Getrennte Brüder finden zusammen - bruederbewegung.de

Andreas Liese: 1937 – ein Schicksalsjahr der deutschen Brüderbewegung 10
bindend sei. 19 Damit hatten sich in der Brüderbewegung zwei völlig entgegengesetzte ekklesiologische
Prinzipien herausgebildet.
In Deutschland entstanden Versammlungen der »Offenen Brüder« (auch das stellte eine Fremdbezeichnung
dar) Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Gegenden. Zu den bedeutendsten Gemeinden
wurden u. a. die Gemeinschaft Berlin-Hohenstaufenstraße und die in Bad Homburg. In
Berlin wurde 1905 auch die Allianz-Bibelschule gegründet, die dann 1919 nach Wiedenest im Oberbergischen
verlegt wurde. An ihr lehrten Christoph Köhler und Johannes Warns. Wichtig ist, dass
diese beiden Gemeindegründungen durch Kontakte zu den Open Brethren in England entstanden;
diese Verbindungen blieben dann auch bestehen.
Analog der »Christlichen Versammlung« verstanden sich auch die »Offenen Brüder« als Bewegung
und schreckten vor festen Gemeindestrukturen zurück. Da man das allgemeine Priestertum
praktizierte, gab es auch keine fest angestellten Prediger. Verstärkt wurde der Bewegungscharakter
durch die Betonung der Selbständigkeit der örtlichen Gemeinde. 20 Diese Auffassung begünstigte bis
in die dreißiger Jahre hinein den relativ lockeren Verbund der Gemeinden der »Offenen Brüder«. 21
Aber Ernst Lange muss konstatieren, dass trotz des offiziellen Anspruchs, die »Offenen Brüder«
besäßen keine Organisation, auch sie eine informelle gehabt hätten. 22
Später erkannten die »Offenen Brüder« ebenfalls die Notwendigkeit minimaler überörtlicher
Strukturen. Auch bei ihnen wurden Lehrkonferenzen durchgeführt. Zur wichtigsten wurde die Konferenz
in Berlin (Hohenstaufenstraße), da hier übergemeindliche Angelegenheiten besprochen wurden.
23 Nach Theodor Küttner, einem führenden Vertreter der Leipziger Versammlung der »Offenen
Brüder«, betrug 1936 die Gesamtzahl der »Offenen Brüder« 8000 bis 10.000 Personen. 24
Zu den führenden Figuren der »Offenen Brüder« in den 20er und 30er Jahren gehörten neben dem
schon erwähnten Johannes Warns (Leiter der Bibelschule Wiedenest) Heinrich Neumann (Berlin-
Hohenstaufenstraße), Christian Schatz, Albert von der Kammer und Ernst Lange. Letzterer betätigte
sich ab 1933 als Publizist, der sich besonders für die Zusammenarbeit der freikirchlichen Christen
einsetzte.
Im Verhältnis zum Staat plädierte man dafür, sich der Obrigkeit als einer »göttlichen Ordnung«
unterzuordnen und ihr zu gehorchen, sofern die Anordnungen mit der Bibel in Übereinstimmung
seien. 25 Bedeutsam ist, dass in den Handreichungen, der wichtigsten Zeitschrift, die Beteiligung an
Wahlen befürwortet wurde; seine Stimme sollte man allerdings dem Vertreter »einer staatserhaltenden
Richtung« geben. 26
Wie die »Geschlossenen Brüder« nahmen auch die »Offenen Brüder« im Oktober 1933 Kontakt
mit der Regierung auf und erhielten vom zuständigen Referenten des Reichsministeriums des Inne-
19 Vgl. Geldbach, S. 120.
20 Warns, S. 20. Im Gegensatz zu den »Geschlossenen Brüdern« benutzte man für die örtlichen Gruppen durchaus
den Begriff »Gemeinde«. Vgl. dazu die »Kurze Darlegung über kirchenfreie christliche Gemeinden«, in: Kretzer,
S. 122–124.
21 Vgl. Jordy, Bd. 2, S. 136: An der Unabhängigkeit der einzelnen Gemeinden voneinander wurde auf der Berliner
Konferenz 1925 ausdrücklich festgehalten, ihre Übereinstimmung war mehr ideeller Natur.
22 Archiv Wiedenest, Bestand Bister, Ernst Lange, Vertrauliche Bemerkungen zu den »Gedanken«, 15. Oktober 1937,
S. 2.
23 Staatsarchiv Leipzig, PP-V 4872, Bl. 5, Vernehmung Theodor Küttner, 19. Februar 1936. Vgl. auch die »Kurze Darlegung«,
in: Kretzer, S. 124: Die »an sich selbständigen Gemeinden« würden durch Konferenzen und hier besonders
durch die »Arbeitskonferenz« in Berlin, auf der »wichtige Fragen der Lehre und der Gemeindeordnung beraten«
würden, zusammengehalten.
24 Staatsarchiv Leipzig, PP-V 4872, Bl. 4ff., Vernehmung Küttner.
25 Gegenseitige Handreichung aus dem Worte Gottes 2 (1914), S. 83–88, hier 85ff.
26 Ebd.