Erinnern und Verstehen â Schwerpunkte einer nachhaltigen ...
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62 3/2005 epd-Dokumentation<br />
<strong>einer</strong> universellen Menschenrechtsideologie eine<br />
Politisierung zu aktuellem Nutzen betrieben.<br />
Sowohl hinsichtlich des Gedenkens an die Opfer<br />
als auch bezüglich der Glaubwürdigkeit der historischen<br />
Darstellung bestehen Gefahren, die sowohl<br />
die Opfer zum Objekt von Instrumentalisierung<br />
machen <strong>und</strong> <strong>einer</strong> ernsthaften <strong>und</strong> authentischen<br />
Beschäftigung mit der NS-Geschichte zuwiderlaufen.<br />
Das schwedische Holocaust-Geschichtsbuch hat<br />
auch in Deutschland für Furore gesorgt. In allen<br />
nördlichen B<strong>und</strong>esländern wurde angeordnet,<br />
dass die deutsche Übersetzung kostenlos an die<br />
Schulen verteilt werden solle. Am besten wurde<br />
dieses Projekt noch in Hamburg umgesetzt, da in<br />
dem Band Hinweise auf Erinnerungsorte <strong>und</strong><br />
deren Bildungsangebote in diesem B<strong>und</strong>esland<br />
sinnvoll ergänzt wurden. Am peinlichsten ist die<br />
Schleswig-holsteinische Ausgabe. Dort haben alle<br />
im Landtag vertretenen Parteien die Möglichkeit<br />
erhalten, in einem jeweils zweiseitigen Vorwort<br />
ihre politische Sichtweise auf die Auseinandersetzung<br />
mit der NS-Geschichte darzustellen.<br />
Am liebsten möchte die Politik bestimmen, was<br />
die Bürger zu erinnern haben. 24<br />
Gerade dieser<br />
Vorgang erinnert sehr stark an die Geschichtsdarstellung<br />
in der DDR - die politischen Vorzeichen<br />
sind gänzlich andere, die Methoden jedoch sind<br />
gleich.<br />
VII.<br />
In den letzten Jahren hat sich die internationale<br />
Zusammenarbeit verstärkt. Ich selbst habe bereits<br />
1985 das erste internationale Gedenkstättenseminar<br />
durchgeführt, an dem Vertreter von Einrichtungen<br />
aus acht Ländern teilgenommen haben. In<br />
den letzten Jahren habe ich verstärkt einen professionellen<br />
Austausch mit Kollegen in Polen,<br />
Italien, Frankreich <strong>und</strong> Israel <strong>und</strong> anderen Ländern<br />
betrieben. Zuallererst ist als sehr erfreuliche<br />
Entwicklung festzustellen, dass der internationale<br />
Austausch im letzten Jahrzehnt stark zugenommen<br />
hat. Heute ist es möglich, einen professionellen<br />
<strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftlichen Dialog mit Vertretern<br />
aus von Deutschland im Zweiten Weltkrieg<br />
überfallenen Ländern zu führen. Dass z.B. in dem<br />
internationalen Beirat der Gedenkstätte Auschwitz<br />
ein deutsches Mitglied ist, ist ein gutes Zeichen<br />
für die Verständigungspolitik der Nachkriegszeit.<br />
Am wichtigsten erscheint mir, dass der internationale<br />
Dialog darauf ausgerichtet ist, dass man die<br />
Gründe, warum in anderen Ländern die Auseinandersetzung<br />
mit der NS-Geschichte mit anderen<br />
Inhalten <strong>und</strong> Methoden stattfindet, verstehen<br />
lernt. Zudem sind die <strong>Schwerpunkte</strong> Forschung<br />
<strong>und</strong> die Art <strong>und</strong> Weise deren Bewertung <strong>und</strong><br />
Darstellung unterschiedlich. Ziel des internationalen<br />
Gesprächs darf nicht sein, dass man seine<br />
eigene Meinung als einzig gültige ansieht, sondern<br />
dass man in der Lage ist, die Ursachen für<br />
andere Meinungen zu verstehen. Dabei darf weder<br />
ein Zwang vorhanden sein, dass man seine<br />
eigene Position legitimieren, noch sie anderen<br />
Auffassungen zu unterwerfen haben muss. Darüber<br />
hinaus kann man durch die Auseinandersetzung<br />
mit der Arbeit in anderen Ländern der<br />
Arbeit im eigenen Land sehr gut den Spiegel vorhalten<br />
<strong>und</strong> sehr viel über sich selbst lernen. Zu<br />
guter Letzt dienen gerade die durch die Zusammenarbeit<br />
<strong>und</strong> Begegnungen entstehenden Bekanntschaften<br />
<strong>und</strong> fre<strong>und</strong>schaftliche Kontakte<br />
dazu, auch heikle Themen in einem vertrauensvollen<br />
Rahmen ansprechen <strong>und</strong> damit nicht nur<br />
das Gegenüber besser verstehen, sondern auch<br />
nach wie vor vorhandene Vorurteile abbauen zu<br />
können.<br />
VIII.<br />
Die Internationalität ist in den letzten Jahren<br />
noch auf eine ganz andere Weise offenk<strong>und</strong>ig<br />
geworden. In vielen deutschen Städten gibt es<br />
heute einen hohen Ausländeranteil. In der Stadt<br />
mit dem höchsten Ausländeranteil, Kelsterbach<br />
bei Frankfurt/Main, leben 31,5 % Ausländer aus<br />
95 Ländern. 2001 lag der Anteil der Ausländer in<br />
Deutschland bei insgesamt 8,9 %. In Großstädten<br />
wie Frankfurt am Main jedoch gibt es nach Untersuchungen<br />
in Schulen etwa ein Drittel Schüler,<br />
die keinen deutschen Pass besitzen. 25 Allein die<br />
genaue Bezeichnung, wer eigentlich ein Ausländer<br />
ist, ist sehr schwierig: »Ist es das deutsche<br />
Ausländerkind, in Russland geboren, das besser<br />
Russisch als Deutsch spricht, das erst seit fünf<br />
Jahren in Deutschland lebt <strong>und</strong> einen deutschen<br />
Pass hat? Ist es der 18-jährige junge Erwachsene<br />
ohne deutschen Pass, der aber in Deutschland<br />
geboren ist, dessen Deutsch-Kenntnisse sich nicht<br />
von dem deutscher Durchschnittsbürger unterscheidet<br />
<strong>und</strong> dessen Eltern seit 30 Jahren in<br />
Deutschland leben?«<br />
Für die zukünftige Auseinandersetzung mit der<br />
NS-Geschichte in Deutschland ist diese Entwicklung<br />
eine große Herausforderung. Die Diskussion,<br />
wie man nicht ethnisch Deutschen die NS-<br />
Geschichte nahe bringen kann, führt hoffentlich