50 Jahre Theater im Bahnhof
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Was wäre ein Leben ohne Rückblende, ohne die guten Erinnerungen, die es meist gestatten, über<br />
das Vergangene zu lächeln, und uns veranlassen, in der Gegenwart ein wenig nachsichtiger mit uns<br />
zu sein? - Höchstwahrscheinlich nur schwer erträglich. Das gilt auch für eine Gemeinschaft wie unser<br />
<strong>Theater</strong> <strong>im</strong> <strong>Bahnhof</strong>. Da gibt es die kleinen Anekdoten, Bonmots, Geschichtchen, die <strong>im</strong> Nachgang<br />
betrachtet oder einfach, weil wir uns geändert haben, plötzlich skurril bis aberwitzig daherkommen;<br />
Episoden am Rande, die das Bild einer Gemeinschaft vervollständigen und, wenn gleich nicht präziser,<br />
so doch liebevoller zeichnen, als jedes Protokollbuch.<br />
Bar le Duc - Frankreich, 1975 I Die damalige Spielgruppe<br />
63 auf großer Gastspielreise; angereist<br />
mit einem Überlandbus für die über 40 (!) Akteure<br />
mit Anhang und einem Kleinbus für die<br />
Band als Begleitfahrzeug. Das Ziel: ein riesiges<br />
Zirkuszelt - Spielort der Deutsch-Französischen<br />
<strong>Theater</strong>tage. Die riesige Menge an Kulissen<br />
und Requisiten waren bereits vor Ort, transportiert<br />
durch einen Sattelschlepper, der unterwegs<br />
nach Spanien war, um von dort Orangen nach<br />
Heidelberg zu bringen. Ein solches Fahrzeug,<br />
leer auf den Weg nach Süden, wo doch unsere<br />
Kulissen nach Bar le Duc mussten? Das war<br />
ein Fall für unseren legendären Mann mit dem<br />
Beinamen „Besorgungen aller Art“. Der Legende<br />
nach soll er sogar in der Lage gewesen sein<br />
binnen Stunden die Ausleihe eines einsatzfähigen<br />
Leopard II zu bewerkstelligen. So klappte<br />
natürlich der Transport vorzüglich, bis auf die<br />
Tatsache, dass der Rücktransport sich um etliche<br />
Wochen verzögerte. Das war kein Beinbruch,<br />
schließlich musste ja ein leerer Fernlastzug von<br />
Spanien über Bar le Duc nach Dielhe<strong>im</strong> gefunden<br />
werden. Aber wie gesagt: alles kein Problem.<br />
Bar le Duc I Unser Gastspiel in Frankreich war ein<br />
Erfolg, in jeder Hinsicht. Zu dieser Zeit waren alle<br />
noch „richtig“ jung, und deshalb wurde, nach<br />
der Aufführung versteht sich, auch „richtig“ gefeiert.<br />
Aus diesem Anlass haute die Band zu später<br />
Stunde und vom guten Wein befeuert noch einmal<br />
kräftig in die Tasten, um dann etwas später<br />
ebenso kräftig nachzulassen. Wenn Musiker<br />
nicht mehr musizieren wollen, suchen sie sich ein<br />
neues Spielfeld, möglichst besetzt mit Damen.<br />
Anekdoten und Randnotizen<br />
Und als es an der Zeit war, sich die möglichen<br />
Züge mit der Dame auszudenken, der Wein<br />
aber seinen Tribut forderte, kam es zu einem<br />
nicht folgenschweren, aber amüsanten „Unfall“.<br />
Alles begann mit einem trauten Bild: Bassgitarrist<br />
und die erwählte Dame sitzen nebeneinander,<br />
ohne Lehne, mit dem Rücken zum Publikum. Er<br />
erklärt ihr die Welt und legt dabei seine rechte<br />
Hand auf ihre rechte Schulter, um mit der Linken<br />
das Gesagte zu unterstreichen. Der als Führer <strong>im</strong><br />
Lied angestellte Leadgitarrist gesellt sich dazu.<br />
Auf der rechten Seite sitzend, sucht seine linke<br />
Hand auf dem Rücken der Dame ebenfalls Halt.<br />
Die auf der Schulter ruhende Hand rutscht, dem<br />
schweren Wein geschuldet und der Gravitation<br />
folgend, ab und trifft auf die suchende Hand.<br />
Beide finden sich, sind sich zugeneigt und von<br />
nun an zärtlich vereint. Eine schönes Bild für die<br />
Zuschauer. Nur die Herzdame wunderte sich,<br />
da sie noch beide Hände frei hatte. Tja.<br />
Teil I - Andere Länder andere Sitten. I In der kurzen<br />
Zeit unseres Aufenhaltes geschah manch Merkwürdiges.<br />
Ein männliches Mitglied unserer fröhlichen<br />
<strong>Theater</strong>gesellschaft war, so wurde berichtet,<br />
auf der Suche nach einem ruhigen Ort, um<br />
seinen eigenen Geschäften nachzugehen. Der<br />
Suchende wurde kurze Zeit später von einem<br />
ebenfalls suchenden männlichen Mitglied <strong>im</strong><br />
höchst erregten Zustand und <strong>im</strong> Zwiegespräch<br />
mit einer Sanitärkeramik vorgefunden. Der Zweite<br />
hörte, durch eine dünne Zwischenwand getrennt,<br />
wie Ersterer die zu niedere und überhaupt<br />
für seine Zwecke völlig artfremde Gestaltung der<br />
Keramik verfluchte. Da das Fluchen, großzügig<br />
ausgelegt, wie ein Hilferuf klang, gab er sich zu<br />
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