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Getrennte Brüder finden zusammen - bruederbewegung.de

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Andreas Schmidt: Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung 35<br />

wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r »offiziellen« Linie: keine Einmischung in Politik und Gesellschaft, keine Beteiligung<br />

an Wahlen, keine Mitgliedschaft in politischen Verbän<strong>de</strong>n. Zugleich kamen aber auch nationalistische<br />

Töne zum Tragen, so zu Beginn und während <strong>de</strong>s Ersten Weltkriegs, aus Anlass von nationalen Feiertagen<br />

o<strong>de</strong>r bei Jubiläen be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Staatsmänner wie Otto von Bismarck und Feldmarschall von<br />

Hin<strong>de</strong>nburg. Unter <strong>de</strong>r Schriftleitung Fritz von Kietzells bekam die Tenne ab 1928 sogar eine Rubrik<br />

»Ge<strong>de</strong>nktage«, in <strong>de</strong>r Ereignisse wie die Besetzung <strong>de</strong>s Ruhrgebiets durch die Franzosen, <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong><br />

von Brest-Litowsk o<strong>de</strong>r wichtige Schlachten im Ersten Weltkrieg gewürdigt wur<strong>de</strong>n. 12<br />

In <strong>de</strong>n späten 20er und zu Beginn <strong>de</strong>r 30er Jahre häuften sich Beiträge zu gesellschaftlichen Themen,<br />

ein Zeichen für die zunehmen<strong>de</strong> Politisierung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Bevölkerung, die auch vor <strong>de</strong>n<br />

Gemein<strong>de</strong>n nicht Halt machte. Dabei setzte man sich auch mit <strong>de</strong>m Nationalsozialismus auseinan<strong>de</strong>r<br />

und kritisierte vor allem <strong>de</strong>n Antisemitismus und das optimistische Menschenbild. Doch mit <strong>de</strong>r<br />

fortschreiten<strong>de</strong>n Popularität dieser Bewegung wur<strong>de</strong> man immer vorsichtiger – um nicht zu sagen<br />

unkritischer – in <strong>de</strong>r Beurteilung.<br />

Aus <strong>de</strong>n Briefen und Fragen <strong>de</strong>r Leser, die in <strong>de</strong>r Tenne veröffentlicht wur<strong>de</strong>n, lassen sich Rückschlüsse<br />

auf die Haltung <strong>de</strong>r Geschwister in <strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n ziehen. Dabei riefen die politischen<br />

Beiträge einerseits <strong>de</strong>n Protest <strong>de</strong>rer hervor, die entsprechend <strong>de</strong>r »offiziellen Lehre« jegliche Beschäftigung<br />

mit Politik ablehnten. An<strong>de</strong>rerseits und in zunehmen<strong>de</strong>m Maße wur<strong>de</strong>n aber auch Stimmen<br />

wie<strong>de</strong>rgegeben, welche die mangeln<strong>de</strong> Begeisterung für <strong>de</strong>n »nationalen Aufbruch« und die<br />

neutrale Haltung <strong>de</strong>r Schriftleitung kritisierten. In diesen Zuschriften wird <strong>de</strong>utlich, dass die private<br />

Beschäftigung mit Politik unter <strong>de</strong>n Geschwistern viel weiter verbreitet war, als es offiziell <strong>de</strong>n Anschein<br />

hatte. Auch die Beteiligung an Wahlen war offensichtlich für eine beträchtliche Zahl bereits<br />

selbstverständlich.<br />

Und obwohl die Schriftleitung nach wie vor starke Grün<strong>de</strong> gegen das Wählen und die Mitgliedschaft<br />

in Parteien o<strong>de</strong>r Verbän<strong>de</strong>n anführte, wuchs auch bei ihr die Toleranz gegenüber politischer<br />

und gesellschaftlicher Beteiligung von Jahr zu Jahr. Motiv dafür scheint die Anerkennung <strong>de</strong>r vorhan<strong>de</strong>nen<br />

Politisierung unter <strong>de</strong>n Geschwistern gewesen zu sein, vermischt mit <strong>de</strong>r eigenen Aufgeschlossenheit<br />

gegenüber <strong>de</strong>n aufstreben<strong>de</strong>n nationalen und nationalsozialistischen Ten<strong>de</strong>nzen, die <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>utschen Volk Ordnung im Inneren sowie neue Geltung in <strong>de</strong>r Welt versprachen.<br />

Als sich Fritz von Kietzell im Mai 1932 zu einem Artikel entschloss unter <strong>de</strong>r Überschrift »Der<br />

Nationalsozialismus und wir – eine Antwort auf viele Fragen«, war das eine Reaktion auf die Unmenge<br />

an Leserbriefen, die zu diesem Thema bei <strong>de</strong>r Redaktion eingegangen waren. 13 Kietzell übte vorsichtige<br />

Kritik, zum Beispiel an <strong>de</strong>r nationalsozialistischen Hasspropaganda, doch würdigte er auch<br />

die Be<strong>de</strong>utung dieser Bewegung als Gegengewicht zum Bolschewismus. Der Grundtenor seines Beitrags<br />

lautete aber: »Was haben wir eigentlich damit zu tun?« Dies war eine rhetorische Frage, mit <strong>de</strong>r<br />

er noch einmal <strong>de</strong>n radikalen eschatologischen Dualismus <strong>de</strong>r »<strong>Brü<strong>de</strong>r</strong>« heraufbeschwor und <strong>de</strong>mentsprechend<br />

die »Abson<strong>de</strong>rung von <strong>de</strong>r Welt« for<strong>de</strong>rte, die sich in einer ganz und gar apolitischen<br />

Haltung <strong>de</strong>r Gläubigen ausdrücken sollte.<br />

Das Spannungsfeld von »Christ und Gesellschaft« wur<strong>de</strong> also in <strong>de</strong>n Zeitschriften <strong>de</strong>r <strong>Brü<strong>de</strong>r</strong>bewegung<br />

immer wie<strong>de</strong>r thematisiert, ohne dass man sich jedoch inhaltlich gründlich mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

politischen Strömungen auseinan<strong>de</strong>rgesetzt und damit <strong>de</strong>n Lesern Orientierung geboten,<br />

geschweige <strong>de</strong>nn sie auf <strong>de</strong>n Nationalsozialismus mit seiner menschenverachten<strong>de</strong>n und antichristlichen<br />

I<strong>de</strong>ologie vorbereitet hätte. Statt<strong>de</strong>ssen schimmerte zwischen <strong>de</strong>n Zeilen <strong>de</strong>utlich die Sympathie<br />

für eine konservative, nationalistische und damit auch antikommunistische Politik durch; mitunter<br />

wur<strong>de</strong> ihr auch ganz offen das Wort gere<strong>de</strong>t. 14<br />

12 Hal<strong>de</strong>nwang, S. 51.<br />

13 Die Tenne 10 (1932), S. 149f. Siehe dazu ausführlich Liese, S. 123, und Jordy, S. 52–54.<br />

14 Nicht verschwiegen wer<strong>de</strong>n soll, dass einzelne Stimmen immer wie<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m Nationalsozialismus warnten. Am<br />

be<strong>de</strong>utendsten war dabei sicher <strong>de</strong>r Ausspruch von Rudolf Brockhaus auf <strong>de</strong>r Dillenburger Konferenz 1930: »Ich<br />

habe zu meinem Entsetzen gehört, daß manche <strong>Brü<strong>de</strong>r</strong> die NSDAP gewählt haben. Das ist doch eine ganz und gar

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