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Erinnern und Verstehen – Schwerpunkte einer nachhaltigen ...

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<strong>Erinnern</strong> lernen - Impulse aus biblisch-jüdischen<br />

Wurzeln für eine notwendige Zukunftsaufgabe<br />

Von Astrid Greve<br />

<strong>Erinnern</strong> <strong>und</strong> <strong>Verstehen</strong> – <strong>Schwerpunkte</strong> <strong>einer</strong><br />

<strong>nachhaltigen</strong> Pädagogik nach Auschwitz.<br />

Tagung der Gesellschaften für Christlich-<br />

Jüdische Zusammenarbeit Görlitz, Dresden<br />

<strong>und</strong> der Friedrich-Ebert-Stiftung, Dresden,<br />

3. – 4. 9. 2004.<br />

Das <strong>Erinnern</strong> zu lernen <strong>und</strong> eine glaubwürdige<br />

Gedächtniskultur zu gestalten ist eine der zentralen<br />

Herausforderungen unserer Zeit <strong>und</strong> nicht zu<br />

Unrecht steht sie immer wieder im Mittelpunkt<br />

gesellschaftlicher Aufmerksamkeit. Dabei gehört<br />

die Frage, wie die Geschehnisse der Schoa im<br />

Gedächtnis der kommenden Generationen verankert<br />

werden können, sicherlich ganz oben auf die<br />

Tagesordnung des beginnenden 21. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Generation<br />

der Zeitzeuginnen <strong>und</strong> Zeitzeugen, die<br />

noch aus eigener Anschauung von den Ereignissen<br />

<strong>und</strong> Verbrechen der Zeit des Nationalsozialismus<br />

erzählen können, geht ihrem Ende zu. Wie<br />

wird diese größte Menschheitskatastrophe des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts im Gedächtnis der Menschheit aufbewahrt<br />

werden?<br />

Die Fragen, wie <strong>und</strong> mit welcher Absicht die biografischen<br />

Erinnerungen auch für Nachgeborene<br />

festgehalten werden können, wie kommunikative,<br />

zurzeit noch lebendige Erinnerung in kulturelle<br />

Erinnerung transformiert werden kann, stellen<br />

sich mit Nachdruck zum gegenwärtigen Zeitpunkt.<br />

Diese zentrale Fragestellung wird begleitet durch<br />

einen ungeheuren Boom neuer Kommunikationstechniken<br />

<strong>und</strong> elektronischer Medien, die<br />

ganz neue Formen des künstlichen Gedächtnisses<br />

mit sich bringen. Wie werden sie das kulturelle<br />

Leben verändern? Ist »speichern« dasselbe wie<br />

erinnern? Oder ist es womöglich gleichbedeutend<br />

mit »vergessen«? 1<br />

Wie werden diese neuen Formen die Erinnerungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> das Gedächtnis der Menschen<br />

beeinflussen?<br />

Schließlich erscheint heute auf Gr<strong>und</strong> der Informationsüberflutung<br />

(Neil Postman) <strong>und</strong> Beschleunigung<br />

(Paul Virilio) das Vergessen häufig<br />

geradezu als Selbstschutz. Johann Baptist Metz<br />

epd-Dokumentation 3/2005 23<br />

weist gerade demgegenüber auf die Notwendigkeit<br />

<strong>einer</strong> anamnetischen Kultur hin:<br />

»Das Eingedenken fremden Leids bleibt eine fragile<br />

Kategorie in <strong>einer</strong> Zeit, in der sich die Menschen<br />

am Ende nur noch mit der Waffe des Vergessens,<br />

mit dem Schild der Amnesie gegen die<br />

immer neu hereinstürzenden Leidensgeschichten<br />

<strong>und</strong> Untaten wappnen zu können meinen: Gestern<br />

Auschwitz, heute Bosnien <strong>und</strong> Ruanda <strong>und</strong><br />

morgen?« 2<br />

Um das »richtige« <strong>Erinnern</strong>, um die Einrichtung<br />

von Gedenktagen <strong>und</strong> -orten, um ein Zuviel oder<br />

Zuwenig des <strong>Erinnern</strong>s wird gestritten wie selten<br />

zuvor - Stichworte sind Berliner Holocaust-<br />

Denkmal, bzw. inzwischen Denkmäler, Wehrmachtsausstellung,<br />

Goldhagen, Bubis-Walser-<br />

Debatte, Entschädigungszahlungen... So wichtig<br />

dieser Streit ist, so sehr er das Fragen wachhält,<br />

so wenig kann sich darin eine Gedenkkultur erschöpfen<br />

<strong>und</strong> nicht von ungefähr liegt der Verdacht<br />

nahe, dass das <strong>Erinnern</strong> jener Ereignisse,<br />

um die es geht, dabei »entsorgt« wird.<br />

Die biblische Tradition,<br />

insbesondere der Kern der<br />

hebräischen Bibel, das Deuteronomium, gilt<br />

als ein besonderes Beispiel »kultureller<br />

Memotechnik«<br />

Wie kann es gelingen, den Gefahren des Beschwörens<br />

<strong>und</strong> Ritualisierens <strong>einer</strong>seits, des Verdrängens<br />

<strong>und</strong> Vergessens andererseits zu entgehen?<br />

Wie kann authentisches, unverzwecktes <strong>Erinnern</strong><br />

gelernt werden? Ein <strong>Erinnern</strong>, das nicht in<br />

fertigen Ritualen festgelegte Verhaltensnormen<br />

vorschreibt, ein <strong>Erinnern</strong>, das uns nicht im Blick<br />

auf die Vergangenheit zur Salzsäule erstarren<br />

lässt; ein <strong>Erinnern</strong>, das sich den Opfern verpflichtet<br />

weiß - <strong>und</strong> der sich neu stellenden,<br />

schwierigen Aufgabe der Differenzierung dabei<br />

nicht ausweicht, ein <strong>Erinnern</strong>, das für unsere<br />

Zukunft wesentliche Impulse der Vergangenheit<br />

aufgreift <strong>und</strong> zum Handeln befreit?<br />

Lernen <strong>und</strong> <strong>Erinnern</strong> haben einiges gemeinsam,<br />

allemal dieses, dass sie nachhaltige Prozesse sind,<br />

die Geduld, einen langen Atem, Emotionen <strong>und</strong>

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