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Erinnern und Verstehen – Schwerpunkte einer nachhaltigen ...

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64 3/2005 epd-Dokumentation<br />

Trotz aller Unkenrufe hat die Beschäftigung mit<br />

Holocaust <strong>und</strong> NS-Verfolgung weltweit in den<br />

letzten Jahren weiter zugenommen <strong>und</strong> eine politisch<br />

wichtigere Bedeutung erlangt. Nicht mehr<br />

das »Ob«, sondern das »Wie« wird die Herausforderung<br />

in der Zukunft sein.<br />

IX.<br />

Lassen Sie mich zusammenfassen:<br />

Für die zukünftige Arbeit von Gedenkstätten in<br />

Deutschland erscheinen mir einige Punkte unbedingt<br />

beachtenswert:<br />

– Es hat sich in Deutschland in den letzten beiden<br />

Jahrzehnten - beginnend in Westdeutschland<br />

Ende der siebziger, Anfang der achtziger<br />

Jahre - eine Gedenkkultur herausgebildet, die<br />

nach der deutschen Einheit an den historischen<br />

Orten der NS-Verfolgung einen erheblichen<br />

Professionalisierungsschub erlangt hat.<br />

Sie ist gekennzeichnet durch eine Anerkennung<br />

aller Gruppen der NS-Opfer entsprechend<br />

der historischen Verfolgungstatbestände.<br />

Sie setzt sich intensiv <strong>und</strong> offen mit den<br />

Fragen nach Tätern <strong>und</strong> Strukturen auseinander.<br />

Sie ist insofern immer eine kritische Anfrage<br />

an die demokratische Verfasstheit des<br />

eigenen Staates <strong>und</strong> deren Selbstvergewisserung.<br />

Durch die Tatsache, dass<br />

Deutschland ein Einwanderungsland<br />

ist - <strong>und</strong> selbst junge ethnisch Deutsche<br />

keinen unmittelbaren Bezug zu dieser Geschichte<br />

aus der Mitte des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

haben - entstehen neue Herausforderungen<br />

an die Erinnerungskultur.<br />

– Die »Gegendenkmal«-Bewegung hat sich etabliert<br />

<strong>und</strong> ist in Gesamtdeutschland gesellschaftspolitisch<br />

anerkannt. Sie ist zu einem<br />

Bestandteil der Traditionsbildung geworden<br />

<strong>und</strong> hat dank der damit verb<strong>und</strong>enen »political<br />

correctness« den gesellschaftskritischen<br />

Bezug teilweise verloren.<br />

– Umso mehr ist darauf zu achten, dass durch<br />

die aktuellen Versuche, die deutschen Opfer<br />

des Krieges - sei es durch die Alliierten Bombenangriffe<br />

oder die deutschen Flüchtlinge<br />

oder Vertriebenen - wieder in den Vordergr<strong>und</strong><br />

<strong>einer</strong> Gedenkpolitik zu rücken, diese<br />

internationale Anerkennung nicht gefährdet<br />

wird.<br />

– Die Internationale Anerkennung der Holocaust-Education<br />

als neue Menschenrechtsideologie<br />

hat auch in Deutschland zu <strong>einer</strong><br />

verstärkten Ausrichtung auf diesen Komplex<br />

der NS-Verfolgung geführt. Die damit verb<strong>und</strong>ene<br />

Darstellung aus der subjektiven, emotionalen<br />

Sichtweise der Opfer allein genügt jedoch<br />

nicht. Aus dieser Perspektive kann nicht<br />

erklärt werden, warum bestimmte Gruppen<br />

von Menschen in das Visier der Nazis geraten<br />

sind <strong>und</strong> ausgegrenzt, verfolgt <strong>und</strong> ermordet<br />

wurden. Eine weitere Gefahr sind die gerade<br />

mit der Holocaust-Education verb<strong>und</strong>enen politischen<br />

Interessen - sowohl hinsichtlich des<br />

aktuellen Gebrauchs in den USA oder Israel<br />

als auch der Überprüfung der demokratischen<br />

Entwicklung in den mittel- <strong>und</strong> osteuropäischen<br />

Staaten. Damit steht diese Form der<br />

Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in<br />

Gefahr, instrumentalisiert <strong>und</strong> unglaubwürdig<br />

zu werden. Dies sind Gründe, warum es falsch<br />

wäre, diese Form der Auseinandersetzung mit<br />

den NS-Verbrechen in Deutschland stärker zu<br />

etablieren.<br />

– Durch die Tatsache, dass Deutschland ein<br />

Einwanderungsland ist - <strong>und</strong> selbst junge ethnisch<br />

Deutsche keinen unmittelbaren Bezug<br />

zu dieser Geschichte aus der Mitte des letzten<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts haben - entstehen neue Herausforderungen<br />

an die Erinnerungskultur, die NS-<br />

Geschichte so normal wie möglich als Teil der<br />

deutschen Geschichte <strong>und</strong> so offen wie möglich<br />

in den Bezügen auch zu anderen Staatsverbrechen<br />

darzustellen.<br />

– Die Weiterentwicklung der Arbeit der Gedenkstätten<br />

in Deutschland kann auf lange Sicht<br />

nur gelingen, wenn man den für dieses Land<br />

notwendigen eigenen Weg findet, der auf jeden<br />

Fall nicht in der Holocaust-Education oder<br />

<strong>einer</strong> allgemeinen Menschenrechtserziehung<br />

liegt. Vielmehr muss weiterhin der »historische<br />

Ort« <strong>und</strong> die Beschreibung dieser Geschichte<br />

Ausgangspunkt für eine Bildungsarbeit<br />

sein, die vielfältige Anknüpfungspunkte<br />

an den aktuellen Lebensumständen junger<br />

Menschen <strong>und</strong> an allgemeine humanitäre Fragen,<br />

die sich aus dieser konkreten Geschichte<br />

ergeben, bieten sollte.<br />

Literaturangaben:<br />

ADORNO 1963<br />

Theodor W. Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit,<br />

S. ?, in ders.: Eingriffe: Neue Kritische Modelle, Frankfurt<br />

1963

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