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Die Beste Zeit Nr. 16.indd - Druckservice HP Nacke KG

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46<br />

Später Besuch<br />

Alter Friseurmeister<br />

<strong>Die</strong> Eingangspforte führt mich in eine andere Welt. Seltsame Stille umfängt mich.<br />

Aus meinem Alltag kehre ich zurück in dieses Haus, das Altenheim am Rande der Stadt.<br />

Ein Jahr ist vergangen. Ich erinnere mich an meine Fototermine, an die Gespräche und Begegnungen mit den Menschen, die hier wohnten.<br />

Sie leben nicht mehr.<br />

Ich nehme den Fahrstuhl in die dritte Etage, werfe einen Blick durch geöffnete Türen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Zeit</strong> scheint sich zu verstecken. Zwischen Möbeln, Blumen und Fotoalben.<br />

An diesem Ort treffen sich Vergangenheit und Gegenwart.<br />

Meine Gedanken lasse ich treiben.<br />

Der Raum neben dem Speisesaal gehört einer vornehmen alten Dame, ehemals Primaballerina eines großen Theaters, das Zimmer gegenüber<br />

einem Friseurmeister, der begeistert über seine Arbeit redet. <strong>Die</strong> Nachbarin berichtet über ihre Flucht aus Ostpreußen im Winter 1945, die sie<br />

als junge Frau überstehen musste. Eine Bildhauerin, stark von Krankheit gezeichnet, kann ihre Gefühle nicht mehr in Worte fassen. Ihre Augen<br />

und Hände sprechen. Bald pendelt sie zwischen Wachen und Schlaf.<br />

Ich sehe die Heimbewohner vor mir. Ihre Freude, ihre Trauer. Sie haben geliebt, gelitten, gekämpft und geträumt. So wie wir.<br />

Erinnerungen werden mitgenommen auf die Reise in die Nacht. Manchmal ist es ein langsamer Abschied.<br />

Mit meinen Fotografi en habe ich versucht, Augenblicke ihres Lebens zu bannen, ihnen Dauer zu verleihen.<br />

In Ihren Gesichtern spiegelt sich gelebtes Leben. Jede Falte erzählt eine Geschichte.<br />

Einige Geschichten trage ich in mir. Ich bewahre sie.<br />

Vor dem Fenster pfeift nun ein kalter Wind. Nachdenklich verlasse ich dieses Gebäude, das mir durch meine Besuche vertraut geworden ist.<br />

<strong>Die</strong> Momente, die ich mit den alten Menschen verbringen konnte, kehren nicht wieder.<br />

Alles ist in Bewegung, an eine bestimmte <strong>Zeit</strong> gebunden. Das zu akzeptieren, fällt mir schwer. Neue Bewohner sind eingezogen. Wie lange<br />

werden sie bleiben...<br />

Foto und Text: Elisabeth Heinemann

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