Erinnern und Verstehen â Schwerpunkte einer nachhaltigen ...
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Hinzu kommt ein Thema, bei dem man als Deutscher<br />
sehr vorsichtig <strong>und</strong> exakt in der Darstellung<br />
sein muss, um nicht missverstanden zu werden:<br />
In allen besetzten Ländern hat es auch Formen<br />
der Kollaboration gegeben. Unzweifelhaft war der<br />
Tod »ein Meister aus Deutschland«, wie Paul<br />
Celan es genannt hat. Jedoch hätte die Politik des<br />
Völker- <strong>und</strong> Massenmordens ohne die Hilfe in<br />
den besetzten Ländern nicht so schnell <strong>und</strong> umfassend<br />
erfolgen können.<br />
Ich will auf diesen Umstand auf keinen Fall hinweisen,<br />
um in irgend<strong>einer</strong> Form die Verantwortung,<br />
die wir in Deutschland für die Aufarbeitung<br />
der NS-Verbrechen haben, auf andere zu übertragen<br />
oder abzuschwächen. Jedoch erscheint es mir<br />
im Zusammenhang mit den Überlegungen zur<br />
internationalen Zusammenarbeit heute wichtig,<br />
auf diese Problematik hinzuweisen. Die Verdrängung<br />
dieses Themas hat Rückwirkungen auf die<br />
Wahrnehmung der Erinnerungskultur in<br />
Deutschland.<br />
In Deutschland steht es außer Frage, dass man<br />
sich eindeutig mit der eigenen Täterschaft in der<br />
Geschichte beschäftigen muss. Wenn auch im<br />
genau entgegengesetzten Sinn der eindeutigen<br />
Beschäftigung aus der Opferperspektive hat nur<br />
Israel eine solche Eindeutigkeit in der Auseinandersetzung<br />
mit den NS-Verbrechen aufzuweisen.<br />
Alle anderen Länder haben das Problem, dass sie<br />
im Zweiten Weltkrieg von Deutschen überfallen<br />
<strong>und</strong> besetzt wurden, somit Opfer sind. Gleichzeitig<br />
hat es aber auch Kollaborationen gegeben.<br />
Auch in den besetzten Ländern war man Mittäter.<br />
Selbst in Ländern, die nicht besetzt wurden, wie<br />
etwa Großbritannien oder den USA wird die Frage,<br />
warum man diese Verbrechen zugelassen hat,<br />
angefangen von dem Einreiseverbot für vertriebene<br />
Juden bis zur Nichtbombardierung der Völkermordstätte<br />
in Auschwitz-Birkenau immer wieder<br />
aufgeworfen.<br />
II.<br />
Wie ich bereits angedeutet habe, ist es wichtig,<br />
die Geschichte der Besatzung <strong>und</strong> NS-Verfolgung<br />
sowie den Umgang damit nach Kriegsende genau<br />
zu beschreiben, um die Unterschiede verstehen<br />
zu können. Denn obwohl die Geschichte der NS-<br />
Verfolgung eine internationale, zumindest europaweite<br />
war, bilden für die verschiedenen Formen<br />
der Aufarbeitung die Grenzen der Nationen<br />
die wichtigste Zäsur. Um die Dimensionen zu<br />
ermessen, die die Unterschiede zwischen den<br />
epd-Dokumentation 3/2005 55<br />
Ländern bestimmen, will ich hier nur ein paar<br />
oberflächliche Hinweise geben:<br />
Österreich konnte nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
auf der Legende, wegen des Anschlusses an das<br />
Deutsche Reich als »erstes Opfer« der NS-<br />
Okkupationspolitik zu sein, jahrzehntelang die<br />
Auseinandersetzung mit der Verstrickung der<br />
eigenen Gesellschaft in die NS-Verbrechenspolitik<br />
<strong>und</strong> den Austro-Faschismus vermeiden. Auch<br />
heute wird diese Staatsräson kaum thematisiert.<br />
In Italien hat seit 1922 ein faschistisches Regime<br />
geherrscht. Der Umstand, dass Italien im Herbst<br />
1943 von Deutschland besetzt wurde, hat dazu<br />
geführt, dass zwar der Widerstand, die Verfolgung<br />
<strong>und</strong> die Deportationen in der deutschen<br />
Besatzungszeit ausführlich dargestellt werden,<br />
aber eine Auseinandersetzung mit dem italienischen<br />
Faschismus kaum stattfindet.<br />
In Kroatien haben Angehörige der Ustascha die<br />
Ermordung von zehntausenden Serben zu verantworten.<br />
Nach Kriegsende wurde andererseits<br />
eine große Zahl kroatischer Flüchtlinge, u.a. auf<br />
dem Gebiet des heutigen Sloweniens, ermordet.<br />
Im Balkankrieg wurden wiederum nach 1993<br />
zahlreiche Kroaten von Serben getötet. Vor diesem<br />
Hintergr<strong>und</strong> in dem jungen Staat Kroatien<br />
eine Gedenkstätte neu zu planen, die sich auch<br />
mit den Tätern auseinander setzt, ist sehr problematisch.<br />
Zumal eine Partei, die das politische<br />
Programm der Ustascha heute weiterführt, 30 %<br />
der Wählerstimmen erlangt hat.<br />
Ohne den jahrzehntelangen Protest<br />
<strong>und</strong> die ständigen Forderungen für<br />
angemessene Gedenkorte durch die Überlebendenorganisationen,<br />
die im Ausland viel<br />
stärkeres Gehör gef<strong>und</strong>en haben als in<br />
Deutschland, wäre der Erfolg der »Gedenkstättenbewegung«<br />
ab den frühen achtziger<br />
Jahren <strong>und</strong>enkbar.<br />
In Frankreich wird die Geschichte der Résistance<br />
immer noch gesellschaftlich sehr hoch geehrt. Es<br />
gibt zahlreiche regionale Zentren mit Museen <strong>und</strong><br />
Dokumentationsstätten, in denen die Überlebenden<br />
bisher die inhaltliche Ausrichtung bestimmen<br />
konnten. Andere Orte, wie z.B. das Durchgangslager<br />
Drancy oder Bobiny bei Paris, der Bahnhof<br />
des Abtransports der meisten Juden aus Frankreich,<br />
werden dagegen sträflich vernachlässigt.<br />
An diesen Orten haben französische Behörden<br />
kollaboriert.<br />
Aber auch in Deutschland sollte man vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong> der verschiedenen Aufarbeitungen in