Getrennte Brüder finden zusammen - bruederbewegung.de

Andreas Liese: 1937 – ein Schicksalsjahr der deutschen Brüderbewegung 20
zeige, dass er noch tief in den bisherigen Denkmustern verfangen sei. Seine Weigerung, sich auf diese
neue Organisationsform einzulassen, gefährde das Ganze. 76
Schatz versuchte seinerseits den Kritikern zu verdeutlichen, dass man sich aufgrund von – schon
oben erwähnten – Auskünften der Gestapo unbedingt eine neue Ordnung geben müsse. Außerdem
habe man den Anordnungen der Obrigkeit Folge zu leisten. 77 Eine ganze Reihe von Brüdern teilten
diese Sicht aber nicht. Es sei zuerst zu prüfen, was biblisch legitimierte Forderungen seien. Einige
meinten, die Einreichung von Mitgliederlisten bei der Gestapo sei gerechtfertigt, andere lehnten auch
dies ab; einig war man sich in der Ablehnung des Eintritts in den BfC oder der Bildung eines eigenen
Bundes auf der Grundlage des Satzungsentwurfs, da dieser unbiblisch sei.
Schatz meinte nun, dass viele »den kirchenpolitischen Ernst der Stunde – so wie er ihn beurteilte
– nicht begriffen hatte[n]«. 78 Er befürchtete deshalb nicht nur eine »Vereitelung« des Zusammengehens
mit dem BfC, sondern auch ein Verbot der KcG durch die Gestapo.
Albert von der Kammer bezeichnete die Ablehnung von Veränderungen als eine Haltung »der
Überhebung und der Unfehlbarkeit«, wie sie sich in Dresden und darüber hinaus in Sachsen immer
noch zeige. Er hoffte darauf, dass Lange durch Predigtdienste noch kurz vor der Berliner Konferenz
daran etwas ändern könne. 79
Man erwartete deshalb mit Spannung, wie die Konferenz in Berlin entscheiden würde. Die entscheidende
Aussprache, über die Christian Schatz in einem Rundschreiben ausführlich berichtete,
fand am 15. November 1937 statt. 80 Die Gegner machten noch einmal ihre Bedenken geltend, »hauptsächlich
auf der Linie, daß wir eine Organisation der Gemeinden bisher als nicht schriftgemäß abgelehnt
hätten«. Dagegen sagten die »führenden Brüder«, dass die kirchenfreien Christen »nicht in
einen Bund der Gemeinden, sondern nur in den ›Bund der freikirchlichen Christen‹ einzutreten«
hätten. »Dieser Bund ist also nicht ein Bund der Gemeinden, sondern [eine Organisation] von einzelnen
Personen«. Interessant ist, dass man die Notwendigkeit der grundlegenden Veränderung bei
den bisherigen KcG nun viel stärker auf den Aspekt der Organisation konzentrierte, als das Becker bei
der Gründungsversammlung des BfC im Mai getan hatte. Man begründete nämlich die angestrebte
Vereinigung damit, dass, »wie schon wiederholt von den beauftragten Brüdern mitgeteilt wurde, …
der Staat eine klare Organisation [will], durch die er jederzeit die Arbeit der Gemeinde übersehen und
sich über die Stellung der einzelnen Gemeindeglieder unterrichten kann«.
Man gab aber auch eine politische Begründung, indem man ausführte, dass man die Absicht des
NS-Staates, »zur kollektiven Zusammenarbeit« zu erziehen, und sein Bestreben, »daß auch die
christlichen Gemeinschaften in ihrem Zusammenleben innerhalb ihres Volkes in einer äußeren Ordnung
diesen Gedanken zur Auswirkung bringen« sollten, unterstütze. Die Konsequenz sei, dass man
»an die Spitze unserer Gemeinden einen Leiter oder Beauftragten« zu stellen habe. Er sollte nicht nur
die »Wünsche der Gemeinden« ausführen, »sondern auch dem Staat gegenüber die Verantwortung
für ein richtiges Verhalten und Gebaren der von ihm vertretenen Gemeindeglieder« übernehmen.
Damit mussten dem Beauftragten aber auch Kompetenzen den Gemeinden gegenüber eingeräumt
werden. Schatz meinte dann, dass bei einer Abfrage am Abend nur noch drei Brüder gegen den Beitritt
zum BfC gewesen seien. Paul Frey, einer der Gegner, erwähnt dagegen vier Brüder, die sich ablehnend
zeigten. 81 Dem Evangelisten Willi Windgasse soll man den Eintritt verwehrt haben. 82
76 Archiv Wiedenest, Bestand Bister, Ernst Lange an Albert von der Kammer, 29. Oktober 1937.
77 Vgl. Jordy, Bd. 3, S. 164f.
78 Ebd., S. 165.
79 Archiv Wiedenest, Bestand Bister, Albert von der Kammer an Ernst Lange, 1. November 1937.
80 Christian Schatz, Rundschreiben an die ehemaligen KcG, 1. Dezember 1937, in: Kretzer, S. 128.
81 Paul Frey an Rudolf Kretzer, 18. Dezember 1945, zitiert nach Kretzer, S. 498, Anm. 86. Namentlich wird noch Wilhelm
Vogelberg aus Unna erwähnt.
82 Kretzer, S. 42.