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Erinnern und Verstehen – Schwerpunkte einer nachhaltigen ...

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nierungsRat der Christen <strong>und</strong> Juden <strong>und</strong> die in<br />

ihm zusammengeschlossenen Gesellschaften für<br />

Christlich-Jüdische Zusammenarbeit daran, dass<br />

die Form, die geschaffen worden ist, nicht leer<br />

bleibt. Er gedenkt mit Trauer der zahllosen Menschen,<br />

die dem Hass innerhalb Deutschlands <strong>und</strong><br />

in der Welt zum Opfer gefallen sind, <strong>und</strong> er ruft<br />

alle Menschen guten Willens auf, sich bewusst zu<br />

sein, dass nur durch gegenseitige Achtung <strong>und</strong><br />

gegenseitiges <strong>Verstehen</strong> neues Leben aus den<br />

Trümmern entstehen kann«. 6<br />

Damit erinnert der DKR an die zahllosen Menschen,<br />

die dem Hass zum Opfer fielen, <strong>und</strong> steht<br />

für den moralischen Anspruch »nach Antworten<br />

auf die Fragen zu suchen, die durch die Verbrechen<br />

des Dritten Reiches aufgeworfen wurden«. 7<br />

Welche Konsequenzen engagierte Christen <strong>und</strong><br />

Juden in den GCJZ <strong>und</strong> in den Erzieherausschüssen<br />

8<br />

als Herausforderung für verantwortliches<br />

Handeln zu einem Neuanfang Deutschlands unternommen<br />

haben, soll im Folgenden beschrieben<br />

werden.<br />

Erzieherausschuss<br />

Franz Böhm, katholischer Vorsitzender der<br />

Frankfurter GCJZ <strong>und</strong> CDU- B<strong>und</strong>estagsabgeordneter,<br />

bemerkte in seinem Vortrag »Antisemitis-<br />

mus« 9<br />

1958, »...dass die Auseinandersetzung mit<br />

dem Nationalsozialismus überhaupt noch nicht<br />

begonnen habe...« weiter heißt es: »...Wir sind ihr<br />

bisher aus dem Weg gegangen. Viele wollen sie<br />

überhaupt nicht.« Dazu berichtet die Süddeutsche<br />

Zeitung vom 17. März 1958: »Auf dem Münchner<br />

Kongress wurde immer wieder Angst spürbar,<br />

Angst vor dem Totschweigen... Der Gegenstand<br />

ihrer Angst ließe sich am besten in dem indischen<br />

Weisheitsspruch fassen, den <strong>einer</strong> der Redner<br />

zitierte: ‚Jene, die sich der Vergangenheit nicht<br />

erinnern wollen, sind verurteilt, sie zu wiederholen‘.«<br />

10<br />

August Vetter, ein weiterer Referent der Veranstaltung,<br />

ging u.a. auf die psychotherapeutische<br />

Behandlungspraxis ein, indem er deutlich machte,<br />

»...dass eine bloße Bewusstmachung des hinter<br />

uns liegenden Lebens zu s<strong>einer</strong> Aneignung<br />

<strong>und</strong> heilsamen Einverleibung nicht ausreicht. Es<br />

bedarf dazu der selbstverantwortlichen Auseinandersetzung<br />

mit dem Erlebten...«. 11<br />

Vielen Teilnehmern der Erziehertagung des DKR,<br />

die zum Thema »Die Vergangenheit als Aufgabe«<br />

1958 nach München kamen, erging es ähnlich.<br />

epd-Dokumentation 3/2005 7<br />

Sie spürten, dass die deutsche Bevölkerung sich<br />

von der Vergangenheit lossagen wollte, ohne die<br />

jüngste Geschichte von NS-Verbrechen <strong>und</strong> den<br />

Völkermord in ihrer Vielfältigkeit verarbeiten zu<br />

wollen. Viele weigerten sich, so der Tenor der<br />

Veranstaltung, zuzugeben, wer als Urheber millionenfachen<br />

Leids, das über ungezählte Völker<br />

kam, den Anfang gemacht hat.<br />

Nachdenken über den Holocaust<br />

heißt u.a. der Pädagogik <strong>und</strong> der<br />

Theologie vor Auschwitz nachzuspüren,<br />

heißt, sich der 2000-jährigen Geschichte des<br />

Antijudaismus zu erinnern.<br />

Der Historiker Michael Fre<strong>und</strong> formulierte 1958<br />

im Sonntagsblatt: »Man werfe es niemandem vor,<br />

dass er 1933 nicht wusste, was er 1958 weiß,<br />

wissen kann oder wissen muss. Aber man erlaube<br />

es auch niemandem, 1958 nicht mehr zu wissen,<br />

als er 1933 wusste.« 12<br />

Dazu nochmals die SZ: »Wir können uns weder<br />

loskaufen, noch mit <strong>einer</strong> verwaschenen Toleranz-Idee<br />

begnügen. Als voriges Jahr über tausend<br />

Jugendliche in das ehemalige Konzentrationslager<br />

Bergen-Belsen pilgerten, um an einem<br />

Massengrab Blumen für »ihre« Anne Frank niederzulegen,<br />

schrieb eine dänische Zeitung: ‚Dieser<br />

Kinderkreuzzug gegen die Vergangenheit ist<br />

ein größeres W<strong>und</strong>er als Erhards Wirtschaftsw<strong>und</strong>er.‘<br />

Eine solche Tat spiegelt freilich nicht die<br />

ganze Wirklichkeit. Erst wenn das Vergessenwollen<br />

überw<strong>und</strong>en ist, gelingt die Heilung von<br />

innen.« 13<br />

Dieser Faden der »Vergangenheitsbewältigung«<br />

<strong>und</strong> »des Nicht-vergessen-Dürfens« zieht sich<br />

durch die Geschichte des Erzieherausschusses,<br />

der sich zwischen 1949 <strong>und</strong> 1975 in unterschiedlichen<br />

Facetten immer wieder damit beschäftigte.<br />

Dann ein Jahr später, auf der Erzieherkonferenz<br />

in Wiesbaden 1959, hat Theodor W. Adorno den<br />

Diskussionsprozess des Erzieherausschusses der<br />

letzten Jahre aufgegriffen <strong>und</strong> zum Thema »Was<br />

bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit« 14 gesprochen.<br />

In seinen Ausführungen griff er die<br />

»Schlussstrichthematik« <strong>und</strong> des sich damit verb<strong>und</strong>enen<br />

Nicht-erinnern-Wollens der Bevölkerung<br />

auf, indem er feststellte, dass »das Grauen<br />

der Vergangenheit verharmlost wird zur bloßen<br />

Einbildung derer, die sich davon betroffen fühlen«.<br />

Und weiter sagte er »die Ermordeten sollen<br />

noch um das einzige betrogen werden, was unsere<br />

Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis«.<br />

15

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