Die Beste Zeit Nr. 16.indd - Druckservice HP Nacke KG
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Dan Graham’s New Jersey, englisch, 192 S.<br />
mit 110 Farbabb., geb. in Leinen, 26 x 19<br />
cm, Lars Müller Publishers, 45,- Euro<br />
Damit gehört Dan Graham (geb. 1942) zu<br />
den einfl ussreichsten US-amerikanischen<br />
Künstlern. Ein Fokus seiner Arbeit liegt auf<br />
den Riten und Formen des Bürgerlichen.<br />
Das ist nun auch das Thema der farbfotografi<br />
schen Serien „Homes for America“,<br />
die Graham in der zweiten Hälfte der<br />
1960er Jahre aufgenommen hat, und des<br />
inhaltlich daran anschließenden Projektes<br />
„Dan Graham’s New Jersey“ aus dem Jahr<br />
2006. Beides fasst nun ein grandioses Buch<br />
zusammen, für das er eine konzentrierte dialogische<br />
Auswahl getroffen hat – mitunter<br />
kehren die frühen Orte und Motive später<br />
wieder. Zu sehen sind gutbürgerliche Einfamilienhäuser,<br />
Plätze und Straßensituationen<br />
an der urbanen Peripherie, wobei sich<br />
Graham für Oberfl ächen, Fassaden und<br />
Architekturstrukturen interessiert. In den<br />
frühen Fotografi en geht er extrem nahe<br />
heran und arbeitet mit Unschärfen und<br />
Spiegelungen. 2006 ist es immer noch der<br />
gleiche Blick, der banale Funktionalitäten<br />
fokussiert, aber Graham wahrt nun mehr<br />
die Übersicht und zeigt das Ganze. Übrigens<br />
hat Graham einzelne der Fotografi en<br />
kommentiert, lapidar, trocken. Fotografi e<br />
ist hier kein autarkes Ereignis, sondern<br />
kontextorientiertes Medium zur Analyse.<br />
Das Buch aber, das Lars Müller Publishers<br />
daraus gemacht hat, gehört (obzwar leider<br />
nur in Englisch) mit zu den schönsten<br />
und besten auf dem Kunstbuch-Markt der<br />
letzten <strong>Zeit</strong>.<br />
Was ist aus der „eigentlichen“ Fotografi e<br />
geworden, die im 19. Jahrhundert mit<br />
dem Anspruch angetreten ist, in einzelnen<br />
prägnanten Bildern aufrichtig nichts als die<br />
Wahrheit zu vermitteln? Bei Capa ist sie<br />
von einer bestimmten Intention gesteuert<br />
(und unterliegt bei ihm sogar der Vermutung<br />
gestellter Aufnahmen), bei Tuggener<br />
Cindy Sherman, Das Frühwerk 1975-<br />
1977, 374 S. mit 240 Duplex- und 44<br />
Farbabb., geb. mit Schutzumschlag, 28,5 x<br />
23 cm, Hatje Cantz, 58,- Euro<br />
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verfügt sie über einen Subtext, der das<br />
fotografi sch Ansichtige in Frage stellt. Mit<br />
der Autonomie als Kunstform und der Nobilitierung<br />
konzeptueller Verfahren aber ist<br />
alles möglich. Dan Graham behandelt die<br />
Fotografi e als Referenzmaterial. Und Cindy<br />
Sherman (geb. 1954) setzt sie bewusst<br />
zur Camoufl age ein: Sie ist Regisseurin,<br />
Kostümbildnerin und Akteurin vor und<br />
hinter der Kamera. Sie inszeniert Bilder,<br />
die bedeutungsschwanger, erzählerisch und<br />
verstörend sind. Einziger Gegenstand ihrer<br />
Aufnahmen ist sie selbst in Verkleidungen,<br />
auch die Anmutung als Bild wechselt –<br />
dazu hat Sherman ein Repertoire entwickelt,<br />
das immer weitere Kreise zieht. Wie<br />
sehr dieses schon zu Beginn ihres künstlerischen<br />
Tuns ausdifferenziert ist, das zeigt<br />
nun der Werkkatalog der Jahre 1975-77,<br />
erschienen bei Hatje Cantz. Das Frühwerk<br />
wird hier minutiös aufgeblättert; zu sehen<br />
sind Cutouts inszenierter, verkleideter Figuren,<br />
die nun an der Ausstellungswand ein<br />
Theaterstück aufführen, wobei Sherman<br />
selbst alle Rollen einnimmt. Es gibt Tableau<br />
mit Porträts, die sich unmittelbar aufeinander<br />
beziehen, oder sukzessive Serien ein<br />
und derselben fotografi erten Person, wobei<br />
lediglich Körperhaltung und Mimik differieren.<br />
Vieles aus dem späteren Programm<br />
ist schon da zu sehen und deswegen ist<br />
dieses Buch so wichtig für die Rezeption<br />
von Shermans weltweit geschätztem Werk.<br />
Auch ihre soziokulturellen Themen liegen<br />
bereits vor; mit diesen behandelt Sherman<br />
Fragen der weiblichen Identität und der<br />
Entstehung von Klischees und Rollenbildern<br />
in unserer Gesellschaft und geht<br />
der emotionalen Wirkung fotografi scher<br />
Bilder nach. Fotografi e erweist sich bei ihr<br />
als indirektes Medium, ohne an Direktheit<br />
einzubüßen – aus diesem brisanten Wechselverhältnis<br />
erwächst bedeutende Kunst.