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Andreas Liese: 1937 – ein Schicksalsjahr der deutschen Brüderbewegung 24 Damit hatte sich die Situation für die ehemaligen »Elberfelder« im BfC grundlegend geändert: Von nun an würden sie sich auch international zu den »Offenen Brüdern« halten. 7. Resümee Abschließend soll zunächst gefragt werden, wie der BfC im Kontext des nationalsozialistischen Deutschlands zu bewerten ist. Die oft geäußerte Meinung, nach der der BfC lediglich eine äußere Angelegenheit darstellte, ist nicht zu halten. Ist als entscheidender Grund für das Verbot der »Christlichen Versammlung« der »volks- und staatsfeindliche Darbysmus« zu veranschlagen, dann muss als wichtige Vorbedingung für die Erlaubnis zur Gründung des BfC die Aufforderung gesehen werden, sich öffentlich vom ihm zu distanzieren. Genau dies tat Becker in seiner Rede am 30. Mai 1937 in Wuppertal-Elberfeld. So muss man feststellen, dass sich dieser Bund in vielerlei Hinsicht als eine an den NS-Staat angepasste Gemeinschaft erwies, indem man das Führerprinzip praktizierte, die Mitglieder zur Mitwirkung im nationalsozialistischen Staat aufforderte und den noch »darbystisch« ausgerichteten Angehörigen der alten »Christlichen Versammlung« erst einmal die Mitgliedschaft im Bund verweigerte. Die Überprüfung der neuen Mitglieder des BfC durch die Gestapo sollte zudem sicherstellen, dass nur dem NS-System genehme Personen dem Bund angehören würden. Andererseits kann nicht bestritten werden, dass in den BfC-Gemeinden nicht nur das gottesdienstliche Leben wie früher gepflegt wurde, sondern dass es auch besonders nach der Vereinigung mit den »Offenen Brüdern« durchaus zu einem geistlichen Aufschwung kam. Komplizierter ist die Frage nach der Beurteilung des Zusammenschlusses von »Geschlossenen« und »Offenen Brüdern« zu beantworten. Sieht man sich die einzelnen Aussagen der agierenden Personen an, so muss man verschiedene Motive für diesen Schritt konstatieren. So betonte Christian Schatz in seinem Rundschreiben unmittelbar nach der Vereinigungskonferenz den existenzsichernden Aspekt: Die KcG hätten sich aufgrund der Aufforderung der Gestapo »eine festere Organisationsform« geben müssen; dieser sei man, da es keine trennenden Schranken mehr gegenüber den »Geschlossenen Brüdern« gebe, durch den Beitritt zum BfC nachgekommen. 98 Der Entschluss zur Vereinigung hatte aber seinen Ursprung in der Initiative der Baptisten, die Taufgesinnten zur Einheit aufzufordern. Hier muss ein geistliches Motiv anerkannt werden. Die Motivation für die Auffassung, die Einheit der Gemeinde sei das eigentliche Thema der freikirchlichen Christen im Jahre 1937, speiste sich jedoch auch aus dem damaligen Zeiterleben. Da man die liberal-individualistische Zeit im »Dritten Reich« überwunden habe, passten die vielen Kirchen nicht mehr in den Kontext dieser Zeit – so Lange. 99 Auf allen Gebieten strebe man die Einheit an. Auch die hohe Bewertung des Prinzips der religiösen Duldsamkeit gehörte dazu. So wie im BfC von Anfang an Duldsamkeit gegenüber unterschiedlichen religiösen Erkenntnissen herrschen sollte, sollte es auch zwischen den Kirchen sein: Es sollte um Glaubens- und nicht um Erkenntniseinheit gehen. 100 Schatz spricht davon, es sollte aufgezeigt werden, dass die »freikirchlichen Christen die Unduldsamkeit« aufgegeben hätten. 101 Er bringt dann noch einen klaren politischen Akzent in die Beurteilung hinein, indem er die Meinung äußert, die Haltung des NS-Staates sei die, dass »ein getrenntes Marschieren gleichgerichteter Christen nicht mehr erwünscht« sei. Hier kann man durchaus von einem politischen Motiv sprechen: Das Streben nach der Einheit der Christen entspricht dem Streben nach der Einheit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Dabei wird eine Vermischung von religiösen, politischen und existenzsichernden Motiven deutlich; die einzelnen Aspekte können nicht säuberlich voneinander getrennt werden. 98 Christian Schatz, Rundschreiben an die ehemaligen KcG, 1. Dezember 1937, in: Kretzer, S. 128. 99 Vgl. Archiv Wiedenest, Ernst Lange, Grundlagen unserer Vereinigung, 3. Dezember 1937. 100 Ebd. 101 Hierzu und zum Folgenden Christian Schatz in Gnade und Friede 29 (1938), S. 124.
Andreas Liese: 1937 – ein Schicksalsjahr der deutschen Brüderbewegung 25 Festzuhalten bleibt, dass sich »Geschlossene« und »Offene Brüder« 1937 aufeinander zubewegt haben: Erstere erkannten die Notwendigkeit, ihre Position im Hinblick auf die Beziehungen der Gemeinden untereinander zu verändern, sie überwanden ihre Vorurteile, gingen auf die »Offenen Brüder« zu und verzichteten auf die Klärung längst vergangener Sachverhalte. Die »Offenen Brüder« ihrerseits waren bereit, das Prinzip der völligen Autonomie der Ortsgemeinden zu relativieren und Kirchenzuchthandlungen gegenseitig mehr anzuerkennen. 102 Insofern könnte das Jahr 1937 tatsächlich ein Beispiel für die Förderung der Einheit unter Christen geben. Gedruckte Quellen und Literatur Coad, F. Roy: A History of the Brethren Movement. Its Origins, its Worldwide Development and its Significance for the Present Day. Exeter 1968. Dierker, Wolfgang: Himmlers Glaubenskrieger. Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933– 1941. 2., durchgesehene Auflage. Paderborn 2003 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte; Reihe B: Forschungen, Bd. 92). Gardiner, Alfred J. (Hrsg.): Die Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Wahrheit. Kingston-on- Thames 1964. Geldbach, Erich: Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby. Wuppertal 1971. Jordy, Gerhard: Die Brüderbewegung in Deutschland. 3 Bände. Wuppertal 1979–86. Karrenberg, Kurt: »Der Freie Brüderkreis (Ein Zweig der ›Brüderbewegung‹ in Deutschland)«. In: Ulrich Kunz (Hrsg.): Viele Glieder – ein Leib. Kleinere Kirchen, Freikirchen und ähnliche Gemeinschaften in Selbstdarstellungen. Stuttgart 2 1961. S. 266–282. Kretzer, Hartmut (Hrsg.): Quellen zum Versammlungsverbot und zur Gründung des BfC. Neustadt an der Weinstraße 1987. Liese, Andreas: verboten – geduldet – verfolgt. Die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung. 2., durchgesehene Auflage. Hammerbrücke 2003. Menk, Friedhelm: Die Brüderbewegung im Dritten Reich. Das Verbot der »Christlichen Versammlung« 1937. Bielefeld 1986. Miller, Andrew: »Die Brüder« – allgemein so genannt. Eine kurze Übersicht über ihren Ursprung, ihre Entwicklung und ihr Zeugnis. Neustadt an der Weinstraße 1971. Neatby, William Blair: A History of the Plymouth Brethren. London 1901. Rowdon, Harold H.: The Origins of the Brethren 1825–1850. London 1967. Schatz, Christian: »Das erste Jahr des Bundes freikirchlicher Christen«. In: Gnade und Friede 29 (1938), S. 124–127. Strübind, Andrea: Die unfreie Freikirche. Der Bund der Baptistengemeinden im »Dritten Reich«. Neukirchen- Vluyn 1991 (Historisch-theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1). – 2., verbesserte Auflage. Wuppertal 1995. Warns, Johannes: Georg Müller und John Nelson Darby. Ein Rückblick auf den sogenannten Bethesdastreit zu Bristol im Jahre 1848. Wiedenest 1936. 102 Erklärung der ehemaligen Offenen Brüder, 1946, in: Menk, S. 193.
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