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Die Beste Zeit Nr. 16.indd - Druckservice HP Nacke KG

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Frankfurter Rundschau. Der Zuhörer im<br />

ADA erfährt noch mehr: wie Literatur,<br />

Humor und Ironie zu Überlebensmitteln<br />

in schwer erträglichen <strong>Zeit</strong>en werden<br />

können. Samar Yazbek, die in ihrer<br />

Heimat Syrien Romane schrieb und als<br />

Journalistin arbeitete, dokumentierte die<br />

Protestbewegungen in ihrer Heimat. Als<br />

ihr Name auf der Todesliste der Geheimdienste<br />

auftauchte, tauchte sie ab und<br />

fl oh mit ihrer Tochter ins Ausland. Ihr<br />

Buch über ihre Erfahrungen im Gefängnis<br />

ist – wie der Titel – „ein Schrei nach<br />

Freiheit“, der bei den Zuhörern im ADA<br />

dort ankam, wo er hingehört: mitten ins<br />

Herz.<br />

Woher noch Stühle nehmen?<br />

Als der Künstlerische Beirat dieser ersten<br />

Wuppertaler Literatur Biennale zusammentraf,<br />

gab es sehr ernste und kritische<br />

Diskussionen zum Rahmenthema. Ob<br />

wohl ein solch dezidiert politisches Thema<br />

im Rahmen eines Literaturfestivals<br />

richtig verortet sei? Ob die Wuppertaler<br />

sich durch ein solches Thema – wenn<br />

hinten weit im Morgenland – bewegen<br />

lassen würden? <strong>Die</strong> Biennale hat gezeigt,<br />

dass sich die inneren und äußeren Wirklichkeiten<br />

durch nichts besser transportieren<br />

lassen als durch Literatur. <strong>Die</strong><br />

Wuppertaler haben sich bewegen lassen:<br />

Weit mehr als 3.000 Menschen kamen<br />

zu den 24 Veranstaltungen der Biennale.<br />

„Oft hatten wir das Problem, woher wir<br />

noch Stühle bekommen“, sagte Monika<br />

Heigermoser, Leiterin des Kulturbüros<br />

und Initiatorin der Literatur Biennale.<br />

Hinzu kamen 50 Schullesungen des VS,<br />

die in die Literatur Biennale eingebunden<br />

waren.<br />

Der Erfolg beruht wohl auch auf dem<br />

vom Beirat entwickelten Konzept, das<br />

Thema „Freiheit“ multiperspektivisch<br />

abzubilden. So las John van Düffel in<br />

der prall gefüllten Universitätsbibliothek<br />

aus seinem Roman „Houwelandt“, in<br />

dem es um das Ausbrechen aus verkrusteten<br />

Familienstrukturen geht. In<br />

der von der Wuppertaler Kulturjournalistin<br />

Anne Linsel sensibel moderierten<br />

Lesung mit der niederländischen<br />

Autorin Margriet de Moor portraitiert<br />

die Autorin eine junge Frau, die aus<br />

ihrer Heimat Dänemark in das Amsterdam<br />

Rembrandts reist. Ein Schrei<br />

nach Freiheit ist der Mord an ihrer<br />

Zimmerwirtin, den sie nicht bereuen<br />

kann und will. Sie wird zum Tode<br />

verurteilt. Wenige Stunden nach ihrer<br />

Hinrichtung zeichnet sie ein Rembrandt<br />

nachempfundener Maler; er will diesen<br />

Augen-Blick festhalten, den Verfall aufhalten,<br />

dem gewesenen Leben Ewigkeit,<br />

dem Tode Schönheit abtrotzen. Der<br />

Roman ist ein großartiges artistisches<br />

Spiel und zugleich ein Ringen um den<br />

Zusammenhang von Kunst und Leben.<br />

Gelungen war das Zusammenspiel von<br />

Musik und Lesung. Ein Trio für Alte<br />

Musik (Viola da Gamba, Gitarre und<br />

Cembola) entführte die Zuhörer auch<br />

atmosphärisch in die <strong>Zeit</strong> des 17. Jahrhunderts.<br />

Musik und Wort<br />

Überhaupt erwies sich die musikalische<br />

Kontextualisierung der Literatur<br />

als ein gelungener Baustein dieser<br />

ersten Wuppertaler Literatur Biennale.<br />

Besonders beeindruckend war<br />

das „Zusammenspiel“ zwischen dem<br />

Jörg Degenkolb-Deg˘erli Karl Otto Mühl Michael Zeller<br />

Bassisten und Improvisationsmusiker<br />

Harald Eller und Christoph Ramsmayr,<br />

der im Barmer Bahnhof aus seinem<br />

Roman „Morbus Kitahara“ las und die<br />

Zuschauer in eine apokalyptische Welt<br />

nach einem fiktiven Krieg entführte,<br />

in der sich die Sieger an den früheren<br />

Peinigern rächen. <strong>Die</strong> beklemmenden<br />

Stimmungen, Bilder und Geschichten,<br />

aufgebaut aus komplexen Satzkaskaden<br />

und in einer filmisch bildhaften Sprache,<br />

spiegelte Eller in seinen Bass-Soli<br />

atmosphärisch präzise wieder.<br />

Zu dem Konzept der Biennale gehörte<br />

von Anfang an, neben Großautoren<br />

wie Christoph Ransmayr, Margriet de<br />

Moor und Literaturnobelpreisträgerin<br />

Herta Müller auch den Wuppertaler<br />

Autoren Gehör zu verleihen. Denn die<br />

Wuppertaler Literaturszene war und<br />

ist lebendig. Karl Otto Mühl, Jahrgang<br />

1923, Nestor der Wuppertaler<br />

Literaten, trat im Slam Poetry Wettbewerb<br />

gegen die Enkel-Generation<br />

Jörg Degenkolb-Degerli und Andre<br />

Wiesler an. Altersunterschied: 50<br />

Jahre. Herrmann Schulz, langjähriger<br />

Leiter des Wuppertaler Peter-Hammer-<br />

Verlages, Autor zahlreicher Romane<br />

und Jugendbücher betrat ebenfalls die<br />

„Generation-Stage“ und ließ sich auf<br />

die Kunst des schnell wirksamen Wortes<br />

ein. Der Wuppertaler Schriftsteller<br />

Michael Zeller, von der Heydt- und<br />

Andreas-Gryphius-Preisträger, erörterte<br />

mit seinen Kollegen Artur Becker<br />

und Dariusz Muzer – alle drei wurden<br />

in Polen geboren – die vielfältigen<br />

Formen der Zensur im Polen des real<br />

existierenden Kommunismus.<br />

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