Erinnern und Verstehen â Schwerpunkte einer nachhaltigen ...
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Die Folgen des Vergessens der eigenen Geschichte<br />
als <strong>einer</strong> Geschichte mit Gott sind schwerwiegend<br />
- sie ziehen Unheil <strong>und</strong> Untergang nach sich,<br />
auch Gewöhnung an Ungeheuerliches - nicht als<br />
Strafe Gottes, aber als logische Konsequenz des<br />
menschlichen Handelns.<br />
Ich möchte aus dem bisherigen einige wesentliche<br />
Punkte festhalten:<br />
<strong>Erinnern</strong> ist alles andere als selbstverständlich,<br />
es muss darum gekämpft <strong>und</strong> gerungen werden;<br />
alltäglich, selbstverständlich ist das Vergessen;<br />
Eingeschärft wird vor allem ein Ereignis der<br />
Befreiung - befreiende <strong>und</strong> heilsame Erinnerungen<br />
stellen sich offenbar nicht von selbst ein, es<br />
ist notwendig, sich sehr bewusst um sie zu mühen;<br />
In Erinnerung bleiben sollen aber auch die<br />
Erfahrungen des Leids, des Unterdrückt- <strong>und</strong><br />
Fremdling-Seins: sie werden zu einem ethischen<br />
Impuls für die Zukunft; das <strong>Erinnern</strong> ringt um<br />
eine Erkenntnis, die durch die Sinne gegangen ist,<br />
weil nur sie auch zum Handeln befähigt.<br />
An dem <strong>Erinnern</strong> hängt die Zukunft, es ist<br />
notwendig gerade im Blick auf die kommenden<br />
Generationen. Die Hoffnung auf eine lebenswerte<br />
Zukunft in einem bewohnbaren Land hängt an<br />
dieser Erinnerung. Und ohne eine solche Hoffnung<br />
ist kein Schritt sinnvollen Tuns möglich.<br />
Die im jüdischen Pessachfest Jahr für Jahr wieder-geholte<br />
Erinnerung an den Auszug aus<br />
Ägypten, in welchem Ghetto auch immer gefeiert,<br />
mündet in dem Ruf: »Und nächstes Jahr im wiederaufgebauten<br />
Jerusalem.«<br />
Zwei Fragen tun sich auf:<br />
– Zum einen: Wie wird angesichts dieser lebenswichtigen<br />
Bedeutung des <strong>Erinnern</strong>s das <strong>Erinnern</strong><br />
selbst gefördert?<br />
– Zum anderen: Wenn das <strong>Erinnern</strong> insbesondere<br />
für die kommenden Generationen so wichtig ist -<br />
wie gelingt es, Erinnerung auch über Generationengrenzen<br />
hinweg weiterzugeben?<br />
Erinnerung über die Generationengrenzen<br />
hinweg<br />
Auch wenn angesichts der hebräischen Bibel<br />
geradezu von einem »Imperativ des <strong>Erinnern</strong>s«<br />
epd-Dokumentation 3/2005 25<br />
gesprochen werden kann, lässt sich das <strong>Erinnern</strong><br />
nicht einfach befehlen. Dazu ist es ein viel zu<br />
emotional besetzter Vorgang. Das wussten auch<br />
diejenigen, die die biblischen Texte verfasst haben,<br />
<strong>und</strong> so begegnen in den biblischen Texten<br />
die verschiedensten Bemühungen, die Erinnerungen<br />
in den Köpfen <strong>und</strong> Herzen zu verankern: Das<br />
tägliche Bewusstmachen <strong>und</strong> »Beherzigen« gehören<br />
dazu, so im Sch´ma Israel, wie auch Poesie<br />
<strong>und</strong> Lieder, Denkzeichen <strong>und</strong> Erinnerungszeichen,<br />
das Festhalten wichtiger Texte - die Kanonisierung<br />
- sowie Ritus <strong>und</strong> Feste. Und immer<br />
geht es um die mit den Zeichen <strong>und</strong> Symbolen<br />
verb<strong>und</strong>enen Erinnerungen - etwa wenn Josua<br />
beim Übergang über den Jordan ins gelobte Land<br />
den Auftrag erhält, Steine aus dem Wasser aufzuheben<br />
<strong>und</strong> sie auf der anderen Seite aufzustellen<br />
(Jos 4,6-7).<br />
Alle diese Formen sind sehr sinnlich-emotionale<br />
Erinnerungsstützen, immer wieder im Blick auf<br />
kommende Generationen entstanden. Sie zielen<br />
darauf, die eigene Geschichte als eine Geschichte<br />
mit Gott zu bewahren <strong>und</strong> Erinnerung so zu prägen,<br />
dass ihr die zerstörerische Macht genommen<br />
wird <strong>und</strong> sich Türen zur Zukunft öffnen. Dies ist<br />
schwere Arbeit angesichts der zahllosen Leidensgeschichten,<br />
der biblischen wie der unserer Zeit.<br />
Jede einzelne ist ein Argument gegen Gott <strong>und</strong><br />
ein Beweis für die Macht des Todes in unserer<br />
Welt. Sie auszublenden, um den eigenen Glauben<br />
zu retten, ist zynisch, sie wahrzunehmen, kann<br />
an den Rand der Verzweiflung bringen.<br />
Es geht darum, sich die Geschichte<br />
im wahrsten Sinne des Wortes zu<br />
Eigen zu machen, sie zur eigenen Geschichte<br />
werden zu lassen.<br />
In den biblischen Texten ist eine Sprache zu finden,<br />
die die Trauer über Zerstörung, Gewalt <strong>und</strong><br />
Unmenschlichkeit, die so viel Leben vernichtet,<br />
aufnimmt <strong>und</strong> dennoch den Kampf um Hoffnung<br />
<strong>und</strong> hoffnungsvolles Tun in dieser Welt nicht<br />
aufgibt.<br />
Ein weiterer Gr<strong>und</strong> für all die didaktischen Bemühungen<br />
im Zusammenhang mit dem <strong>Erinnern</strong><br />
ist eben der, dass die Erinnerungen, um die es<br />
geht - wie insbesondere der Auszug aus Ägypten -<br />
Generationengrenzen überspringen muss, sie<br />
muss zu kollektiver <strong>und</strong> darüber hinaus zu kultureller<br />
Erinnerung werden. Dies ist die schwierigste,<br />
aber zugleich die ureigenste Aufgabe dieser<br />
Erinnerung - <strong>und</strong> so muss die Didaktik die<br />
wichtigste Partnerin des <strong>Erinnern</strong>s sein. Ob es<br />
gelingt, Erfahrungen <strong>und</strong> Erkenntnisse, im bibli-