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Erinnern und Verstehen – Schwerpunkte einer nachhaltigen ...

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8 3/2005 epd-Dokumentation<br />

Vor dem Hintergr<strong>und</strong> des Nicht-erinnern-Wollens<br />

<strong>und</strong> des alltäglichen Antisemitismus in weiten<br />

Teilen der Bevölkerung 16 erinnert Adorno in seinem<br />

Vortrag daran, dass »der Nationalismus<br />

nach-lebt, <strong>und</strong> bis heute wissen wir nicht, ob<br />

bloß als Gespenst dessen, was so ungeheuerlich<br />

war, dass es am eigenen Tode noch nicht starb,<br />

oder ob es gar nicht erst zum Tode kam; ob die<br />

Bereitschaft zum Unsächlichen fortwest (fortwirkt)<br />

in den Menschen wie in den Verhältnissen,<br />

die sie umklammern« 17 fortbesteht.<br />

Bereits acht Jahre zuvor, 1951, kam das Thema<br />

während der Erziehertagung »Analyse <strong>und</strong> Diagnose<br />

- was ist zur Überwindung der Vorurteile<br />

bisher geschehen <strong>und</strong> was kann in Zukunft noch<br />

getan werden?« in <strong>einer</strong> Arbeitsgruppe zum Thema<br />

»Bekämpfung des neuen Nationalismus in der<br />

Schule« zur Sprache. Im Protokoll heißt es: »Die<br />

älteren Lehrer lehren immer noch in der alten<br />

Weise, die von dem früheren autoritären System<br />

herkommt«. Und an <strong>einer</strong> anderen Stelle sprechen<br />

Teilnehmer davon, dass »bei einem großen Teil<br />

wieder eingestellter politisch betroffener Lehrkräfte<br />

lässt sich beobachten, wie sich in geradezu<br />

verblüffender Bestätigung der Ausführungen von<br />

Adorno 18<br />

über den Komplex der verleugneten<br />

Schuld, die Vorstellung des unschuldig erlittenen<br />

Unrechts mit unverrückbarer Hartnäckigkeit festgesetzt<br />

hat«. 19<br />

Folgerichtig wird von den Mitgliedern<br />

der Arbeitsgruppe festgehalten, »es besteht<br />

die Gefahr, dass ein großer Teil der Jugend im<br />

neonazistischen Sinne beeinflusst wird, weil nach<br />

Überzeugung des Ausschusses ein hoher Prozentsatz<br />

besonders der älteren Lehrer über Ressentiments<br />

<strong>und</strong> Vorurteile nicht hinwegkommt«. 20<br />

Erst wenn das Vergessenwollen<br />

überw<strong>und</strong>en ist, gelingt die Heilung<br />

von innen.<br />

Ein Jahr später, 1952, auf der Erziehertagung<br />

»Rasse <strong>und</strong> Erziehung«, sprach Professor Saller<br />

davon, dass »die alten nationalsozialistischen<br />

Thesen vielfach weiterbestehen <strong>und</strong> die Atmosphäre<br />

vergiften«. 21 Dazu ein Beispiel: »Wenn<br />

man irgendwo zu <strong>einer</strong> Diskussion gerade der<br />

Judenfrage kommt, muss man erfahren, dass<br />

überall im Volk ... die Rassenfrage nach wie vor<br />

mit den alten unbedachten Schlagworten bestritten<br />

wird... Doch gilt das nicht nur für die Judenfrage<br />

als spezielles Problem, sondern für die Frage<br />

des Zusammenlebens der Völker <strong>und</strong> Rassen<br />

überhaupt«. 22<br />

Im gleichen Jahr stellt B<strong>und</strong>espräsident Theodor<br />

Heuss in s<strong>einer</strong> Wiesbadener Rede vor der GCJZ<br />

1952 fest: »Wir dürfen nicht einfach vergessen,<br />

dürfen auch nicht Dinge vergessen, die die Menschen<br />

gerne vergessen möchten, weil das so angenehm<br />

ist. Wir dürfen nicht vergessen, die<br />

Nürnberger Gesetze, den Judenstern, die Synagogenbrände,<br />

den Abtransport von jüdischen Menschen<br />

in die Fremde, in das Unglück, in den Tod.<br />

Das sind Tatbestände, die wir nicht vergessen<br />

dürfen, weil wir es uns nicht bequem machen<br />

dürfen.« 23<br />

Neben den antijüdischen Vorurteilen in der Bevölkerung,<br />

die sich auch über einen Teil der Lehrerschaft<br />

erstrecken, kam hinzu, dass Schüler die<br />

unverarbeitete Vergangenheit der Eltern mit sich<br />

herumtragen <strong>und</strong> ihre eigene Zeit in der HJ romantisch<br />

verklären. So heißt es in <strong>einer</strong> Resolution<br />

des DKR vom 22.1.1953 in Seeheim, dass »ein<br />

unerwartet hoher Anteil von Schülern antisemitische<br />

Voreingenommenheit aufweist«. 24 Das bestätigt<br />

auch der ein Jahr später durchgeführter Assoziationstest<br />

der GCJZ Düsseldorf an den Höheren<br />

Schulen in Düsseldorf, an dem 800 Schüler teilnahmen.<br />

Hier wurde festgestellt, dass 34 % der<br />

Mädchen, die zwischen 16 <strong>und</strong> 18 Jahre waren,<br />

<strong>und</strong> 43% der gleichaltrigen Jungen, betont antisemitische<br />

Äußerungen machten, während bei<br />

den 13-14-jährigen Mädchen 25% sowie 35% der<br />

gleichaltrigen Jungen antisemitische Einstellungen<br />

hatten. 25<br />

Schon Jahre zuvor, 1949, wurde in<br />

einem ausgewerteten Fragebogen von 120 Bearbeitungen<br />

festgestellt, dass die Hälfte antisemitisch<br />

waren, die andere Hälfte teilweise antisemitische<br />

Einstellungen hatten. Nur zwei waren frei<br />

von Vorurteilen. 26<br />

Das Gedankengut der Nationalsozialisten <strong>und</strong> die<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Vorurteile waren noch immer<br />

Gedankengut in den Familien. So belegen wissenschaftliche<br />

Studien aus der Lerntheorie <strong>und</strong> der<br />

Sozialisationstheorie, »dass vorhandene soziale<br />

Wertungen gegenüber anderen Gruppen von der<br />

Familie, den Fre<strong>und</strong>en, der Schule <strong>und</strong> heute<br />

primär auch durch Massenmedien vermittelt werden.<br />

Sie weisen einen signifikanten Einfluss der<br />

Fremdenfeindlichkeit der Eltern auf die Einstellung<br />

der Kindern nach«. 27<br />

Einer 1952 durchgeführten Meinungsumfrage von<br />

Werner Bergmann zufolge sind 37% der Deutschen<br />

der Ansicht, dass besser keine Juden in<br />

Deutschland leben sollten. Auch wird in der Studie<br />

von einem Antisemitismus in Form psychischer<br />

Latenz gesprochen, so werden bis zu 74%<br />

negative Eigenschaften den Juden, wie Berechnung,<br />

Geiz oder Erfolg im Geschäftsleben nachgesagt.<br />

28<br />

Hinzu kam, dass die Schulbücher, beson-

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