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Erinnern und Verstehen – Schwerpunkte einer nachhaltigen ...

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Die große Bedeutung der Holocaust-Darstellung<br />

für die amerikanische Politik wird darin deutlich,<br />

dass bei der Vorbereitung von Kriegen in den<br />

letzten Jahren, insbesondere im ehemaligen Jugoslawien<br />

<strong>und</strong> im zweiten Irakkrieg, moralische<br />

Begründungen aus der Warnung vor <strong>einer</strong> Wiederholung<br />

des Holocaust abgeleitet wurden. Diese<br />

These von Gerd Steffens 13 wurde mir in vertraulichen<br />

Gesprächen von Museumsmitarbeitern zumindest<br />

hinsichtlich des Nato-Einsatzes im Kosovo<br />

bestätigt. Das Foreign Office hat sich im Vorfeld<br />

mit dem Museum beraten, um für die<br />

Kriegsführung eine entsprechende moralische<br />

Argumentation zu entwickeln.<br />

Auch James Young 14 ist der Auffassung, dass es<br />

ohne eine spezielle amerikanische Begründung,<br />

die in dem Gegensatzpaar amerikanische Demokratie<br />

<strong>und</strong> Holocaust liegt, nicht möglich gewesen<br />

wäre, das US Holocaust Memorial Museum unmittelbar<br />

an der Mall in Washington DC zu errichten.<br />

Als Quintessenz kann man festhalten, dass mit<br />

der »Holocaust-Education« der nationalsozialistische<br />

Judenmord weltweit zum Symbol des Bösen<br />

schlechthin geworden ist. Wenn dabei auch die<br />

historischen Fakten häufig vernachlässigt werden<br />

<strong>und</strong> die sich aus der Beschäftigung mit der Geschichte<br />

ergebenden Fragen eher menschheitsgeschichtlich<br />

als bezogen auf die deutsche Geschichte<br />

gestellt werden, kann Deutschland dennoch<br />

die damit verb<strong>und</strong>ene Stigmatisierung nicht<br />

vollständig ignorieren.<br />

Die Amerikanisierung des Holocaust führt zu<br />

<strong>einer</strong> Personalisierung von Geschichte, in der es<br />

wichtig ist, Gefühle zu thematisieren <strong>und</strong> Überlebende<br />

als Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen,<br />

wie Heike Deckert-Peaceman bei ihrer Untersuchung<br />

von Schulunterricht zum Thema Holocaust<br />

in den USA darstellt. 15<br />

Ich selbst kann mich an ein Beispiel <strong>einer</strong> Unterrichtseinheit<br />

in einem Holocaust-Center in Chicago<br />

erinnern, die ich Anfang der neunziger Jahre<br />

miterlebt habe: Ein Überlebender der Shoa zeigt<br />

Schulkindern aus der Nachbarschaft, die zumeist<br />

aus afroamerikanischen <strong>und</strong> hispanischen Familien<br />

kamen, seinen in Auschwitz tätowierten linken<br />

Unterarm <strong>und</strong> erklärt, wie schrecklich es dort<br />

war. Über irgendwelche historischen Zusammenhänge,<br />

die für diese etwa zehn Jahre alten Kinder<br />

schwer erklärbar sind, wurde nicht aufgeklärt.<br />

Die ausdrückliche Message der amerikanischen<br />

Holocaust-Erziehung ist, dass man Rassismus an<br />

epd-Dokumentation 3/2005 59<br />

der Wurzel bekämpfen muss. Wenn man das<br />

nicht tut, kann es dazu führen, dass »die Anderen«<br />

vielleicht in der Gaskammer ermordet werden.<br />

»This distorted historical assumption is necessary<br />

in order to shape the main motive of Holocaust-Education<br />

- teaching the Holocaust as a<br />

moral lesson.« 16<br />

Dieser Ansatz zur Darstellung des Judenmordes<br />

hat auch im US Holocaust Museum Niederschlag<br />

gef<strong>und</strong>en. Im ersten Stock der Ausstellung werden<br />

noch einige Täter erwähnt, danach wird ausschließlich<br />

die Empathie mit den Opfern in den<br />

Vordergr<strong>und</strong> der Darstellung gerückt. Es wird in<br />

der gesamten Ausstellung keine einzige Nazi-<br />

Organisation in ihrer Funktionsweise erklärt. 17<br />

Als Quintessenz kann man<br />

festhalten, dass mit der »Holocaust-<br />

Education« der nationalsozialistische Judenmord<br />

weltweit zum Symbol des Bösen<br />

schlechthin geworden ist.<br />

Das Holocaust Museum soll ein »erzählendes<br />

Geschichtsmuseum« sein. 18<br />

Neuartig daran ist,<br />

dass die Kommunikation mit den Besuchern für<br />

wichtiger bewertet wird als die Orientierung an<br />

der Sammlung als Leitlinie für die Ausstellung.<br />

Da der Besucher durch den Aufenthalt im Holocaust-Museum<br />

eine mentale <strong>und</strong> moralische<br />

Transformation erfahren soll, ist die affektive<br />

Wirkung der Ausstellung wichtiger als die rein<br />

kognitive Aufklärung. So heißt es in <strong>einer</strong> Selbstdarstellung<br />

des Museums:<br />

»A well constructed narrative exhibition affects<br />

visitors not only intellectually but also emotionally;<br />

it arouses processes of identification. Visitors<br />

project themselves into the story and thus<br />

experience it like insiders while at the same time<br />

remaining in a distance, with the intellectual<br />

perspective of outsider.« 19<br />

Ein zentraler Faktor der Erzählstruktur ist die<br />

potenzielle Identifikation des Rezipienten mit den<br />

Protagonisten der Ausstellung - den verfolgten<br />

Juden.<br />

Wenn die inhaltliche Ausrichtung des US Holocaust<br />

Museums in Deutschland keinen Sinn machen<br />

würde, so hat diese neue Form der Darstellung,<br />

wesentlich stärker auf die Wirkung von<br />

Objekten <strong>und</strong> Inszenierungen zu setzen, große<br />

Auswirkungen auf nachfolgende Ausstellungen in<br />

der ganzen Welt, auch in Deutschland gehabt.<br />

Seither ist es auch hier zu Lande möglich, die<br />

Geschichtsdarstellungen mehr in einzelne Ge-

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