50 Jahre Theater im Bahnhof
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
71<br />
Dabei sein ist nicht alles<br />
Von dicken Brettern, die die Welt bedeuten<br />
Wer sie oft betreten hat, um zu spielen, kennt die Standfestigkeit, die sie vermitteln. Er kennt aber<br />
auch die Barriere, die sie bilden, das unsichtbare Hindernis, das sich auftut, wenn man sie zum<br />
ersten Mal betritt. Da ist das flaue Gefühl <strong>im</strong> Magen, die kurze innere Unsicherheit, wenn das Herz<br />
<strong>im</strong> Hals schlägt statt in der Brust. Da ist auch das Gefühl des Ausgeliefert-Seins, das sich kurz nach<br />
dem ersten Satz aus dem Staube macht, um Platz zu schaffen für das Spiel zwischen dem Ich und<br />
dem Publikum. Wer Erfahrung hat <strong>im</strong> Betreten dieser „Bretter, die die Welt bedeuten“, kennt das<br />
alles. Er hat erlebt, dass ihn dieser Schritt stärkt; nicht nur <strong>im</strong> Spiel, sondern auch draußen <strong>im</strong> rauhen<br />
„Spiel des Lebens“, in vielfältiger Weise und in unterschiedlicher Intensität.<br />
Er hat gelernt, dass dieses ständige Überschreiten<br />
der Grenze zwischen Realität und der <strong>im</strong>mer<br />
wieder neu zu erschaffenden Wirklichkeit<br />
<strong>im</strong> Spiel in ihm etwas bewirkt: Selbstsicherheit.<br />
Mit dem Begehen der Bühnenbretter, die ihm<br />
stets festen Halt geben, gewinnt er zunehmend<br />
Vertrauen in die eigene Stärke. Innere Barrieren<br />
werden als überwindbar gesehen, er überspringt<br />
sie leichter. So beginnt sich etwas zu<br />
drehen: das vermeintliche Bretter-Hindernis wird<br />
unversehens zum Sprungbrett für vielgestaltiges<br />
Erleben. Ein Schatz an tiefen, reichen Erfahrungen<br />
winkt als Lohn. Immer neu positiv „aufgeladen“<br />
kann er so auch die unausweichlichen,<br />
unsäglichen Widrigkeiten, die eine freiwillige<br />
Vereinigung von Menschen nun mal mit sich<br />
bringt, nicht nur ertragen, sondern vom Negativen<br />
ins Positive kehren. Denn er weiß auch: Dabei<br />
sein ist wirklich nicht alles. Vor diesen Erfahrungen<br />
riecht es auf den Amateurbühnen der<br />
Welt nicht nur nach Schminke, Farbe und alten<br />
Klamotten, sondern <strong>im</strong>mer auch nach Schweiß.<br />
Das kommt von den „dicken Brettern“, die gebohrt<br />
werden müssen, bevor sie zu den Brettern,<br />
die die Welt bedeuten, werden können.<br />
Vieldeutige Bretter Sie sind die bauliche<br />
Grundlage für unser Spiel. Die metaphorische Bedeutung<br />
müssen wir ihnen selbst be<strong>im</strong>essen.