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Erinnern und Verstehen – Schwerpunkte einer nachhaltigen ...

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60 3/2005 epd-Dokumentation<br />

schichten aufzugliedern <strong>und</strong> Objekte viel häufiger<br />

<strong>und</strong> bewusster in Ausstellungen einzubeziehen.<br />

Inhaltlich sinnvolle Anregungen kann man durch<br />

den Diskurs mit Kollegen aus den USA ziehen.<br />

Die Gestaltung von Ausstellungen, inszenatorische<br />

Darstellungsformen <strong>und</strong> die Verknüpfung<br />

von historischem Lernen <strong>und</strong> moralischer Botschaft<br />

geben Anlass, über Möglichkeiten der<br />

Übertragbarkeit nachzudenken.<br />

V.<br />

Auf der anderen Seite bin ich aber immer wieder<br />

erstaunt, wie unreflektiert Ansätze aus den USA<br />

in Deutschland aufgegriffen werden. Dabei spielt<br />

es kaum eine Rolle, wie sinnvoll diese sind oder<br />

ob es nicht auch in Deutschland gute Beispiele<br />

der Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung<br />

gibt, an die man besser anknüpfen sollte.<br />

Ein Beispiel aus dem Landkreis Oberhavel, dem<br />

einzigen Landkreis in Deutschland, in dessen<br />

geographischen Grenzen mit Sachsenhausen <strong>und</strong><br />

Ravensbrück zwei Gedenkstätten an Orten von<br />

KZ liegen, soll dies illustrieren.<br />

Die Vorsitzende des Kreiselternbeirates hat von<br />

dem »paper clip« (Büroklammer) Projekt in der<br />

Middle School der Ortschaft Whitwell im B<strong>und</strong>esstaat<br />

Tennessee gehört. Dort haben Schüler einen<br />

alten Güterwaggon der Reichsbahn im Schulhof<br />

aufgestellt <strong>und</strong> wollen mit dem Sammeln von<br />

Büroklammern an die ermordeten Juden erinnern.<br />

Eine weitere Motivation, die Klammern zu<br />

sammeln, war für die amerikanischen Lehrer <strong>und</strong><br />

Schüler die Nutzung von Büroklammern am Kragenrevers<br />

durch die Norweger als Zeichen des<br />

Widerstands gegen die Nazi-Besatzung. Sehr viele<br />

Einzelpersonen <strong>und</strong> Gruppen haben sich der Idee<br />

angeschlossen, so dass 2004, nach drei Jahren<br />

des Sammelns, bereits 32 Millionen Klammern<br />

zusammenkamen.<br />

Die Oberhaveler Kreiselternvorsitzende war von<br />

dem Projekt so begeistert, dass sie eine Gruppe<br />

von Lehrern <strong>und</strong> Schülern aus Tennessee eingeladen<br />

<strong>und</strong> für die Kostenübernahme viele Sponsoren<br />

gef<strong>und</strong>en hat. Ob dieses Projekt wirklich pädagogisch<br />

so sinnvoll ist, darf bezweifelt werden.<br />

Mit dem Sammeln von Büroklammern werden die<br />

Menschen nicht ihrer Anonymität enthoben. Warum<br />

jetzt 32 Millionen Klammern in dem Güterwaggon<br />

liegen <strong>und</strong> welchen historischen Bezug<br />

diese Anzahl hat, wird nicht erklärt. Eventuell<br />

kann die aktive Handlung des Sammelns <strong>und</strong><br />

Verschickens einen Anstoß zur Auseinandersetzung<br />

mit dem Thema sein. Sicherlich hat der<br />

internationale Dialog <strong>und</strong> der Besuch verschiedene<br />

Anreize zum Lernen <strong>und</strong> <strong>Verstehen</strong> geschaffen.<br />

In der Oranienburger Presse wurde häufig<br />

<strong>und</strong> ausführlich über den Besuch der Amerikaner<br />

berichtet. In einem fünfspaltigen Leserbrief <strong>einer</strong><br />

Schülerin des Hedwig-Bollhagen-Gymnasiums in<br />

Velten ist u.a. zu lesen: Ȇber sechs Millionen<br />

Menschen fielen dem Nationalsozialismus unschuldig<br />

zum Opfer. ...« 20 So richtig es auch ist,<br />

dass die Schülerin über die Mordaktionen der<br />

Nazis empört ist, so sehr kommt in diesem Satz<br />

die Gefahr <strong>einer</strong> solchen verkürzten Wahrnehmung<br />

der NS-Geschichte zum Ausdruck: ausschließlich<br />

die Juden werden als Opfer des Nationalsozialismus<br />

wahrgenommen.<br />

Die beiden großen Gedenkstätten im Landkreis<br />

bieten vielfältige Bildungsangebote. Das Land<br />

Brandenburg hat Gedenkstättenlehrer freigestellt,<br />

die Schulklassen bei einem Gedenkstättenbesuch<br />

vorbereiten <strong>und</strong> beraten sollen. Diese Angebote<br />

werden weit weniger enthusiastisch aufgenommen<br />

als das Projekt aus Tennessee.<br />

Ähnlich wie mit der »Amerikanisierung<br />

des Holocaust« wird in<br />

Europa mit der Entwicklung der Nutzung<br />

der Holocaust-Education in Richtung <strong>einer</strong><br />

universellen Menschenrechtsideologie eine<br />

Politisierung zu aktuellem Nutzen betrieben.<br />

Die Beschäftigung mit der NS-Geschichte wird<br />

durch die Politik <strong>und</strong> Medien, nicht zuletzt durch<br />

familiäre Tradition aber auch durch die Schulbücher<br />

<strong>und</strong> dem mit ihrer Hilfe durchgeführten<br />

Unterricht immer stärker auf die Verfolgungsgeschichte<br />

der Juden in Europa konzentriert. Die<br />

mediale Dominanz, die von den USA aus auch<br />

Europa bestimmt, trägt hieran einen großen Anteil.<br />

Dies hat 1978 mit der Filmserie »Holocaust«<br />

begonnen. Auch das riesige Interesse an dem<br />

Film »Schindlers Liste« 1994 ist ein weiterer Ausdruck<br />

dieser inhaltlichen Ausrichtung.<br />

In dieser medialen Aufbereitung, die bereitwillig<br />

von den audiovisuellen Medien in Deutschland<br />

übernommen wird, wird die NS-Geschichte immer<br />

stärker emotional abgebildet. Die zunehmende<br />

Darstellung von Biografien führt ebenso dazu,<br />

dass man sich der NS-Verbrechen aus der Sicht<br />

einzelner Opfer nähert. Die einzelne Leidensgeschichte<br />

führt zwangsläufig dazu, dass die historischen<br />

Zusammenhänge immer weniger bekannt<br />

sind <strong>und</strong> man sich mit dem beschriebenen Leid

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