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Andreas Schmidt: Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung 37
Gegenwart und Ausblick
Heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, ist die Frage nach dem gesellschaftlichen Engagement in Brüdergemeinden
erneut virulent. 20 Indizien dafür sind unter anderem:
– die Auseinandersetzungen mit verschiedenen Aspekten gesellschaftsrelevanter Gemeindearbeit
auf Tagungen und Konferenzen,
– zahlreiche Beiträge zu gesellschaftlich relevanten Fragen in der Zeitschrift Perspektive sowie in
den Magazinen für Jugendliche bzw. Jugendmitarbeiter komm! und christ-online Magazin,
– die Gründung des Arbeitskreises »Diakonie für Christus«,
– die Beteiligung zahlreicher Brüdergemeinden an der »Initiative Hoffnung«, einem sozialdiakonischen
Themenjahr verschiedener evangelikaler Jugendverbände und Missionswerke.
Bei dieser Entwicklung steht nicht so sehr eine direkte politische Beteiligung im Vordergrund, abgesehen
davon, dass die Teilnahme an Wahlen selbstverständlich ist und weithin akzeptiert wird. Vielmehr
beschäftigen sich Brüdergemeinden zunehmend mit der Frage, wie sie neben dem geistlichen
auch das materielle und emotionale Wohl der Menschen in ihrer Umgebung suchen können. Daneben
hat die Suche nach Möglichkeiten begonnen, wie unsere Gesellschaft durch lebensfördernde
biblische Werte beeinflusst werden kann.
Etliche Gemeinden haben inzwischen sozialdiakonische Arbeiten begonnen; oft sind es offene
Angebote für Kinder, Jugendliche oder Bedürftige. Manche haben Patenschaften für Menschen oder
Einrichtungen in ihrem Ort übernommen. In einzelnen Fällen findet auch eine Vernetzung mit anderen
lokalen Vereinen und der kommunalen Politik statt. Geschwister werden ermutigt, Verantwortung
in der Elternvertretung von Kindertagesstätten und Schulen zu übernehmen oder bei den Ganztagsangeboten
der Bildungseinrichtungen mitzuarbeiten. Und auch wenn die Mitgliedschaft in einer
Partei unter brüdergemeindlichen Christen ein ausgesprochen seltenes Phänomen darstellt, findet
sich hier und da parteipolitisches Engagement auf kommunaler Ebene bis hin zur Landespolitik.
Auffällig ist dabei: Das Bemühen in diesen genannten Bereichen, das oft auch von Menschen außerhalb
der Gemeinde anerkannt wird, scheint stärker zu sein als in Bereichen, wo biblische Werte
und Verhaltensweisen von der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung abweichen. Als Beispiele seien
hier der Schutz des ungeborenen Lebens genannt, der vorurteilsfreie Umgang mit Migranten oder die
Unterstützung von Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen.
Hinter die Erkenntnis, dass Christen sowohl »Bürger des Himmels« als auch aktive Bürger in
dieser Welt sein sollen, ist der aus dem BfC hervorgegangene Teil der Brüderbewegung also nicht
zurückgefallen. Im Gegenteil, er hat sie in den vergangenen Jahren wieder neu entdeckt. Da aber auch
heute der geistesgeschichtliche Kontext ein wesentlicher Motor für diese Entwicklung zu sein
Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser
Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche
unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir
nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften« (Evangelischer Erwachsenenkatechismus, Gütersloh
7 2001, o. S.). Dass die Synode aber nur eine Minderheit innerhalb der protestantischen Kirchen repräsentierte, ist
bekannt. Die überwiegende Zahl ihrer Mitglieder unterstützte das NS-Regime zunächst in gleicher Weise wie die
Christen der Brüdergemeinden.
20 Neben dem Einfluss der Postmoderne (siehe Anm. 21) scheinen sich hier die allgemeine Enttraditionalisierung der
Glaubensgemeinschaften und die damit verbundene Lösung von überkommenen Lehrauffassungen auszuwirken.
Daraus ergibt sich wiederum die Möglichkeit und Herausforderung einer »ganz neuen« Lektüre und Interpretation
der Bibel. Hinzu kommt natürlich die zunehmende Öffnung der »Brüder« gegenüber Impulsen aus der nationalen
und internationalen evangelikalen Bewegung in den vergangenen Jahrzehnten.