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Erinnern und Verstehen – Schwerpunkte einer nachhaltigen ...

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56 3/2005 epd-Dokumentation<br />

den beiden Nachfolgestaaten des NS-Reiches über<br />

die Aspekte der Rezeption genauer nachdenken<br />

<strong>und</strong> die Unterschiede - <strong>und</strong> Gemeinsamkeiten -<br />

viel stärker thematisieren, als es bisher geschehen<br />

ist. Durch vier Jahrzehnte Geschichtsvermittlung<br />

in zwei unterschiedlichen Gesellschaftssystemen<br />

sind unterschiedliche Zugänge zu dieser Zeitgeschichte<br />

entstanden. In Westdeutschland war ab<br />

dem Beginn des Kalten Krieges zunächst eine<br />

Apologetik der NS-Verbrechen dominant, die<br />

zudem das Gedenken an die deutschen Opfer -<br />

Wehrmachtssoldaten, Bombenopfer, Flüchtlinge<br />

<strong>und</strong> Vertriebene - in das Zentrum gestellt hat.<br />

Dies hat sich erst vor gut 20 Jahren radikal geändert.<br />

In der Zwischenzeit hat sich eine Erinnerungskultur<br />

herausgebildet, die auf »Gegendenkmälern«<br />

1 <strong>und</strong> damit <strong>einer</strong> gesellschaftskritischen<br />

Form der Aufarbeitung des NS-Massenmordes<br />

basiert.<br />

Ohne den jahrzehntelangen Protest <strong>und</strong> die ständigen<br />

Forderungen für angemessene Gedenkorte<br />

durch die Überlebendenorganisationen, die im<br />

Ausland viel stärkeres Gehör gef<strong>und</strong>en haben als<br />

in Deutschland, wäre der Erfolg der »Gedenkstättenbewegung«<br />

ab den frühen achtziger Jahren<br />

<strong>und</strong>enkbar. Auch auf diesen internationalen Zusammenhang<br />

muss man immer wieder verweisen.<br />

In der DDR wurde die Darstellung des Widerstands<br />

gegen den deutschen Faschismus als<br />

ideologische Gr<strong>und</strong>lage für den neu gegründeten<br />

Staat <strong>und</strong> seine sozialistische Gesellschaftsordnung<br />

genutzt. Nicht gesellschaftskritisch, sondern<br />

als ideologische Gr<strong>und</strong>lage der neuen Gesellschaftsform<br />

in der DDR wurde die Zeit der NS-<br />

Verfolgung behandelt. Dies hat zu <strong>einer</strong> entsprechenden<br />

Politisierung der Geschichtsdarstellung<br />

geführt. Der internationale Aspekt der Anlehnung<br />

an die Sowjetideologie nach dem Motto »Von der<br />

Sowjetunion lernen - heißt siegen lernen« dazu<br />

geführt, dass die deutsche Verantwortung für die<br />

NS-Verbrechen verdrängt wurde.<br />

In den Gedenkstätten auf dem Gebiet der neuen<br />

B<strong>und</strong>esländer wird auch diese Nachgeschichte in<br />

den nunmehr neu entstandenen Ausstellungen<br />

thematisiert.<br />

Mit dem Anschluss der DDR an den Geltungsbereich<br />

des Gr<strong>und</strong>gesetzes wurden plötzlich zwei<br />

gr<strong>und</strong>verschiedene Formen der Darstellung der<br />

NS-Geschichte <strong>und</strong> ihrer Verbrechen, die in zwei<br />

eigenständigen Staaten entstanden waren, im<br />

Rahmen <strong>einer</strong> Nation vereint. Die besonderen<br />

Inhalte des DDR-Antifaschismus wurde nach der<br />

deutschen Einheit als »verordneter Antifaschismus«<br />

diffamiert. Zwar hat sich die westdeutsche<br />

Form der Erinnerungspolitik gesamtdeutsch<br />

durchgesetzt, dennoch sind zu wenig Bemühungen<br />

unternommen worden, sich in breiterer gesellschaftlicher<br />

Form mit den bis dahin unterschiedlichen<br />

Formen der Aufarbeitung der NS-<br />

Zeit auseinander zu setzen <strong>und</strong> beim Zusammenwachsen<br />

der beiden Gesellschaften zu bearbeiten.<br />

III.<br />

Mit dem im letzten Abschnitt behandelten unterschiedlichen<br />

Umgang mit den NS-Verbrechen<br />

nach der Befreiung wird deutlich, dass sich Geschichte<br />

nicht nur auf Vergangenheit beschränkt,<br />

worauf u.a. Bodo von Borries hinweist: »Im Geschichtsbewusstsein<br />

werden gedeutete Vergangenheitsfragmente<br />

zugleich präsent <strong>und</strong> zukunftsrelevant<br />

gehalten. Jede Verkürzung von Geschichte<br />

auf Vergangenheit ist erkenntnislogisch<br />

<strong>und</strong> psychologisch unsinnig. ... Geschichtsbewusstsein<br />

meint einen komplexen Zusammenhang<br />

von gedeuteter Vergangenheit, wahrgenommener<br />

Gegenwart <strong>und</strong> erwarteter Zukunft.« 2<br />

Gr<strong>und</strong>sätzlich wird Geschichtsbewusstsein nur<br />

perspektivisch <strong>und</strong> damit kulturspezifisch wahrgenommen.<br />

Bodo von Borries hat darauf hingewiesen:<br />

»Das Ensemble, das Ganze strukturiert<br />

die Teile bereits vor.« 3<br />

In allen Ausstellungen, die in den<br />

letzten Jahren an Gedenkstätten neu<br />

entstanden oder in Planung sind, werden<br />

die Täter dargestellt. Im Unterschied zu den<br />

ersten Ausstellungen, in denen die NS-Täter<br />

als Biester dargestellt werden, wird nun<br />

versucht, durch eine sozialhistorische Darstellung<br />

eine Antwort auf die Frage zu finden,<br />

wie »ganz normale Männer« zu Massenmördern<br />

werden konnten.<br />

Der Rahmen für dieses Ganze, kulturspezifische<br />

ist im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit<br />

der Erinnerung an die NS-Zeit die Nation:« In der<br />

Erinnerung zeigt sich nicht die Vergangenheit des<br />

Vergangenen, sondern die Vergangenheit der<br />

Gegenwart, als das, was unter gegenwärtigen<br />

Bedingungen von der Vergangenheit kollektiv<br />

erinnert wird. Kollektive Erinnerung ist politisch,<br />

wenn sie nicht belanglos ist. Das Gedächtnis des<br />

Holocaust ist dabei in besonderer Weise der nationalen<br />

Selbstlegitimation ausgesetzt. ... In der<br />

Praxis des <strong>Erinnern</strong>s <strong>und</strong> Gedenkens kommt zum

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