Durchbruch - Credit Suisse eMagazine - Deutschland
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Foto: Scott MacIntyre<br />
<strong>Durchbruch</strong> der Schallmauer 11<br />
In den USA laufen die Vorbereitungen für den höchsten Fallschirmabsprung aller Zeiten.<br />
Gelingt der freie Fall aus 36 Kilometern Höhe, so würde erstmals ein Mensch aus eigenem<br />
Antrieb die Schallmauer durchbrechen. Damit noch nicht genug: Bereits in Planung sind<br />
auch Weltraumsprünge aus 91 Kilometern Höhe.<br />
Text: Ute Eberle<br />
US-Air-Force-Testpilot Joe<br />
Kittinger sprang 1960 aus<br />
31 Kilometern Höhe im freien<br />
Fall Richtung Erde und hält<br />
damit bis heute den Rekord<br />
für den höchsten Fallschirmabsprung.<br />
Geht alles nach Plan, wird der Brite Steve Truglia irgendwann in den<br />
kommenden Monaten irgendwo in Oklahoma in eine Gondel steigen.<br />
Sie wird an einem gewaltigen Ballon hängen, und gemeinsam werden<br />
sie den langen Aufstieg in den Himmel beginnen. Ab drei Kilometern<br />
Höhe wird die Luft dünn werden und Truglia – Ex-Mitglied<br />
einer militärischen Sondereinheit und professioneller Stuntman – froh<br />
sein über seinen mitgebrachten Sauerstoff. In 12 Kilometern könnten<br />
bereits minus 50 Grad Celsius herrschen. Ab 19 Kilometern wird die<br />
Atmosphäre so entleert sein, dass ein Leck im Raumanzug das Blut<br />
im Körper zum Kochen bringen würde und der 45-Jährige innert<br />
Sekunden einen schmerzhaften Tod stürbe. Nach etwa zwei Stunden<br />
wird Truglia eine Höhe von 36 Kilometern erreicht haben. Es wird<br />
minus 100 Grad Celsius kalt sein. Über ihm wird sich schwarz das<br />
Weltall wölben, tief unter ihm blau der Erdball.<br />
Und dann wird Truglia springen. Wie ein menschlicher Meteor wird<br />
der Brite auf die Erde zusausen und dabei gleich eine ganze Reihe<br />
von Dingen durchbrechen. Etwa den Rekord für den höchsten Fallschirmsprung,<br />
der seit 48 Jahren bei 31 Kilometern steht und von<br />
einem Kapitän der US Air Force namens Joe Kittinger aufgestellt<br />
wurde. Oder den Rekord für die Geschwindigkeit, die ein Mensch<br />
ohne Maschine erreichen kann. Und nicht zuletzt wird Truglia die<br />
Schallmauer selber durchbrechen. Bereits Sekunden nach Absprung<br />
wird der Brite geschätzt 1200 Stundenkilometer schnell sein und<br />
damit die Wellen seiner eigenen Geräuschfahne überholen. Niemand<br />
kann ihm sagen, wie sich das ohne den schützenden Kokon eines<br />
Flugzeugs anfühlen wird. «Wir wissen es nicht», sagt Truglia.<br />
Er ist nicht der Einzige, den es in den Himmel drängt. Truglias<br />
grösster Rivale ist der Franzose Michel Fournier, der seinem eigenen<br />
«Le Grand Saut» (dem grossen Sprung) im Mai 2008 bereits ganz<br />
nah kam, bis ein technischer Defekt seinen Ballon von der Gondel<br />
trennte und ihn auf einer kanadischen Ebene sitzen liess.<br />
Und die US-Firma Orbital Outfitters möchte schon in den kommenden<br />
Jahren Weltallflüge anbieten, bei denen reiche Extremsportler<br />
aus einer Rakete springen und per Fallschirm zurück zur<br />
Erde gleiten. Die längsten Hüpfer würden 91 Kilometer über der<br />
Oberfläche starten, verspricht Firmengründer Rick Tumlinson. Aus<br />
dieser Höhe könnten Springer bis zu 4000 Stundenkilometer errei-<br />
chen – vier Mal mehr als ein Düsenjet. «Weltraumsprünge sind der<br />
letzte grosse Stunt der Erde», schwärmt denn auch Truglia.<br />
Doch es geht nicht nur um den Adrenalinkick. Orbital Outfitters<br />
will mit Hilfe der Fallschirmklienten Technologien entwickeln, mit<br />
denen die Raumfahrer der Zukunft im Notfall aus dem All evakuiert<br />
werden können. So ist einer der Kräfte hinter der Firma der Ex-<br />
NASA-Arzt Jonathan Clark, dessen Frau Laurel Astronautin im<br />
Space Shuttle Columbia war, als dieses 2003 beim Wiedereintritt in<br />
die Atmosphäre zerbrach. «Langfristig ist unser Ziel, Menschen aus<br />
einer Raumstation oder dem Shuttle auf die Erde zurückzuholen»,<br />
sagt Tumlinson.<br />
Für die Pioniere ist das nicht ungefährlich. Die letzte Person, die<br />
versuchte, Kittingers Höhenrekord zu brechen, war ein US-Amateur<br />
namens Nick Piantanida Mitte der Sechzigerjahre. Er starb, nachdem<br />
sich seine Gesichtsmaske in 17 Kilometern Höhe geöffnet hatte.<br />
Auch Kittinger selber überlebte zwei seiner drei Weltraumsprünge<br />
nur knapp. Der Testpilot war Teil eines Militärteams, das prüfen wollte,<br />
wie tief und schnell ein Mensch fallen kann – und dabei überlebt. Doch<br />
gleich bei seinem ersten Versuch aus 23 Kilometern öffnete sich einer<br />
seiner drei Fallschirme zu früh und wickelte sich um Kittingers<br />
Hals. Er begann um die eigene Achse zu wirbeln und verlor das Bewusstsein.<br />
Was ihn rettete, war sein Hauptschirm, der automatisch<br />
in drei Kilometern Höhe aufging und ihn in Neumexiko absetzte.<br />
Während seines Rekordsprungs am 16. August 1960 wiederum<br />
erlitt einer seiner Handschuhe ein winziges Leck. Als Folge davon<br />
schwoll Kittingers rechte Hand während des Aufstiegs auf das Doppelte<br />
an. Er verschwieg es dem Bodenteam, um den Versuch nicht<br />
zu gefährden.<br />
Entgegen verbreiteter Gerüchte durchbrach Kittinger bei seinem<br />
Versuch die Schallmauer nicht. Vielmehr blieb er mit 988 Stundenkilometern<br />
knapp unter der nötigen Geschwindigkeit. Und so<br />
ist der Moment des <strong>Durchbruch</strong>s für den Briten Truglia heute das<br />
unberechenbarste Risiko. Werden die Schockwellen über seinen<br />
Körper tanzen wie tausend pochende Fingerspitzen? Werden sie<br />
den Öffnungsmechanismus seiner Fallschirme auslösen? Das wäre<br />
tödlich. Denn zu diesem Zeitpunkt wäre Truglia noch derart schnell,<br />
«dass der Ruck meinen Körper zerreissen würde», so der Brite, der<br />
derzeit Sponsoren für den letzten Rest der zwei Millionen Pfund<br />
sucht, die sein Sprung kostet.<br />
Laufen die Dinge aber so, wie es sich Truglia wünscht, wird er<br />
nach seinem Schritt aus der Gondel zunächst kaum spüren, dass er<br />
fällt. Die Erde wird so tief unter ihm sein, dass es scheinen wird, als<br />
hinge er bewegungslos im Raum. Im Fast-Vakuum wird kein Wind<br />
in seinen Ohren rauschen, kein Lüftchen seinen Anzug kräuseln.<br />
Erst allmählich wird sich die Atmosphäre verdicken. Ein erster<br />
Fallschirm wird Truglia stabilisieren, zwei weitere werden ihn bremsen.<br />
Er wird durch die Wolkendecke fallen und über die Lenkung<br />
seines Hauptschirms einen Landefleck ansteuern. Nach einer Viertelstunde<br />
wird er schliesslich wieder da sein, wo er anfing. Irgendwo<br />
in Oklahoma. <<br />
<strong>Credit</strong> <strong>Suisse</strong> Bulletin 1/09