noch für die Abgrenzung<br />
vom Unrechtsstaat, von der Versklavung oder<br />
Entrechtung des Menschen <strong>und</strong> damit verschoben<br />
auf die Lösung von Problemen, die sich hier <strong>und</strong> heute<br />
<strong>und</strong> für uns gar nicht mehr stellen. <strong>Die</strong>s wäre die<br />
andere, bösere Deutung. Nun muss freilich auch sie<br />
nicht richtig sein. Welche von beiden zutrifft, muss<br />
vorerst jeder für sich entscheiden.<br />
■ Summary<br />
In its first and f<strong>und</strong>amental article, the German Constitution<br />
guarantees the dignity of man and regards<br />
it as inviolable. Originally conceived as the intrinsic<br />
worth inherent in every human being as well as the<br />
conceptual basis for human rights, the principle of<br />
human dignity has become controversial throughout<br />
the last years, particularly due to the discussion on<br />
bioethics. Against this backgro<strong>und</strong>, the article at<br />
hand reviews the history of the interpretation of the<br />
concept itself and examines its specific social functions<br />
<strong>und</strong>er varying external circumstances.<br />
UWE VOLKMANN, geboren 1960 in Lünen/Westf.,<br />
studierte Rechtswissenschaft an der Universität Marburg.<br />
Nach dem Referendariat <strong>und</strong> mehrjähriger<br />
Rechtsanwaltstätigkeit in Frankfurt a.M. habilitierte<br />
er sich nach zwischenzeitlicher Promotion 1998 in<br />
Marburg. Seit 1999 ist er Professor an der Johannes<br />
Gutenberg-Universität Mainz, seit 2000 Inhaber des<br />
Lehrstuhls für Rechtsphilosophie <strong>und</strong> Öffentliches<br />
Recht am Fachbereich Rechts- <strong>und</strong> Wirtschaftswissenschaften;<br />
Arbeitsschwerpunkte sind Staatslehre<br />
<strong>und</strong> Staatstheorie, Gr<strong>und</strong>rechte <strong>und</strong> Parteienrecht.<br />
■ Kontakt:<br />
Univ.-Prof. Dr.<br />
Uwe Volkmann<br />
Univ.-Prof. Dr. iur. Uwe Volkmann<br />
Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
Professur für Rechtsphilosophie <strong>und</strong><br />
öffentliches Recht<br />
Jakob-Welder-Weg 9<br />
55128 Mainz<br />
Tel. +49 (0) 6131 39-23453<br />
Fax +49 (0) 6131 39-23090<br />
E-Mail: volkmann@uni-mainz.de<br />
http://www.jura.uni-mainz.de/~volkmann/<br />
RECHTSWISSENSCHAFT......<br />
FORSCHUNGSMAGAZIN ■ 2004<br />
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